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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Vergangenheit in hellerem Lichte sehen, so ist dieses Mal doch nicht ant eine
Täuschung möglich. Wir können dreist behaupten, so schlimm ist es wirklich
noch nicht gewesen. -- Wir erkennen sehr wohl an, daß es nicht so leicht ist,
ein gutes historisches Bild zu malen, daß die Künstler, welche diesem Felde
ihre Thätigkeit zuwenden, noch dazu mit bedeutenden materiellen Schwierigkeiten
zu kämpfen haben, durch welche sie zu dem meist dankbareren Genre und der
ihm verwandteren Richtung gedrängt werden. Umsomehr würden wir uns ge¬
drungen suhlen, jede Leistung auf dem Felde der Historienmalerei selbst bei
großen Mängeln anzuerkennen, wenn sie dafür auf der andern Seite über¬
wiegende oder wenigstens gleichbedeutende Borzüge böte. -- Aber auch solche
Erscheinungen suchen wir (namentlich unter den historischen Bildern höheren Stils)
fast vergebens; und leider bleibt es nicht bei den historischen; es sind wol
einige, aber doch nicht viele Bilder da, an denen man eine rechte Freude hätte.
Ganz abgesehen von der Menge von Erbärmlichen, das man ganz und gar
von der Ausstellung zurückweisen sollte, das gewiß eine gute Hälfte der ge¬
stimmten Anzahl von Bildern beträgt, ist doch eine solche Menge von Richtigen,
vollkommen Inhaltlosem, daß man von neuem sich verwundern muß, wo eine solche
Masse von langer Weile hergekommen ist. -- An der bloßen materiellen Natur¬
wahrheit, an frappanter Wirkung oder gar am bloßen Machwerk haben wir doch
nachgrade genug. -- Und so erlassen Sie mir wol, Ihre Leser und mich mit
einer ausführlichen Beschreibung und Kritik zu ermüden; nur das wichtigere
will ich Ihnen nennen und an einigen vortrefflichen Bildern, die, Dank seis
den Musen, doch auch nicht fehlen, wollen wir uns erquicken. -- Ich muß
Ihnen doch wenigstens einige historische Bilder nennen. --

Da hat Herr Gentz ein großes Bild gemalt, "Christus und Maria
Magdalena bei ven Pharisäer Simon". -- Herr Gentz hat seinen
Paul Veronese fleißig studirt und mag bei mancher Copie nach ihm geschwitzt
haben, und wir müssen gestehen, er hat ihm manches Geheimniß der Farbe
abgemerkt. Das Bild ist vortrefflich zusammen, das Kolorit ernst und harmonisch,
das ist der sehr entschieden erste Eindruck des Bildes. Aber was nun weiter,
welchen Gedanken zu versinnlichen hat der Maler so gewaltige Mittel ange¬
strengt? .Wir wollen uns zuvor einmal der Geschichte erinnern, wie Christus
von der Sünderin sagte, die ihm die Füße mit ihren Haaren trocknete, sie
salbte und küßte: "Sie hat viel geliebt, drum sind ihr viele Sünden vergeben",
wie das Simon und die übrigen Tischgenossen nicht fassen konnten und sich
verwunderten. Von alle dem sehen wir nichts; nur einen ausdruckslosen
Christus und ebenso ausdruckslose oder karrikirte Nebenfiguren. Paul Vero-
neses Auffassungsweise heiliger Gegenstände ist für uns durchaus nicht ma߬
gebend; aber hätte doch Herr Gentz, da er ihn sonst so eifrig studirt, we¬
nigstens etwas von dessen anmuthig frischem Leben in sich aufgenommen und


Vergangenheit in hellerem Lichte sehen, so ist dieses Mal doch nicht ant eine
Täuschung möglich. Wir können dreist behaupten, so schlimm ist es wirklich
noch nicht gewesen. — Wir erkennen sehr wohl an, daß es nicht so leicht ist,
ein gutes historisches Bild zu malen, daß die Künstler, welche diesem Felde
ihre Thätigkeit zuwenden, noch dazu mit bedeutenden materiellen Schwierigkeiten
zu kämpfen haben, durch welche sie zu dem meist dankbareren Genre und der
ihm verwandteren Richtung gedrängt werden. Umsomehr würden wir uns ge¬
drungen suhlen, jede Leistung auf dem Felde der Historienmalerei selbst bei
großen Mängeln anzuerkennen, wenn sie dafür auf der andern Seite über¬
wiegende oder wenigstens gleichbedeutende Borzüge böte. — Aber auch solche
Erscheinungen suchen wir (namentlich unter den historischen Bildern höheren Stils)
fast vergebens; und leider bleibt es nicht bei den historischen; es sind wol
einige, aber doch nicht viele Bilder da, an denen man eine rechte Freude hätte.
Ganz abgesehen von der Menge von Erbärmlichen, das man ganz und gar
von der Ausstellung zurückweisen sollte, das gewiß eine gute Hälfte der ge¬
stimmten Anzahl von Bildern beträgt, ist doch eine solche Menge von Richtigen,
vollkommen Inhaltlosem, daß man von neuem sich verwundern muß, wo eine solche
Masse von langer Weile hergekommen ist. — An der bloßen materiellen Natur¬
wahrheit, an frappanter Wirkung oder gar am bloßen Machwerk haben wir doch
nachgrade genug. — Und so erlassen Sie mir wol, Ihre Leser und mich mit
einer ausführlichen Beschreibung und Kritik zu ermüden; nur das wichtigere
will ich Ihnen nennen und an einigen vortrefflichen Bildern, die, Dank seis
den Musen, doch auch nicht fehlen, wollen wir uns erquicken. — Ich muß
Ihnen doch wenigstens einige historische Bilder nennen. —

Da hat Herr Gentz ein großes Bild gemalt, „Christus und Maria
Magdalena bei ven Pharisäer Simon". — Herr Gentz hat seinen
Paul Veronese fleißig studirt und mag bei mancher Copie nach ihm geschwitzt
haben, und wir müssen gestehen, er hat ihm manches Geheimniß der Farbe
abgemerkt. Das Bild ist vortrefflich zusammen, das Kolorit ernst und harmonisch,
das ist der sehr entschieden erste Eindruck des Bildes. Aber was nun weiter,
welchen Gedanken zu versinnlichen hat der Maler so gewaltige Mittel ange¬
strengt? .Wir wollen uns zuvor einmal der Geschichte erinnern, wie Christus
von der Sünderin sagte, die ihm die Füße mit ihren Haaren trocknete, sie
salbte und küßte: „Sie hat viel geliebt, drum sind ihr viele Sünden vergeben",
wie das Simon und die übrigen Tischgenossen nicht fassen konnten und sich
verwunderten. Von alle dem sehen wir nichts; nur einen ausdruckslosen
Christus und ebenso ausdruckslose oder karrikirte Nebenfiguren. Paul Vero-
neses Auffassungsweise heiliger Gegenstände ist für uns durchaus nicht ma߬
gebend; aber hätte doch Herr Gentz, da er ihn sonst so eifrig studirt, we¬
nigstens etwas von dessen anmuthig frischem Leben in sich aufgenommen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/149>, abgerufen am 22.07.2024.