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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Die krankhafte Verirrung der Einbildungskraft, aus der die Verschwörung
hervorgeht, läßt sich nur daraus erklären, daß man es aufgibt, den Fort¬
schritt der Staatsentwicklung auf dem ordnungsmäßigen Wege zu erstreben.
In dieser Beziehung unterliegt es stets dem höchsten Bedenken, dem Volk das
Betreten des gesetzlichen Weges zur Erreichung seiner verständigen oder thörichten
Ansprüche abzurathen. Wohl wissen wir, daß häufig der gesetzliche Weg für
eine edle Natur höchst widerlich sein muß, wenn man sieht, wie die ernsthaf¬
testen Anstrengungen ohne alle Wirkung vorübergehen; aber so unästhetisch
auch dieser Kampf sein mag, es bleibt für den, dem es wirklich um das Wohl
des Staates zu thun ist, keine Wahl. Vor 18i8 hatte die Hoffnungslosigkeit
wenigstens formell eine gewisse Berechtigung; denn wo jeder gerade Weg, für
seine politischen Ansichten etwas zu thun, abgeschnitten ist, liegt es zu sehr in
der menschlichen Natur, den krummen zu versuchen. Aber gegenwärtig steht
es anders. Nach allen Seiten hin sind dem politischen Streben die Schranken
eröffnet, freilich noch unter sehr erschwerenden Bedingungen, aber doch nicht
so, daß eine ernste und energische Thätigkeit sie nicht überwinden könnte. So¬
bald die gesetzliche Form der Parteiung einmal geöffnet ist, hat jeder einzelne
die Verpflichtung, soviel es in seinen Kräften steht, in dieser Form sür seine
Ueberzeugungen einzustehen.

Und darum möchten wir die demokratische Partei, die mit jenen Toll-
häuSlern in eine Classe zu werfen uns natürlich nicht einfallen kann, noch
einmal darauf aufmerksam machen, wie falsch es von ihr gewesen ist, sich von
der Theilnahme an der Verfassung fernzuhalten; denn die Theorie des Ab-
wartens kann für ruhige, gemäßigte Männer, die äußerlich und innerlich in
der Lage sind, warten zu können, etwas sehr Bequemes haben, die heißblutige
Jugend dagegen und diejenigen Classen des Volks, die' von einer wirklichen
Noth gedrückt werden, können sich bei dieser Resignation nicht beruhigen; sie
werden zunächst mit ihren Wünschen, dann aber auch durch directe Theilnahme
den Ereignissen zu Hilfe zu kommen suchen, und aus der politischen Unzu¬
friedenheit, welche die Gleichgestimmten zueinandersührt, wird sich leicht die
Romantik einer Verschwörung entwickeln. ^ Die Lage des preußischen Staats
ist in diesem Augenblicke sehr ernst, und in den Kammern, die in kürzester
Frist zusammenkommen müssen, hat das Volk ein Organ, seinen Sympathien
und Ueberzeugungen, die dies Mal schwerer ins Gewicht fallen, als sonst im
natürlichen Lauf der Dinge der Fall ist, Geltung zu verschaffen. Durch ihre
Enthaltung von den Wahlen hat sich die demokratische Partei dieses Organ
verscherzt. Am wenigsten hat sie jetzt das Recht, sich über die schwächliche
Haltung der Kammern zu beschweren, denn wenn das der Fall ist, so trägt sie
selbst davon die Schuld.




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Die krankhafte Verirrung der Einbildungskraft, aus der die Verschwörung
hervorgeht, läßt sich nur daraus erklären, daß man es aufgibt, den Fort¬
schritt der Staatsentwicklung auf dem ordnungsmäßigen Wege zu erstreben.
In dieser Beziehung unterliegt es stets dem höchsten Bedenken, dem Volk das
Betreten des gesetzlichen Weges zur Erreichung seiner verständigen oder thörichten
Ansprüche abzurathen. Wohl wissen wir, daß häufig der gesetzliche Weg für
eine edle Natur höchst widerlich sein muß, wenn man sieht, wie die ernsthaf¬
testen Anstrengungen ohne alle Wirkung vorübergehen; aber so unästhetisch
auch dieser Kampf sein mag, es bleibt für den, dem es wirklich um das Wohl
des Staates zu thun ist, keine Wahl. Vor 18i8 hatte die Hoffnungslosigkeit
wenigstens formell eine gewisse Berechtigung; denn wo jeder gerade Weg, für
seine politischen Ansichten etwas zu thun, abgeschnitten ist, liegt es zu sehr in
der menschlichen Natur, den krummen zu versuchen. Aber gegenwärtig steht
es anders. Nach allen Seiten hin sind dem politischen Streben die Schranken
eröffnet, freilich noch unter sehr erschwerenden Bedingungen, aber doch nicht
so, daß eine ernste und energische Thätigkeit sie nicht überwinden könnte. So¬
bald die gesetzliche Form der Parteiung einmal geöffnet ist, hat jeder einzelne
die Verpflichtung, soviel es in seinen Kräften steht, in dieser Form sür seine
Ueberzeugungen einzustehen.

Und darum möchten wir die demokratische Partei, die mit jenen Toll-
häuSlern in eine Classe zu werfen uns natürlich nicht einfallen kann, noch
einmal darauf aufmerksam machen, wie falsch es von ihr gewesen ist, sich von
der Theilnahme an der Verfassung fernzuhalten; denn die Theorie des Ab-
wartens kann für ruhige, gemäßigte Männer, die äußerlich und innerlich in
der Lage sind, warten zu können, etwas sehr Bequemes haben, die heißblutige
Jugend dagegen und diejenigen Classen des Volks, die' von einer wirklichen
Noth gedrückt werden, können sich bei dieser Resignation nicht beruhigen; sie
werden zunächst mit ihren Wünschen, dann aber auch durch directe Theilnahme
den Ereignissen zu Hilfe zu kommen suchen, und aus der politischen Unzu¬
friedenheit, welche die Gleichgestimmten zueinandersührt, wird sich leicht die
Romantik einer Verschwörung entwickeln. ^ Die Lage des preußischen Staats
ist in diesem Augenblicke sehr ernst, und in den Kammern, die in kürzester
Frist zusammenkommen müssen, hat das Volk ein Organ, seinen Sympathien
und Ueberzeugungen, die dies Mal schwerer ins Gewicht fallen, als sonst im
natürlichen Lauf der Dinge der Fall ist, Geltung zu verschaffen. Durch ihre
Enthaltung von den Wahlen hat sich die demokratische Partei dieses Organ
verscherzt. Am wenigsten hat sie jetzt das Recht, sich über die schwächliche
Haltung der Kammern zu beschweren, denn wenn das der Fall ist, so trägt sie
selbst davon die Schuld.




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[0211] Die krankhafte Verirrung der Einbildungskraft, aus der die Verschwörung hervorgeht, läßt sich nur daraus erklären, daß man es aufgibt, den Fort¬ schritt der Staatsentwicklung auf dem ordnungsmäßigen Wege zu erstreben. In dieser Beziehung unterliegt es stets dem höchsten Bedenken, dem Volk das Betreten des gesetzlichen Weges zur Erreichung seiner verständigen oder thörichten Ansprüche abzurathen. Wohl wissen wir, daß häufig der gesetzliche Weg für eine edle Natur höchst widerlich sein muß, wenn man sieht, wie die ernsthaf¬ testen Anstrengungen ohne alle Wirkung vorübergehen; aber so unästhetisch auch dieser Kampf sein mag, es bleibt für den, dem es wirklich um das Wohl des Staates zu thun ist, keine Wahl. Vor 18i8 hatte die Hoffnungslosigkeit wenigstens formell eine gewisse Berechtigung; denn wo jeder gerade Weg, für seine politischen Ansichten etwas zu thun, abgeschnitten ist, liegt es zu sehr in der menschlichen Natur, den krummen zu versuchen. Aber gegenwärtig steht es anders. Nach allen Seiten hin sind dem politischen Streben die Schranken eröffnet, freilich noch unter sehr erschwerenden Bedingungen, aber doch nicht so, daß eine ernste und energische Thätigkeit sie nicht überwinden könnte. So¬ bald die gesetzliche Form der Parteiung einmal geöffnet ist, hat jeder einzelne die Verpflichtung, soviel es in seinen Kräften steht, in dieser Form sür seine Ueberzeugungen einzustehen. Und darum möchten wir die demokratische Partei, die mit jenen Toll- häuSlern in eine Classe zu werfen uns natürlich nicht einfallen kann, noch einmal darauf aufmerksam machen, wie falsch es von ihr gewesen ist, sich von der Theilnahme an der Verfassung fernzuhalten; denn die Theorie des Ab- wartens kann für ruhige, gemäßigte Männer, die äußerlich und innerlich in der Lage sind, warten zu können, etwas sehr Bequemes haben, die heißblutige Jugend dagegen und diejenigen Classen des Volks, die' von einer wirklichen Noth gedrückt werden, können sich bei dieser Resignation nicht beruhigen; sie werden zunächst mit ihren Wünschen, dann aber auch durch directe Theilnahme den Ereignissen zu Hilfe zu kommen suchen, und aus der politischen Unzu¬ friedenheit, welche die Gleichgestimmten zueinandersührt, wird sich leicht die Romantik einer Verschwörung entwickeln. ^ Die Lage des preußischen Staats ist in diesem Augenblicke sehr ernst, und in den Kammern, die in kürzester Frist zusammenkommen müssen, hat das Volk ein Organ, seinen Sympathien und Ueberzeugungen, die dies Mal schwerer ins Gewicht fallen, als sonst im natürlichen Lauf der Dinge der Fall ist, Geltung zu verschaffen. Durch ihre Enthaltung von den Wahlen hat sich die demokratische Partei dieses Organ verscherzt. Am wenigsten hat sie jetzt das Recht, sich über die schwächliche Haltung der Kammern zu beschweren, denn wenn das der Fall ist, so trägt sie selbst davon die Schuld. 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/211>, abgerufen am 22.07.2024.