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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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dort in den deutschen Thälern heißt, des Gornerhorns, entdeckte man ein
neues Oberland, reich an grandiosen Naturscenen, an Eisfeldern und Wasser¬
fällen und mit einer vom Zusammenstoße mit der reisenden verdorbenen Welt
noch unberührten Bevölkerung. Zuerst nur von den Gourmands der Natur¬
bewunderer besucht, wuchs der Ruf dieser neu entdeckten Gebirgswelt von Jahr
zu Jahr, und jetzt erheben sich in Zermatt, dem wallisischen Jmerlaken, die
Hütels du Mont Cervin und du Monte Rosa, wo vor einigen Jahren nur
elende hölzerne Hütten standen; auf dem Rossel, 10,000 Fuß über dem mittel¬
ländischen Meere, findet seit Anbruch dieses Frühlings der Tourist den bekannten
Comfort schweizerischer Hotels. Wer möchte noch bezweifeln, daß Wallis nicht
mit aller Gewalt in die allgemeine europäische Civilisation hineingerissen wird,
lange bevor die neue Straße über den großen Se. Bernhard mit dem ge¬
waltigen Tunnel beendet ist, für dessen Herstellung die schweizerische Bundes¬
versammlung in der letzten Sommersitzung einen Beitrag von 300,000 si. votirt
hat, oder bevor die projectirte und concesstonirte Eisenbahn vom Genfer See
nach dem stillen Sitten hinaufbraust, dessen gottesfürchtige Ruhe bis jetzt nur
durch das Geläute der Kirchen- und Herdenglocken unterbrochen wurde.

Trotz seiner Abgeschiedenheit von der übrigen Welt haj es Wallis
Nie an gebildeten Männern gefehlt. Die politischen Geschäfte des Landes
wurden von einer Anzahl adliger Familien geleitet, die ihren Reichthum und
ihre Bildung in fremden Kriegsdiensten, vorzüglich in Frankreich, geholt hatten.
Die Walliser sind, wie ihre ganze Geschichte beweist, ein kriegerisches Volk;
daher haben sie zu den capitnlirten Truppen in Frankreich, in Spanien und
in Italien stets kein geringes Contingent geliefert; ihre Bärmann, de Ruck,
Riedmatten, Tafsiner stiegen dort zu hohen kriegerischen Ehren, und wenn in
neueren Zeiten der Canton Schwyz den Spaniern den Kriegsminister Bläser
geliefert hat, der in seinem Vaterlande es nur zum Standesweibel hatte bringen
können, so nimmt dafür Wallis die Ehre in Anspruch, Kalbermatlen, den
Kriegsminister von Plus IX. unter seine Bürger zu zählen. Zurückgekehrt in
ihre Heimat lebte" diese Herrn von ihren Pensionen und widmeten ihre Zeit
deu Landesgeschäften. Ist dies nun auch durch die Gunst oder Ungunst der
Zeile" anders geworden, so ist doch noch manches Herrenhaus im Wallis Sitz
französischer Bildung und alter französischer Courtoiste, und es ist nichts
Seltenes, daß der Reisende in Oberwallis mitten unter Hirtendörfern ärmlichen
Aussehens plötzlich auf ein stattliches Haus stößt, in welchem ein alter adliger
Herr, ehemals in königlich französischen Diensten, jetzt nnter seinen Pächtern
das patriarchalische Leben eines Seignenrs alten Stils führt. Französische
Sitte, städtisches Leben, Wein- und Getreidebau ist überwiegend im französischen
Unterwallis; weitauSeiuauderliegende Dörfer und Höfe, Viehzucht und Wiesen¬
bau charaktensiren daS deutsche Oberwallis. Die Sprachgrenze, die mitten


Grenzboten. IV- 4834. Z

dort in den deutschen Thälern heißt, des Gornerhorns, entdeckte man ein
neues Oberland, reich an grandiosen Naturscenen, an Eisfeldern und Wasser¬
fällen und mit einer vom Zusammenstoße mit der reisenden verdorbenen Welt
noch unberührten Bevölkerung. Zuerst nur von den Gourmands der Natur¬
bewunderer besucht, wuchs der Ruf dieser neu entdeckten Gebirgswelt von Jahr
zu Jahr, und jetzt erheben sich in Zermatt, dem wallisischen Jmerlaken, die
Hütels du Mont Cervin und du Monte Rosa, wo vor einigen Jahren nur
elende hölzerne Hütten standen; auf dem Rossel, 10,000 Fuß über dem mittel¬
ländischen Meere, findet seit Anbruch dieses Frühlings der Tourist den bekannten
Comfort schweizerischer Hotels. Wer möchte noch bezweifeln, daß Wallis nicht
mit aller Gewalt in die allgemeine europäische Civilisation hineingerissen wird,
lange bevor die neue Straße über den großen Se. Bernhard mit dem ge¬
waltigen Tunnel beendet ist, für dessen Herstellung die schweizerische Bundes¬
versammlung in der letzten Sommersitzung einen Beitrag von 300,000 si. votirt
hat, oder bevor die projectirte und concesstonirte Eisenbahn vom Genfer See
nach dem stillen Sitten hinaufbraust, dessen gottesfürchtige Ruhe bis jetzt nur
durch das Geläute der Kirchen- und Herdenglocken unterbrochen wurde.

Trotz seiner Abgeschiedenheit von der übrigen Welt haj es Wallis
Nie an gebildeten Männern gefehlt. Die politischen Geschäfte des Landes
wurden von einer Anzahl adliger Familien geleitet, die ihren Reichthum und
ihre Bildung in fremden Kriegsdiensten, vorzüglich in Frankreich, geholt hatten.
Die Walliser sind, wie ihre ganze Geschichte beweist, ein kriegerisches Volk;
daher haben sie zu den capitnlirten Truppen in Frankreich, in Spanien und
in Italien stets kein geringes Contingent geliefert; ihre Bärmann, de Ruck,
Riedmatten, Tafsiner stiegen dort zu hohen kriegerischen Ehren, und wenn in
neueren Zeiten der Canton Schwyz den Spaniern den Kriegsminister Bläser
geliefert hat, der in seinem Vaterlande es nur zum Standesweibel hatte bringen
können, so nimmt dafür Wallis die Ehre in Anspruch, Kalbermatlen, den
Kriegsminister von Plus IX. unter seine Bürger zu zählen. Zurückgekehrt in
ihre Heimat lebte» diese Herrn von ihren Pensionen und widmeten ihre Zeit
deu Landesgeschäften. Ist dies nun auch durch die Gunst oder Ungunst der
Zeile» anders geworden, so ist doch noch manches Herrenhaus im Wallis Sitz
französischer Bildung und alter französischer Courtoiste, und es ist nichts
Seltenes, daß der Reisende in Oberwallis mitten unter Hirtendörfern ärmlichen
Aussehens plötzlich auf ein stattliches Haus stößt, in welchem ein alter adliger
Herr, ehemals in königlich französischen Diensten, jetzt nnter seinen Pächtern
das patriarchalische Leben eines Seignenrs alten Stils führt. Französische
Sitte, städtisches Leben, Wein- und Getreidebau ist überwiegend im französischen
Unterwallis; weitauSeiuauderliegende Dörfer und Höfe, Viehzucht und Wiesen¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/17>, abgerufen am 22.07.2024.