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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Fragt man französische und englische Offiziere, so erfährt man in der
Regel nur Anekdoten. Die Franzosen nehmen ausschließlich nur Infanterie
und Artillerie mit sich, die Engländer aber außer diesen beiden Waffen auch
ein 300 Pferde starkes Cavalerieregiment. Die Thiere waren von der
Meerfahrt und den Mühen des Aus- und Einschiffens stark mitgenommen
worden; als in dem Treffen bei Alma die Zuaven neben dieser Truppe zum
Angriff vorgingen, konnten sich daher die leichtfüßigen Franzosen im pas A^m-
NÄLtiqus ebenso schnell wie die berittenen Engländer bewegen. Der Comman¬
deur der letzteren wendete sich erstaunt um und sagte: "zum Teufel sind denn
diese FranzmÄnner zu Pferd?"

In diesem Augenblick bietet Varna und die weite Bay im Nordergrunde
noch einen bewegten Anblick dar. Die Ebene und die darüber hinausliegen¬
den Berge, ringsum bedeckt mit den weißen Zelten der hier im Lager stehenden
französischen Division und englischen Cavalerie, auf der Rhede mehr als
100 Transportschiffe und Dampfer, dazwischen ein Gewimmel von Booten
und Barkassen, das ist ein Bild, zu dem man in diesem Augenblicke
wol nur auf dem Ufer der Krim selbst das Gegenstück finden mag. Auch in
anderen Tagen, wo mindestens ebensoviel Truppen in der Stadt und Um¬
gegend standen, nämlich noch vor Abgang der Armada, war es nicht so geräusch¬
voll innerhalb der weißen Festungsmauern. Der Tod hatte seine.schwarzen
Fittige über Stadt und Lager ausgebreitet; täglich starben über Hunden Men¬
schen an der Cholera und dem Sumpffieber. Diese Plage ist nunmehr gewi¬
chen; der Gesundheitszustand ist ein vortrefflicher geworden, und man begräbt
täglich kaum noch vier oder fünf Mann.

Der Winter wird in diesem Jahr für die Länder im Norden vom Balkan
und an beiden Ufern der untern Donau früher eintreten als sonst, und allem
Vermuthen nach wird er streng werden. Den vergangenen Monat, und zwar
schon in den ersten Tagen desselben sah man in der Walachei die Störche und
andre Zugvögel gen Süden ziehen. Rußland wird aus solchem Vorkommniß
indeß schwerlich Vortheile ziehen. Von der Donau ist es ein und für alle
Mal abgedrängt; höchstens daß es im Stande wäre, in die Dobrudscha ein¬
zubrechen, um von hier aus aufs neue seine Kräfte an Silistria zu versuchen,
welches noch vor Beginn der kalten Jahreszeit völlig wiederhergestellt und
stärker wie jemals sein wird.




Fragt man französische und englische Offiziere, so erfährt man in der
Regel nur Anekdoten. Die Franzosen nehmen ausschließlich nur Infanterie
und Artillerie mit sich, die Engländer aber außer diesen beiden Waffen auch
ein 300 Pferde starkes Cavalerieregiment. Die Thiere waren von der
Meerfahrt und den Mühen des Aus- und Einschiffens stark mitgenommen
worden; als in dem Treffen bei Alma die Zuaven neben dieser Truppe zum
Angriff vorgingen, konnten sich daher die leichtfüßigen Franzosen im pas A^m-
NÄLtiqus ebenso schnell wie die berittenen Engländer bewegen. Der Comman¬
deur der letzteren wendete sich erstaunt um und sagte: „zum Teufel sind denn
diese FranzmÄnner zu Pferd?"

In diesem Augenblick bietet Varna und die weite Bay im Nordergrunde
noch einen bewegten Anblick dar. Die Ebene und die darüber hinausliegen¬
den Berge, ringsum bedeckt mit den weißen Zelten der hier im Lager stehenden
französischen Division und englischen Cavalerie, auf der Rhede mehr als
100 Transportschiffe und Dampfer, dazwischen ein Gewimmel von Booten
und Barkassen, das ist ein Bild, zu dem man in diesem Augenblicke
wol nur auf dem Ufer der Krim selbst das Gegenstück finden mag. Auch in
anderen Tagen, wo mindestens ebensoviel Truppen in der Stadt und Um¬
gegend standen, nämlich noch vor Abgang der Armada, war es nicht so geräusch¬
voll innerhalb der weißen Festungsmauern. Der Tod hatte seine.schwarzen
Fittige über Stadt und Lager ausgebreitet; täglich starben über Hunden Men¬
schen an der Cholera und dem Sumpffieber. Diese Plage ist nunmehr gewi¬
chen; der Gesundheitszustand ist ein vortrefflicher geworden, und man begräbt
täglich kaum noch vier oder fünf Mann.

Der Winter wird in diesem Jahr für die Länder im Norden vom Balkan
und an beiden Ufern der untern Donau früher eintreten als sonst, und allem
Vermuthen nach wird er streng werden. Den vergangenen Monat, und zwar
schon in den ersten Tagen desselben sah man in der Walachei die Störche und
andre Zugvögel gen Süden ziehen. Rußland wird aus solchem Vorkommniß
indeß schwerlich Vortheile ziehen. Von der Donau ist es ein und für alle
Mal abgedrängt; höchstens daß es im Stande wäre, in die Dobrudscha ein¬
zubrechen, um von hier aus aufs neue seine Kräfte an Silistria zu versuchen,
welches noch vor Beginn der kalten Jahreszeit völlig wiederhergestellt und
stärker wie jemals sein wird.




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[0197] Fragt man französische und englische Offiziere, so erfährt man in der Regel nur Anekdoten. Die Franzosen nehmen ausschließlich nur Infanterie und Artillerie mit sich, die Engländer aber außer diesen beiden Waffen auch ein 300 Pferde starkes Cavalerieregiment. Die Thiere waren von der Meerfahrt und den Mühen des Aus- und Einschiffens stark mitgenommen worden; als in dem Treffen bei Alma die Zuaven neben dieser Truppe zum Angriff vorgingen, konnten sich daher die leichtfüßigen Franzosen im pas A^m- NÄLtiqus ebenso schnell wie die berittenen Engländer bewegen. Der Comman¬ deur der letzteren wendete sich erstaunt um und sagte: „zum Teufel sind denn diese FranzmÄnner zu Pferd?" In diesem Augenblick bietet Varna und die weite Bay im Nordergrunde noch einen bewegten Anblick dar. Die Ebene und die darüber hinausliegen¬ den Berge, ringsum bedeckt mit den weißen Zelten der hier im Lager stehenden französischen Division und englischen Cavalerie, auf der Rhede mehr als 100 Transportschiffe und Dampfer, dazwischen ein Gewimmel von Booten und Barkassen, das ist ein Bild, zu dem man in diesem Augenblicke wol nur auf dem Ufer der Krim selbst das Gegenstück finden mag. Auch in anderen Tagen, wo mindestens ebensoviel Truppen in der Stadt und Um¬ gegend standen, nämlich noch vor Abgang der Armada, war es nicht so geräusch¬ voll innerhalb der weißen Festungsmauern. Der Tod hatte seine.schwarzen Fittige über Stadt und Lager ausgebreitet; täglich starben über Hunden Men¬ schen an der Cholera und dem Sumpffieber. Diese Plage ist nunmehr gewi¬ chen; der Gesundheitszustand ist ein vortrefflicher geworden, und man begräbt täglich kaum noch vier oder fünf Mann. Der Winter wird in diesem Jahr für die Länder im Norden vom Balkan und an beiden Ufern der untern Donau früher eintreten als sonst, und allem Vermuthen nach wird er streng werden. Den vergangenen Monat, und zwar schon in den ersten Tagen desselben sah man in der Walachei die Störche und andre Zugvögel gen Süden ziehen. Rußland wird aus solchem Vorkommniß indeß schwerlich Vortheile ziehen. Von der Donau ist es ein und für alle Mal abgedrängt; höchstens daß es im Stande wäre, in die Dobrudscha ein¬ zubrechen, um von hier aus aufs neue seine Kräfte an Silistria zu versuchen, welches noch vor Beginn der kalten Jahreszeit völlig wiederhergestellt und stärker wie jemals sein wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/197>, abgerufen am 22.07.2024.