Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Faust an den Makrokosmos stellte, stellte das gesammte Publicum an die Natur-
wissenschaft. Goethes Studien über die Farbenlehre, über die Metamorphose
der Pflanzen und Thiere haben denselben Grund, und Alexander von Hum¬
boldt, dem man wahrlich nicht vorwerfen wird, sich in irgendeiner Weise des
leichtsinnigen Verfahrens der Naturphilosophen schuldig gemacht zu haben, ging
doch gleichfalls auf diese constructiver Entwürfe ein und stand mit Goethe,
Schelling und Steffens auch in Beziehung auf ihren gemeinsamen Gegenstand
im besten Vernehmen.

Wenn man also damals daraus ausging, lebensvolle Anschauungen und
kühne Gedankenverbindungen ineinanderzuflechten, so ist diese Verbindung
später der eigentlichen Naturwissenschaft zugute gekommen; sie ist nicht mehr
ideenlos, sie ist nicht mehr unkünstlerisch; sie zerlegt nicht mehr blos, sondern
sie construirt: und darum bleibt der specifischen Philosophie kein rechter Spiel¬
raum mehr.

Freilich sind nun die Resultate der naturwissenschaftlichen Speculation auch
nicht von der Art, daß sie die gewöhnlichen mit dem Gemüth zusammenhän¬
genden Vorstellungen befriedigen; man kann es nicht leugnen, die Natur¬
wissenschaft ist wesentlich,atomistisch geworden, und wenn einzelne unter den
Gelehrten der entgegengesetzten Ansicht Concession machen, so merkt man doch
sehr bald heraus, daß dies nicht geschieht weil, sondern obgleich sie Natur¬
forscher sind. In der zuletzt genanten Schrift stellt nun Herr Rudolph Wagner
an seine College" die bestimmte Frage: sich über diese bestimmte Richtung der
Naturwissenschaft näher zu erklären. Mehr als diese Frage ist in seiner Rebe
eigentlich nicht enthalten, denn die Winke, die er zur Beantwortung derselben
gibt, könnten nur durch eine nähere Ausführung gerechtfertigt werden.")

Einen sehr unglücklichen Versuch, die beliebten Vorstellungen des Volks¬
glaubens mit den Principien des gesunden Menschenverstandes in Einklang zu
bringen, hat Herr Mayo gemacht. Er stellt die verschiedenen Formen des
Aberglaubens bei allen möglichen Völkern zusammen und sucht dieselben wenig¬
stens theilweise durch neuentdeckte physikalische Kräfte zu rechtfertigen, unter
denen namentlich das berühmte Ob eine große Rolle spielt. Das Buch ist
für Tischrückcr, Geisterklvpfer und ihresgleichen geschrieben. .

Die anderen Schriften gehen darauf aus, bekannte Thatsachen der Natur¬
wissenschaft dem Volk zu vermitteln, theils zur praktischen Anwendung, theils
zur Bereicherung des Gemüthes und der Phantasie. Am meisten scheint uns
das bei Herrn Körner gelungen, der ein sehr lebendiges Gemälde von dem
Gesammtgebiet der Natur, so weit sie den Zwecken der Menschen unterthänig
gemacht wird, entworfen hat.





") Im nächsten Heft mehr darüber.

Faust an den Makrokosmos stellte, stellte das gesammte Publicum an die Natur-
wissenschaft. Goethes Studien über die Farbenlehre, über die Metamorphose
der Pflanzen und Thiere haben denselben Grund, und Alexander von Hum¬
boldt, dem man wahrlich nicht vorwerfen wird, sich in irgendeiner Weise des
leichtsinnigen Verfahrens der Naturphilosophen schuldig gemacht zu haben, ging
doch gleichfalls auf diese constructiver Entwürfe ein und stand mit Goethe,
Schelling und Steffens auch in Beziehung auf ihren gemeinsamen Gegenstand
im besten Vernehmen.

Wenn man also damals daraus ausging, lebensvolle Anschauungen und
kühne Gedankenverbindungen ineinanderzuflechten, so ist diese Verbindung
später der eigentlichen Naturwissenschaft zugute gekommen; sie ist nicht mehr
ideenlos, sie ist nicht mehr unkünstlerisch; sie zerlegt nicht mehr blos, sondern
sie construirt: und darum bleibt der specifischen Philosophie kein rechter Spiel¬
raum mehr.

Freilich sind nun die Resultate der naturwissenschaftlichen Speculation auch
nicht von der Art, daß sie die gewöhnlichen mit dem Gemüth zusammenhän¬
genden Vorstellungen befriedigen; man kann es nicht leugnen, die Natur¬
wissenschaft ist wesentlich,atomistisch geworden, und wenn einzelne unter den
Gelehrten der entgegengesetzten Ansicht Concession machen, so merkt man doch
sehr bald heraus, daß dies nicht geschieht weil, sondern obgleich sie Natur¬
forscher sind. In der zuletzt genanten Schrift stellt nun Herr Rudolph Wagner
an seine College» die bestimmte Frage: sich über diese bestimmte Richtung der
Naturwissenschaft näher zu erklären. Mehr als diese Frage ist in seiner Rebe
eigentlich nicht enthalten, denn die Winke, die er zur Beantwortung derselben
gibt, könnten nur durch eine nähere Ausführung gerechtfertigt werden.")

Einen sehr unglücklichen Versuch, die beliebten Vorstellungen des Volks¬
glaubens mit den Principien des gesunden Menschenverstandes in Einklang zu
bringen, hat Herr Mayo gemacht. Er stellt die verschiedenen Formen des
Aberglaubens bei allen möglichen Völkern zusammen und sucht dieselben wenig¬
stens theilweise durch neuentdeckte physikalische Kräfte zu rechtfertigen, unter
denen namentlich das berühmte Ob eine große Rolle spielt. Das Buch ist
für Tischrückcr, Geisterklvpfer und ihresgleichen geschrieben. .

Die anderen Schriften gehen darauf aus, bekannte Thatsachen der Natur¬
wissenschaft dem Volk zu vermitteln, theils zur praktischen Anwendung, theils
zur Bereicherung des Gemüthes und der Phantasie. Am meisten scheint uns
das bei Herrn Körner gelungen, der ein sehr lebendiges Gemälde von dem
Gesammtgebiet der Natur, so weit sie den Zwecken der Menschen unterthänig
gemacht wird, entworfen hat.





") Im nächsten Heft mehr darüber.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98474"/>
          <p xml:id="ID_471" prev="#ID_470"> Faust an den Makrokosmos stellte, stellte das gesammte Publicum an die Natur-<lb/>
wissenschaft. Goethes Studien über die Farbenlehre, über die Metamorphose<lb/>
der Pflanzen und Thiere haben denselben Grund, und Alexander von Hum¬<lb/>
boldt, dem man wahrlich nicht vorwerfen wird, sich in irgendeiner Weise des<lb/>
leichtsinnigen Verfahrens der Naturphilosophen schuldig gemacht zu haben, ging<lb/>
doch gleichfalls auf diese constructiver Entwürfe ein und stand mit Goethe,<lb/>
Schelling und Steffens auch in Beziehung auf ihren gemeinsamen Gegenstand<lb/>
im besten Vernehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_472"> Wenn man also damals daraus ausging, lebensvolle Anschauungen und<lb/>
kühne Gedankenverbindungen ineinanderzuflechten, so ist diese Verbindung<lb/>
später der eigentlichen Naturwissenschaft zugute gekommen; sie ist nicht mehr<lb/>
ideenlos, sie ist nicht mehr unkünstlerisch; sie zerlegt nicht mehr blos, sondern<lb/>
sie construirt: und darum bleibt der specifischen Philosophie kein rechter Spiel¬<lb/>
raum mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_473"> Freilich sind nun die Resultate der naturwissenschaftlichen Speculation auch<lb/>
nicht von der Art, daß sie die gewöhnlichen mit dem Gemüth zusammenhän¬<lb/>
genden Vorstellungen befriedigen; man kann es nicht leugnen, die Natur¬<lb/>
wissenschaft ist wesentlich,atomistisch geworden, und wenn einzelne unter den<lb/>
Gelehrten der entgegengesetzten Ansicht Concession machen, so merkt man doch<lb/>
sehr bald heraus, daß dies nicht geschieht weil, sondern obgleich sie Natur¬<lb/>
forscher sind. In der zuletzt genanten Schrift stellt nun Herr Rudolph Wagner<lb/>
an seine College» die bestimmte Frage: sich über diese bestimmte Richtung der<lb/>
Naturwissenschaft näher zu erklären. Mehr als diese Frage ist in seiner Rebe<lb/>
eigentlich nicht enthalten, denn die Winke, die er zur Beantwortung derselben<lb/>
gibt, könnten nur durch eine nähere Ausführung gerechtfertigt werden.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_474"> Einen sehr unglücklichen Versuch, die beliebten Vorstellungen des Volks¬<lb/>
glaubens mit den Principien des gesunden Menschenverstandes in Einklang zu<lb/>
bringen, hat Herr Mayo gemacht. Er stellt die verschiedenen Formen des<lb/>
Aberglaubens bei allen möglichen Völkern zusammen und sucht dieselben wenig¬<lb/>
stens theilweise durch neuentdeckte physikalische Kräfte zu rechtfertigen, unter<lb/>
denen namentlich das berühmte Ob eine große Rolle spielt. Das Buch ist<lb/>
für Tischrückcr, Geisterklvpfer und ihresgleichen geschrieben. .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_475"> Die anderen Schriften gehen darauf aus, bekannte Thatsachen der Natur¬<lb/>
wissenschaft dem Volk zu vermitteln, theils zur praktischen Anwendung, theils<lb/>
zur Bereicherung des Gemüthes und der Phantasie. Am meisten scheint uns<lb/>
das bei Herrn Körner gelungen, der ein sehr lebendiges Gemälde von dem<lb/>
Gesammtgebiet der Natur, so weit sie den Zwecken der Menschen unterthänig<lb/>
gemacht wird, entworfen hat.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> ") Im nächsten Heft mehr darüber.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Faust an den Makrokosmos stellte, stellte das gesammte Publicum an die Natur- wissenschaft. Goethes Studien über die Farbenlehre, über die Metamorphose der Pflanzen und Thiere haben denselben Grund, und Alexander von Hum¬ boldt, dem man wahrlich nicht vorwerfen wird, sich in irgendeiner Weise des leichtsinnigen Verfahrens der Naturphilosophen schuldig gemacht zu haben, ging doch gleichfalls auf diese constructiver Entwürfe ein und stand mit Goethe, Schelling und Steffens auch in Beziehung auf ihren gemeinsamen Gegenstand im besten Vernehmen. Wenn man also damals daraus ausging, lebensvolle Anschauungen und kühne Gedankenverbindungen ineinanderzuflechten, so ist diese Verbindung später der eigentlichen Naturwissenschaft zugute gekommen; sie ist nicht mehr ideenlos, sie ist nicht mehr unkünstlerisch; sie zerlegt nicht mehr blos, sondern sie construirt: und darum bleibt der specifischen Philosophie kein rechter Spiel¬ raum mehr. Freilich sind nun die Resultate der naturwissenschaftlichen Speculation auch nicht von der Art, daß sie die gewöhnlichen mit dem Gemüth zusammenhän¬ genden Vorstellungen befriedigen; man kann es nicht leugnen, die Natur¬ wissenschaft ist wesentlich,atomistisch geworden, und wenn einzelne unter den Gelehrten der entgegengesetzten Ansicht Concession machen, so merkt man doch sehr bald heraus, daß dies nicht geschieht weil, sondern obgleich sie Natur¬ forscher sind. In der zuletzt genanten Schrift stellt nun Herr Rudolph Wagner an seine College» die bestimmte Frage: sich über diese bestimmte Richtung der Naturwissenschaft näher zu erklären. Mehr als diese Frage ist in seiner Rebe eigentlich nicht enthalten, denn die Winke, die er zur Beantwortung derselben gibt, könnten nur durch eine nähere Ausführung gerechtfertigt werden.") Einen sehr unglücklichen Versuch, die beliebten Vorstellungen des Volks¬ glaubens mit den Principien des gesunden Menschenverstandes in Einklang zu bringen, hat Herr Mayo gemacht. Er stellt die verschiedenen Formen des Aberglaubens bei allen möglichen Völkern zusammen und sucht dieselben wenig¬ stens theilweise durch neuentdeckte physikalische Kräfte zu rechtfertigen, unter denen namentlich das berühmte Ob eine große Rolle spielt. Das Buch ist für Tischrückcr, Geisterklvpfer und ihresgleichen geschrieben. . Die anderen Schriften gehen darauf aus, bekannte Thatsachen der Natur¬ wissenschaft dem Volk zu vermitteln, theils zur praktischen Anwendung, theils zur Bereicherung des Gemüthes und der Phantasie. Am meisten scheint uns das bei Herrn Körner gelungen, der ein sehr lebendiges Gemälde von dem Gesammtgebiet der Natur, so weit sie den Zwecken der Menschen unterthänig gemacht wird, entworfen hat. ") Im nächsten Heft mehr darüber.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/160>, abgerufen am 24.08.2024.