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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Vereine zählt aber jetzt die Schweiz mehre, die ein gesundes und kräftiges
Leben entwickeln. In Bern hat Edele einen Verein für Aufführung alter
classischer Musik gegründet, dessen Aufführungen sogar in der etwas nüchternen
Bundesstadt allgemeinen Beifall sich errangen; in Basel führt Reiter mit dem
durch ihn geleiteten Verein jeden Winter ein großes Oratorium mit voll¬
ständiger Orchesterbegleitung auf; von den großartigen Anstrengungen Zürichs,
das letzten Winter Tonstücke von Richard Wagner in einer Vollkommenheit
zur Aufführung brachte, die jeder fürstlichen Kapelle Ehre gemacht hätte, haben
seiner Zeit die öffentlichen Blätter berichtet; Genf hat vor ungefähr einem
Jahre ein Conservatorium für Musik gegründet; in Lausanne und Se. Gallen:c.
bestehen gleichfalls Musikvereine mit nicht unbedeutenden Mitteln. Alle diese
Vereine sollte die schweizerische Musikgesc.llschaft als Glieder eines großen
Ganzen in sich aufnehmen und in einen organischen Zusammenhang bringen,
wie wir ihn bei den Gesangvereinen finden werden; dann wäre möglich, nicht
nur den ursprünglichen Zweck des Vereins besser als bisher zu erreichen, sondern,
auch auf die Hebung der Musik in der Schweiz einen wichtigen Einfluß
zu gewinnen.

Merkwürdig war, daß dieses Jahr die Musikgesellschaft ihre Mitglieder
nach Wallis berufen hatte. In den letzten Jahren der alten Bundesverfassung
hatte man sich gewöhnt, die größeren schweizerischen Vereine beinahe aus¬
schließlich in den größeren Städten der ebenen Schweiz zusammentreten zu
sehen; seit der neuen Bundesverfassung zeigt sich das Bestreben, mit diesen
Zusammenkünften auch in die innere Schweiz, in die Thäler vorzudringen, die
dem gewöhnlichen Schweizerphilister nur aus seiner Schulgeograpl)le und aus
den Zeitungsblättern bekannt, sind. Man kann dies mit dem leisen und den
meisten noch unbewußten Streben nach größerer Centralisation zusammenstellen,
der die Schweiz trotz aller lauten Stimmen, die sich dagegen erheben, langsam
aber sicher entgegengeht.

Wol kann man sagen, Wallis ist für viele Schweizer erst seit -1848 be¬
kannter geworden.. Früher wegen der bekannten Halsauöwücbse' vieler seiner
Bewohner in der übrigen Schweiz verspottet, dann wegen der blutigen Kämpfe
seiner politischen Parteien gefürchtet, trat es mit dem Jahre 1848 in das fried¬
liche Concert sämmtlicher Cantone ein, und da vernahm auf einmal das große
Publicum, was vorher nur wenigen Eingeweihten bekannt war, daß Wallis
ein ganz ordentliches, Land sei, das seine Genüsse und Schönheiten besitze, um
die es andere Cantone sogar beneiden dürsten. Die neue Bundesverfassung
öffnete den trefflichen Walliser Weinen den Durchpaß durch den Canton Waadt,
der bisher seinen 1a Lolo und Vvorue durch einen Moe.u8 Kvrwvticiue von
Zöllen vor einer Invasion dieses Rivalen geschützt hatte; im Saaßthale und
im Nikolaithale am Fuße des Matterhorns und des Monte Rosa, oder wie es


Vereine zählt aber jetzt die Schweiz mehre, die ein gesundes und kräftiges
Leben entwickeln. In Bern hat Edele einen Verein für Aufführung alter
classischer Musik gegründet, dessen Aufführungen sogar in der etwas nüchternen
Bundesstadt allgemeinen Beifall sich errangen; in Basel führt Reiter mit dem
durch ihn geleiteten Verein jeden Winter ein großes Oratorium mit voll¬
ständiger Orchesterbegleitung auf; von den großartigen Anstrengungen Zürichs,
das letzten Winter Tonstücke von Richard Wagner in einer Vollkommenheit
zur Aufführung brachte, die jeder fürstlichen Kapelle Ehre gemacht hätte, haben
seiner Zeit die öffentlichen Blätter berichtet; Genf hat vor ungefähr einem
Jahre ein Conservatorium für Musik gegründet; in Lausanne und Se. Gallen:c.
bestehen gleichfalls Musikvereine mit nicht unbedeutenden Mitteln. Alle diese
Vereine sollte die schweizerische Musikgesc.llschaft als Glieder eines großen
Ganzen in sich aufnehmen und in einen organischen Zusammenhang bringen,
wie wir ihn bei den Gesangvereinen finden werden; dann wäre möglich, nicht
nur den ursprünglichen Zweck des Vereins besser als bisher zu erreichen, sondern,
auch auf die Hebung der Musik in der Schweiz einen wichtigen Einfluß
zu gewinnen.

Merkwürdig war, daß dieses Jahr die Musikgesellschaft ihre Mitglieder
nach Wallis berufen hatte. In den letzten Jahren der alten Bundesverfassung
hatte man sich gewöhnt, die größeren schweizerischen Vereine beinahe aus¬
schließlich in den größeren Städten der ebenen Schweiz zusammentreten zu
sehen; seit der neuen Bundesverfassung zeigt sich das Bestreben, mit diesen
Zusammenkünften auch in die innere Schweiz, in die Thäler vorzudringen, die
dem gewöhnlichen Schweizerphilister nur aus seiner Schulgeograpl)le und aus
den Zeitungsblättern bekannt, sind. Man kann dies mit dem leisen und den
meisten noch unbewußten Streben nach größerer Centralisation zusammenstellen,
der die Schweiz trotz aller lauten Stimmen, die sich dagegen erheben, langsam
aber sicher entgegengeht.

Wol kann man sagen, Wallis ist für viele Schweizer erst seit -1848 be¬
kannter geworden.. Früher wegen der bekannten Halsauöwücbse' vieler seiner
Bewohner in der übrigen Schweiz verspottet, dann wegen der blutigen Kämpfe
seiner politischen Parteien gefürchtet, trat es mit dem Jahre 1848 in das fried¬
liche Concert sämmtlicher Cantone ein, und da vernahm auf einmal das große
Publicum, was vorher nur wenigen Eingeweihten bekannt war, daß Wallis
ein ganz ordentliches, Land sei, das seine Genüsse und Schönheiten besitze, um
die es andere Cantone sogar beneiden dürsten. Die neue Bundesverfassung
öffnete den trefflichen Walliser Weinen den Durchpaß durch den Canton Waadt,
der bisher seinen 1a Lolo und Vvorue durch einen Moe.u8 Kvrwvticiue von
Zöllen vor einer Invasion dieses Rivalen geschützt hatte; im Saaßthale und
im Nikolaithale am Fuße des Matterhorns und des Monte Rosa, oder wie es


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[0016] Vereine zählt aber jetzt die Schweiz mehre, die ein gesundes und kräftiges Leben entwickeln. In Bern hat Edele einen Verein für Aufführung alter classischer Musik gegründet, dessen Aufführungen sogar in der etwas nüchternen Bundesstadt allgemeinen Beifall sich errangen; in Basel führt Reiter mit dem durch ihn geleiteten Verein jeden Winter ein großes Oratorium mit voll¬ ständiger Orchesterbegleitung auf; von den großartigen Anstrengungen Zürichs, das letzten Winter Tonstücke von Richard Wagner in einer Vollkommenheit zur Aufführung brachte, die jeder fürstlichen Kapelle Ehre gemacht hätte, haben seiner Zeit die öffentlichen Blätter berichtet; Genf hat vor ungefähr einem Jahre ein Conservatorium für Musik gegründet; in Lausanne und Se. Gallen:c. bestehen gleichfalls Musikvereine mit nicht unbedeutenden Mitteln. Alle diese Vereine sollte die schweizerische Musikgesc.llschaft als Glieder eines großen Ganzen in sich aufnehmen und in einen organischen Zusammenhang bringen, wie wir ihn bei den Gesangvereinen finden werden; dann wäre möglich, nicht nur den ursprünglichen Zweck des Vereins besser als bisher zu erreichen, sondern, auch auf die Hebung der Musik in der Schweiz einen wichtigen Einfluß zu gewinnen. Merkwürdig war, daß dieses Jahr die Musikgesellschaft ihre Mitglieder nach Wallis berufen hatte. In den letzten Jahren der alten Bundesverfassung hatte man sich gewöhnt, die größeren schweizerischen Vereine beinahe aus¬ schließlich in den größeren Städten der ebenen Schweiz zusammentreten zu sehen; seit der neuen Bundesverfassung zeigt sich das Bestreben, mit diesen Zusammenkünften auch in die innere Schweiz, in die Thäler vorzudringen, die dem gewöhnlichen Schweizerphilister nur aus seiner Schulgeograpl)le und aus den Zeitungsblättern bekannt, sind. Man kann dies mit dem leisen und den meisten noch unbewußten Streben nach größerer Centralisation zusammenstellen, der die Schweiz trotz aller lauten Stimmen, die sich dagegen erheben, langsam aber sicher entgegengeht. Wol kann man sagen, Wallis ist für viele Schweizer erst seit -1848 be¬ kannter geworden.. Früher wegen der bekannten Halsauöwücbse' vieler seiner Bewohner in der übrigen Schweiz verspottet, dann wegen der blutigen Kämpfe seiner politischen Parteien gefürchtet, trat es mit dem Jahre 1848 in das fried¬ liche Concert sämmtlicher Cantone ein, und da vernahm auf einmal das große Publicum, was vorher nur wenigen Eingeweihten bekannt war, daß Wallis ein ganz ordentliches, Land sei, das seine Genüsse und Schönheiten besitze, um die es andere Cantone sogar beneiden dürsten. Die neue Bundesverfassung öffnete den trefflichen Walliser Weinen den Durchpaß durch den Canton Waadt, der bisher seinen 1a Lolo und Vvorue durch einen Moe.u8 Kvrwvticiue von Zöllen vor einer Invasion dieses Rivalen geschützt hatte; im Saaßthale und im Nikolaithale am Fuße des Matterhorns und des Monte Rosa, oder wie es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/16>, abgerufen am 22.07.2024.