Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einzuladen, Spornes genug für eine demokratische Provinzialstadt, zu zeigen, daß
man Empfang und Bewirthung eidgenössischer Gäste versuche, ohne eben zu den
sogenannten Hauptstädten zu zählen.

Winterthur hat keine Kirche, geräumig genug, die tausende von Sängern
und Zuhörern zu fassen; was thut das zur Sache? Man baut für das Fest
eine eigne, geschlossene Säugerhalle aus Holz, 260 Fuß laug und 93 Fuß
hoch und groß genua, in ihrem Hauptschiffe und den beiden Nebenschiffen und
auf ihren Tribünen und Galerien 6000 Menschen zu fassen. Die langgestreckten
Gassen Winterthurs verwandeln sich in einen Garten von Blumengewinden,
die sich von Haus zu Haus und über die Straßen ziehen, von Ehrenpforten
und Triumphbogen; die silbernen Becher, aus denen die Gäste den Willkomm-
trunk in bestem Winterthurer trinken sollen, werden blank gescheuert und auf
dem Stadthause sammeln sich ungeduldig die Mitglieder der vielen Comite'S.

Sonntag, den 16. Juli, Morgens 10 Uhr fand die feierliche Uebergabe
der Fahnen statt. Die eidgenössische Fahne, welcher die Züricher eine Bedeckung
von Berittenen mitgegeben hatten, flatterte bald, umweht von beinahe hundert
Vereinsfahnen von dem Stadthause herunter. Den Willkommreden folgte
der Chor "Russe du, mein Vaterland" und der Ehrentrunk, worauf sich die
Sänger zerstreuten^ um beim gemeinschaftlichen Mittagsmahle sich wieder¬
zutreffen.

Allein heute galt es, nüchtern zu bleiben; denn Nachmittags sollten die
Wettgesänge zur Aufführung kommen. Neunzehn Vereine hatten sich zum
Wettsingen gemeldet, und eine einladende Reihr kunstreich gearbeiteter Pokale
winkte den glücklichen Siegern. Da hieß es seine Kräfte zusammenhalten.
Mit ängstlicher Sorgfalt wachten daher die Directoren über die wettsingenden
Kehlen ihrer Untergebenen, damit nicht eine plötzliche Heiserkeit der ersten
Tenore die Anstrengungen vieler Wochen auf einmal vernichte, oder ein zu
lebhaft gewordener Baß den richtigen Moment des Einfallenö und damit auch
die Ehre des Tages verpasse.

Die Aufzähl-ung aller wettsingenden Vereine und die Kritik der Leistungen
eines jeden gehört nicht hierher; wir begnügen uns, den allgemeinen Eindruck
des Ganzen zu skizziren. Aufgefallen ist, daß die Wahl der meisten zum Wett¬
singen bestimmten Stücke auf Compositionen von vorwiegend sentimentalen
Charakter fiel, und es machte bisweilen einen eigenthümlichen Eindruck, einen
Chor von kräftigen, bärtigen Männergestalten sich abmühen zu hören, ein recht
leises Pianissimo-hinzuhauchen; bei andern mochten die Schwierigkeiten, welche
die Compositiv" zu überwinden gab, mehr zur Wahl beigetragen haben, als
der musikalische Werth. Wir hätten markigere, einfachere Tonstücke gewünscht,
ächten Männergesang. Vielleicht mochten die Grundsätze, nach welchen die
Kampfrichter die Wettgesänge zu beurtheilen h'alten, manches zu solchen Ver-


einzuladen, Spornes genug für eine demokratische Provinzialstadt, zu zeigen, daß
man Empfang und Bewirthung eidgenössischer Gäste versuche, ohne eben zu den
sogenannten Hauptstädten zu zählen.

Winterthur hat keine Kirche, geräumig genug, die tausende von Sängern
und Zuhörern zu fassen; was thut das zur Sache? Man baut für das Fest
eine eigne, geschlossene Säugerhalle aus Holz, 260 Fuß laug und 93 Fuß
hoch und groß genua, in ihrem Hauptschiffe und den beiden Nebenschiffen und
auf ihren Tribünen und Galerien 6000 Menschen zu fassen. Die langgestreckten
Gassen Winterthurs verwandeln sich in einen Garten von Blumengewinden,
die sich von Haus zu Haus und über die Straßen ziehen, von Ehrenpforten
und Triumphbogen; die silbernen Becher, aus denen die Gäste den Willkomm-
trunk in bestem Winterthurer trinken sollen, werden blank gescheuert und auf
dem Stadthause sammeln sich ungeduldig die Mitglieder der vielen Comite'S.

Sonntag, den 16. Juli, Morgens 10 Uhr fand die feierliche Uebergabe
der Fahnen statt. Die eidgenössische Fahne, welcher die Züricher eine Bedeckung
von Berittenen mitgegeben hatten, flatterte bald, umweht von beinahe hundert
Vereinsfahnen von dem Stadthause herunter. Den Willkommreden folgte
der Chor „Russe du, mein Vaterland" und der Ehrentrunk, worauf sich die
Sänger zerstreuten^ um beim gemeinschaftlichen Mittagsmahle sich wieder¬
zutreffen.

Allein heute galt es, nüchtern zu bleiben; denn Nachmittags sollten die
Wettgesänge zur Aufführung kommen. Neunzehn Vereine hatten sich zum
Wettsingen gemeldet, und eine einladende Reihr kunstreich gearbeiteter Pokale
winkte den glücklichen Siegern. Da hieß es seine Kräfte zusammenhalten.
Mit ängstlicher Sorgfalt wachten daher die Directoren über die wettsingenden
Kehlen ihrer Untergebenen, damit nicht eine plötzliche Heiserkeit der ersten
Tenore die Anstrengungen vieler Wochen auf einmal vernichte, oder ein zu
lebhaft gewordener Baß den richtigen Moment des Einfallenö und damit auch
die Ehre des Tages verpasse.

Die Aufzähl-ung aller wettsingenden Vereine und die Kritik der Leistungen
eines jeden gehört nicht hierher; wir begnügen uns, den allgemeinen Eindruck
des Ganzen zu skizziren. Aufgefallen ist, daß die Wahl der meisten zum Wett¬
singen bestimmten Stücke auf Compositionen von vorwiegend sentimentalen
Charakter fiel, und es machte bisweilen einen eigenthümlichen Eindruck, einen
Chor von kräftigen, bärtigen Männergestalten sich abmühen zu hören, ein recht
leises Pianissimo-hinzuhauchen; bei andern mochten die Schwierigkeiten, welche
die Compositiv» zu überwinden gab, mehr zur Wahl beigetragen haben, als
der musikalische Werth. Wir hätten markigere, einfachere Tonstücke gewünscht,
ächten Männergesang. Vielleicht mochten die Grundsätze, nach welchen die
Kampfrichter die Wettgesänge zu beurtheilen h'alten, manches zu solchen Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98335"/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> einzuladen, Spornes genug für eine demokratische Provinzialstadt, zu zeigen, daß<lb/>
man Empfang und Bewirthung eidgenössischer Gäste versuche, ohne eben zu den<lb/>
sogenannten Hauptstädten zu zählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37"> Winterthur hat keine Kirche, geräumig genug, die tausende von Sängern<lb/>
und Zuhörern zu fassen; was thut das zur Sache? Man baut für das Fest<lb/>
eine eigne, geschlossene Säugerhalle aus Holz, 260 Fuß laug und 93 Fuß<lb/>
hoch und groß genua, in ihrem Hauptschiffe und den beiden Nebenschiffen und<lb/>
auf ihren Tribünen und Galerien 6000 Menschen zu fassen. Die langgestreckten<lb/>
Gassen Winterthurs verwandeln sich in einen Garten von Blumengewinden,<lb/>
die sich von Haus zu Haus und über die Straßen ziehen, von Ehrenpforten<lb/>
und Triumphbogen; die silbernen Becher, aus denen die Gäste den Willkomm-<lb/>
trunk in bestem Winterthurer trinken sollen, werden blank gescheuert und auf<lb/>
dem Stadthause sammeln sich ungeduldig die Mitglieder der vielen Comite'S.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_38"> Sonntag, den 16. Juli, Morgens 10 Uhr fand die feierliche Uebergabe<lb/>
der Fahnen statt. Die eidgenössische Fahne, welcher die Züricher eine Bedeckung<lb/>
von Berittenen mitgegeben hatten, flatterte bald, umweht von beinahe hundert<lb/>
Vereinsfahnen von dem Stadthause herunter. Den Willkommreden folgte<lb/>
der Chor &#x201E;Russe du, mein Vaterland" und der Ehrentrunk, worauf sich die<lb/>
Sänger zerstreuten^ um beim gemeinschaftlichen Mittagsmahle sich wieder¬<lb/>
zutreffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39"> Allein heute galt es, nüchtern zu bleiben; denn Nachmittags sollten die<lb/>
Wettgesänge zur Aufführung kommen. Neunzehn Vereine hatten sich zum<lb/>
Wettsingen gemeldet, und eine einladende Reihr kunstreich gearbeiteter Pokale<lb/>
winkte den glücklichen Siegern. Da hieß es seine Kräfte zusammenhalten.<lb/>
Mit ängstlicher Sorgfalt wachten daher die Directoren über die wettsingenden<lb/>
Kehlen ihrer Untergebenen, damit nicht eine plötzliche Heiserkeit der ersten<lb/>
Tenore die Anstrengungen vieler Wochen auf einmal vernichte, oder ein zu<lb/>
lebhaft gewordener Baß den richtigen Moment des Einfallenö und damit auch<lb/>
die Ehre des Tages verpasse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Die Aufzähl-ung aller wettsingenden Vereine und die Kritik der Leistungen<lb/>
eines jeden gehört nicht hierher; wir begnügen uns, den allgemeinen Eindruck<lb/>
des Ganzen zu skizziren. Aufgefallen ist, daß die Wahl der meisten zum Wett¬<lb/>
singen bestimmten Stücke auf Compositionen von vorwiegend sentimentalen<lb/>
Charakter fiel, und es machte bisweilen einen eigenthümlichen Eindruck, einen<lb/>
Chor von kräftigen, bärtigen Männergestalten sich abmühen zu hören, ein recht<lb/>
leises Pianissimo-hinzuhauchen; bei andern mochten die Schwierigkeiten, welche<lb/>
die Compositiv» zu überwinden gab, mehr zur Wahl beigetragen haben, als<lb/>
der musikalische Werth. Wir hätten markigere, einfachere Tonstücke gewünscht,<lb/>
ächten Männergesang. Vielleicht mochten die Grundsätze, nach welchen die<lb/>
Kampfrichter die Wettgesänge zu beurtheilen h'alten, manches zu solchen Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] einzuladen, Spornes genug für eine demokratische Provinzialstadt, zu zeigen, daß man Empfang und Bewirthung eidgenössischer Gäste versuche, ohne eben zu den sogenannten Hauptstädten zu zählen. Winterthur hat keine Kirche, geräumig genug, die tausende von Sängern und Zuhörern zu fassen; was thut das zur Sache? Man baut für das Fest eine eigne, geschlossene Säugerhalle aus Holz, 260 Fuß laug und 93 Fuß hoch und groß genua, in ihrem Hauptschiffe und den beiden Nebenschiffen und auf ihren Tribünen und Galerien 6000 Menschen zu fassen. Die langgestreckten Gassen Winterthurs verwandeln sich in einen Garten von Blumengewinden, die sich von Haus zu Haus und über die Straßen ziehen, von Ehrenpforten und Triumphbogen; die silbernen Becher, aus denen die Gäste den Willkomm- trunk in bestem Winterthurer trinken sollen, werden blank gescheuert und auf dem Stadthause sammeln sich ungeduldig die Mitglieder der vielen Comite'S. Sonntag, den 16. Juli, Morgens 10 Uhr fand die feierliche Uebergabe der Fahnen statt. Die eidgenössische Fahne, welcher die Züricher eine Bedeckung von Berittenen mitgegeben hatten, flatterte bald, umweht von beinahe hundert Vereinsfahnen von dem Stadthause herunter. Den Willkommreden folgte der Chor „Russe du, mein Vaterland" und der Ehrentrunk, worauf sich die Sänger zerstreuten^ um beim gemeinschaftlichen Mittagsmahle sich wieder¬ zutreffen. Allein heute galt es, nüchtern zu bleiben; denn Nachmittags sollten die Wettgesänge zur Aufführung kommen. Neunzehn Vereine hatten sich zum Wettsingen gemeldet, und eine einladende Reihr kunstreich gearbeiteter Pokale winkte den glücklichen Siegern. Da hieß es seine Kräfte zusammenhalten. Mit ängstlicher Sorgfalt wachten daher die Directoren über die wettsingenden Kehlen ihrer Untergebenen, damit nicht eine plötzliche Heiserkeit der ersten Tenore die Anstrengungen vieler Wochen auf einmal vernichte, oder ein zu lebhaft gewordener Baß den richtigen Moment des Einfallenö und damit auch die Ehre des Tages verpasse. Die Aufzähl-ung aller wettsingenden Vereine und die Kritik der Leistungen eines jeden gehört nicht hierher; wir begnügen uns, den allgemeinen Eindruck des Ganzen zu skizziren. Aufgefallen ist, daß die Wahl der meisten zum Wett¬ singen bestimmten Stücke auf Compositionen von vorwiegend sentimentalen Charakter fiel, und es machte bisweilen einen eigenthümlichen Eindruck, einen Chor von kräftigen, bärtigen Männergestalten sich abmühen zu hören, ein recht leises Pianissimo-hinzuhauchen; bei andern mochten die Schwierigkeiten, welche die Compositiv» zu überwinden gab, mehr zur Wahl beigetragen haben, als der musikalische Werth. Wir hätten markigere, einfachere Tonstücke gewünscht, ächten Männergesang. Vielleicht mochten die Grundsätze, nach welchen die Kampfrichter die Wettgesänge zu beurtheilen h'alten, manches zu solchen Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/21>, abgerufen am 22.07.2024.