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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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breiten Garbe aus der Lohe auf und gleichen am schwarzen Nachthimmel einem
Heer flatternder Sterne; es ist ein großer Konack oder ein türkisches Winter¬
haus, welches soeben auf einmal zusammengebrochen ist. Ueber das unbebaute
Feld hin eilen eine Anzahl Laternen; sie gehören Neugierigen zu, die aus
Pera und Toppana kommend, sich den Brand in der Nähe besehen wollen.
Jener ungestüm dahineilende Menschenknäuel -- man unterscheidet in der
Dunkelheit nur seine Umrisse--ist eine Spritzencompagnie; die Leute sind nur
mit Hemd und Hosen, zuweilen lediglich mit letzteren bekleidet. Gellert rufen
sie: tschabuck, tschabuck (schnell, schnell!).

Bei einer gegenwärtigen Feuersbrunst liegt der Gedanke nahe, ob nicht
in demselben Augenblick Sebastopol brennen möge. Nach Nachrichten von
dorther ist das Feuer nun endlich eröffnet worden, und die eigentliche Bela¬
gerung hat ihren Anfang genommen. Ich muß Ihnen indeß gestehen, daß
mich der Fortgang, welchen die Operationen bis jetzt genommen haben, nicht
ganz befriedigt.. Aus den Detailberichten verschiedener Offiziere geht hervor,
daß man -mit einer gewissen Langsamkeit agirt, welche den Umständen wenig
angemessen ist, und die, falls sie nicht durch einen andern Modus ersetzt wer¬
den sollte, leicht große Verlegenheiten herbeiführen, wenn Nicht das Gelingen
des ganzen Unternehmens in Frage stehen soll. Darüber ist man hier einig,
daß man die Wegnahme des Platzes als nicht nahe bevorstehend anzusehen hat
und daß es mindestens zweifelhaft ist, ob man nicht genöthigt sein wird, bevor
man zum Sturm der sich eben jetzt vorbereitenden Bresche schreitet, eine Ent¬
scheidung im offenen Felde zu geben.

Schon am 8. dieses Monats wollte man im englisch-französischen Haupt¬
quartiere wissen, daß Lüders mit einem bedeutenden Armeecorps im Anmarsch
gegen die Krim begriffen sei. Wenn wir nun auch aus der Gegend, in welcher
sein Abmarsch erfolgt sein müßte, d. h. aus Bessarabien, keine directen Nach¬
richten darüber haben, so scheinen doch Winke, welche Oestreich gegeben hat,
die Voraussetzung zu bestätigen, daß der Zar einen bedeutenden Truppenkörper
von der Südarmee abgelöst und gegen Perekop dirigirt habe. Vor fünf oder
sechs Tagen sollen diese Landenge große Streitmassen passtrt haben, indeß
dürfte man darin noch nicht das S. Corps, sondern vielmehr diejenige Division
Osten-Sackenö erkennen, welche derselbe bei Empfang der Nachricht von der
Landung der Verbündeten auf der Krim gegen Cherson ausbrechen ließ. Daß
vom Gerücht auch der Anmarsch des General Fürst Bebutoff aus Cirkassten
gemeldet wird, versteht sich von selbst. Derselbe würde jedoch zwei bis drei
Monate nöthig haben, um nach der Krim anzulangen, indem nicht anzunehmen
ist, daß er vom Admiral Dundas die Erlaubniß erhalten wird, die breite See¬
straße von Theodosta auf Booten zu Passiren, und sonach seinen Weg über
Assow nehmen müßte.


breiten Garbe aus der Lohe auf und gleichen am schwarzen Nachthimmel einem
Heer flatternder Sterne; es ist ein großer Konack oder ein türkisches Winter¬
haus, welches soeben auf einmal zusammengebrochen ist. Ueber das unbebaute
Feld hin eilen eine Anzahl Laternen; sie gehören Neugierigen zu, die aus
Pera und Toppana kommend, sich den Brand in der Nähe besehen wollen.
Jener ungestüm dahineilende Menschenknäuel — man unterscheidet in der
Dunkelheit nur seine Umrisse—ist eine Spritzencompagnie; die Leute sind nur
mit Hemd und Hosen, zuweilen lediglich mit letzteren bekleidet. Gellert rufen
sie: tschabuck, tschabuck (schnell, schnell!).

Bei einer gegenwärtigen Feuersbrunst liegt der Gedanke nahe, ob nicht
in demselben Augenblick Sebastopol brennen möge. Nach Nachrichten von
dorther ist das Feuer nun endlich eröffnet worden, und die eigentliche Bela¬
gerung hat ihren Anfang genommen. Ich muß Ihnen indeß gestehen, daß
mich der Fortgang, welchen die Operationen bis jetzt genommen haben, nicht
ganz befriedigt.. Aus den Detailberichten verschiedener Offiziere geht hervor,
daß man -mit einer gewissen Langsamkeit agirt, welche den Umständen wenig
angemessen ist, und die, falls sie nicht durch einen andern Modus ersetzt wer¬
den sollte, leicht große Verlegenheiten herbeiführen, wenn Nicht das Gelingen
des ganzen Unternehmens in Frage stehen soll. Darüber ist man hier einig,
daß man die Wegnahme des Platzes als nicht nahe bevorstehend anzusehen hat
und daß es mindestens zweifelhaft ist, ob man nicht genöthigt sein wird, bevor
man zum Sturm der sich eben jetzt vorbereitenden Bresche schreitet, eine Ent¬
scheidung im offenen Felde zu geben.

Schon am 8. dieses Monats wollte man im englisch-französischen Haupt¬
quartiere wissen, daß Lüders mit einem bedeutenden Armeecorps im Anmarsch
gegen die Krim begriffen sei. Wenn wir nun auch aus der Gegend, in welcher
sein Abmarsch erfolgt sein müßte, d. h. aus Bessarabien, keine directen Nach¬
richten darüber haben, so scheinen doch Winke, welche Oestreich gegeben hat,
die Voraussetzung zu bestätigen, daß der Zar einen bedeutenden Truppenkörper
von der Südarmee abgelöst und gegen Perekop dirigirt habe. Vor fünf oder
sechs Tagen sollen diese Landenge große Streitmassen passtrt haben, indeß
dürfte man darin noch nicht das S. Corps, sondern vielmehr diejenige Division
Osten-Sackenö erkennen, welche derselbe bei Empfang der Nachricht von der
Landung der Verbündeten auf der Krim gegen Cherson ausbrechen ließ. Daß
vom Gerücht auch der Anmarsch des General Fürst Bebutoff aus Cirkassten
gemeldet wird, versteht sich von selbst. Derselbe würde jedoch zwei bis drei
Monate nöthig haben, um nach der Krim anzulangen, indem nicht anzunehmen
ist, daß er vom Admiral Dundas die Erlaubniß erhalten wird, die breite See¬
straße von Theodosta auf Booten zu Passiren, und sonach seinen Weg über
Assow nehmen müßte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/237>, abgerufen am 24.08.2024.