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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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und Metamorphosen in seinem wahren Lebensinhalt noch einförmiger sein. Die
Schwärmerei kann sich wenigstens in ihren Gegenstand immer gründlicher ver¬
tiefen, sie kann sich stärken, befestigen; sie kann sich dnrch Humanität und
Nachdenken verklären; der Frivolität dagegen fehlt der feste Boden, von dem
aus sie vorwärts schreiten kann. Man treibt mit jenem Ausdruck einen großen
Mißbrauch. So wird z. B. Voltaire von aller Welt für frivol gehalten, weil
er gegen Dinge, die den meisten Menschen als heilig gelten, einen argen und
allerdings ziemlich freveln Spott ausgeübt hat; aber bei alledem hatte er
einen festen Grund des Glaubens, der zwar sehr enge war, auf dem er aber
vollkommen feststand; und selbst in seinem Spott, wenn man von den Regungen
seiner Eitelkeit absteht, war ein positiver Inhalt, ja eine kräftige und gläubige
Leidenschaft gegen das, was er für schlecht hielt. Heines Gemüth dagegen ist
an nichts gefesselt; er ist in seinem Spott ebenso inconsequent, wie in seiner
Liebe, consequent nur in Äußerlichkeiten, nur in Beziehung aus Personen, die
ihn persönlich verletzt haben, wie Menzel, Maßmann, Eckstein u. s. w.

Eine eigentliche Lebenöcntwicklung dürfen wir also von seinen Memoiren
nicht erwarten, wol aber sehr viel anziehende und srappirende Einzelheiten.
Denn das ist der große Hauptvorzug eines ausgesprochenen Talents, man kann es
tadeln, verdammen, aber man muß Notiz von ihm nehmen: und so ist es auch
mit den vorliegenden Bänden. Wir haben, wenn wir ehrlich sein wollen,
nichts oder sast nichts darin gesunden, was wir billigen könnten, aber wir
haben alles mit einem gewissen Behagen gelesen, und wir glauben, daß es aller
Welt so gehen wird.

Heine theilt uns dies Mal noch nicht seine wirklichen Memoiren mit,
sondern nur Fragmente daraus. Aber wir glauben, daß er es überhaupt nicht
zu einem Ganzen bringen wird, da bei aller Elasticität seines Geistes doch zu
wenig Energie in ihm ist, um einen Stoff bis zur vollständigen Vollendung
zu beherrschen.

Der erste Band enthält die Geständnisse, neue Gedichte (90 Seiten), die
Götter im Erik nebst einem neuen Zusatz, die Göttin Diana, und biographische
Notizen über einen in Paris gestorbenen Freund, Ludwig Markus. Die beiden
folgenden Bände enthalten die Pariser Korrespondenzen der allgemeinen Zeitung
aus den Jahren 18i0 bis i2, mit Ergänzung der Censurlücken und retro-
spcctiven Nachträgen über sein Verhältniß zur Redaction und über seine po¬
litische Stellung im allgemeinen.

Die Geständnisse und die Götter im Erik haben wir bereits nach der
französischen Ausgabe in der Revue des deur mondes besprochen. Die Ge¬
ständnisse sind etwas erweitert, aber wir haben in den Zusätzen nichts Wesent¬
liches gesunden. Von welcher Art übrigens zum Theil diese Geständnisse sind,
davon müssen wir doch eine Probe geben, obgleich mit einigem Bedenken. Das


und Metamorphosen in seinem wahren Lebensinhalt noch einförmiger sein. Die
Schwärmerei kann sich wenigstens in ihren Gegenstand immer gründlicher ver¬
tiefen, sie kann sich stärken, befestigen; sie kann sich dnrch Humanität und
Nachdenken verklären; der Frivolität dagegen fehlt der feste Boden, von dem
aus sie vorwärts schreiten kann. Man treibt mit jenem Ausdruck einen großen
Mißbrauch. So wird z. B. Voltaire von aller Welt für frivol gehalten, weil
er gegen Dinge, die den meisten Menschen als heilig gelten, einen argen und
allerdings ziemlich freveln Spott ausgeübt hat; aber bei alledem hatte er
einen festen Grund des Glaubens, der zwar sehr enge war, auf dem er aber
vollkommen feststand; und selbst in seinem Spott, wenn man von den Regungen
seiner Eitelkeit absteht, war ein positiver Inhalt, ja eine kräftige und gläubige
Leidenschaft gegen das, was er für schlecht hielt. Heines Gemüth dagegen ist
an nichts gefesselt; er ist in seinem Spott ebenso inconsequent, wie in seiner
Liebe, consequent nur in Äußerlichkeiten, nur in Beziehung aus Personen, die
ihn persönlich verletzt haben, wie Menzel, Maßmann, Eckstein u. s. w.

Eine eigentliche Lebenöcntwicklung dürfen wir also von seinen Memoiren
nicht erwarten, wol aber sehr viel anziehende und srappirende Einzelheiten.
Denn das ist der große Hauptvorzug eines ausgesprochenen Talents, man kann es
tadeln, verdammen, aber man muß Notiz von ihm nehmen: und so ist es auch
mit den vorliegenden Bänden. Wir haben, wenn wir ehrlich sein wollen,
nichts oder sast nichts darin gesunden, was wir billigen könnten, aber wir
haben alles mit einem gewissen Behagen gelesen, und wir glauben, daß es aller
Welt so gehen wird.

Heine theilt uns dies Mal noch nicht seine wirklichen Memoiren mit,
sondern nur Fragmente daraus. Aber wir glauben, daß er es überhaupt nicht
zu einem Ganzen bringen wird, da bei aller Elasticität seines Geistes doch zu
wenig Energie in ihm ist, um einen Stoff bis zur vollständigen Vollendung
zu beherrschen.

Der erste Band enthält die Geständnisse, neue Gedichte (90 Seiten), die
Götter im Erik nebst einem neuen Zusatz, die Göttin Diana, und biographische
Notizen über einen in Paris gestorbenen Freund, Ludwig Markus. Die beiden
folgenden Bände enthalten die Pariser Korrespondenzen der allgemeinen Zeitung
aus den Jahren 18i0 bis i2, mit Ergänzung der Censurlücken und retro-
spcctiven Nachträgen über sein Verhältniß zur Redaction und über seine po¬
litische Stellung im allgemeinen.

Die Geständnisse und die Götter im Erik haben wir bereits nach der
französischen Ausgabe in der Revue des deur mondes besprochen. Die Ge¬
ständnisse sind etwas erweitert, aber wir haben in den Zusätzen nichts Wesent¬
liches gesunden. Von welcher Art übrigens zum Theil diese Geständnisse sind,
davon müssen wir doch eine Probe geben, obgleich mit einigem Bedenken. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/172>, abgerufen am 22.07.2024.