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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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bandes und für die unmittelbaren Bedürfnisse der Gemeinde nothwendig sind;
dagegen alle sogenannte Verschönerungen aus blos Ästhetischen Gründen bei
Seite zu lassen. Denn einmal geht durch solche Verbesserungen in der Regel
sehr vieles verloren, was für das Studium der Kunstgeschichte von der höchsten
Wichtigkeit ist, sodann sind wir zu leicht geneigt, die Bedürfnisse unsrer Privat¬
wohnungen, Reinlichkeit, Zierlichkeit,.Comfort u, f. w. auch auf die Kirchen
auszudehnen, wo sie nicht hingehören, da ein alterthümlicher Anstrich den
feierlichen Eindruck der Kirche nur erhöhen kann.

Für neue Bauten empfiehlt er einzig und allein den gothischen Stil. Bei¬
läufig bemerken wir, daß er wenigstens in der Regel diesen Ausdruck gebraucht,
nicht den neuerdings beliebten des germanischen Stils, und daß wir ihm
darin vollkommen beipflichten. Denn grade weil der Ausdruck "gothisch" gar
nichts sagt (daß eine Beziehung zu den Gothen nicht stattfindet, weiß jedes
Kind), eignet er sich ganz vortrefflich zur Bezeichnung eines bestimmten Kunst¬
stils, umsomehr, da er in dem Munde des Volks geläufig ist. Der Aus¬
druck "germanisch" dagegen sagt zugleich zu viel und zu wenig; denn der
gothische Stil ist ebensowenig auf Deutschland eingeschränkt, als er auf die
Gesammtentwicklung der deutschen Kunst ausgedehnt werden kann.

Aber Herr Reichensperger empfiehlt die gothische Baukunst keineswegs in
dem Sinn, wie es von so manchem dilettantischen Verehrer des Mittelalters
geschieht, die den alten Meistern allerlei Zierrathen, Schnörkel und Kuriositäten
absehen, und dann meinen, im Sinn des Mitelalterö zu bauen, wenn sie
diese bunten Schnörkel in so bunter Fülle als möglich überall anbringen,
gleichviel ob sie mit dem Stil der Umgebung übereinstimmen oder nicht. Man
soll sich vielmehr des architektonischen Gedankens bemeistern, der die Ent¬
wicklung der gothischen Baukunst bestimmt hat, und darum nicht die Pracht¬
bauten des 14. Jahrhunderts, sondern die einfachen und klaren Verhält¬
nisse der ersten Periode des gothischen Stils zum Vorbild nehmen, die in einer
kleinen Landkirche ebenso zur Geltung kommen können wie in der Kathedrale
einer Hauptstadt. Erst wenn die Technik in diesen ursprünglichen Verhältnissen
so vollständig zu Hause sein wird, daß die Kunst wieder ein eignes selbststän¬
diges Leben gewinnt, darf man an einen Fortschritt denken, der entweder
in derselben Art gescheben wird, wie im 14. Jahrhundert, oder was besser ist,
sell'stständig und aus eigner Kraft heraus.

Diese Gedanken sind nun in allen Einzelnheiten, so verständig und zweck¬
mäßig durchgeführt, mit so steter Beziehung auf das praktische Bedürfniß, daß
wir in dieser Beziehung dem Werk nur unsren vollständigen Beifall schenken
können. Ja selbst, indem wir zur Polemik übergehen, müssen wir voraus¬
schicken, daß wir, abstract genommen, den Principien, deren Anwendung wir
bekämpfen, gleichfalls beipflichten, und daß wir den Irrthum nur darin finden,


bandes und für die unmittelbaren Bedürfnisse der Gemeinde nothwendig sind;
dagegen alle sogenannte Verschönerungen aus blos Ästhetischen Gründen bei
Seite zu lassen. Denn einmal geht durch solche Verbesserungen in der Regel
sehr vieles verloren, was für das Studium der Kunstgeschichte von der höchsten
Wichtigkeit ist, sodann sind wir zu leicht geneigt, die Bedürfnisse unsrer Privat¬
wohnungen, Reinlichkeit, Zierlichkeit,.Comfort u, f. w. auch auf die Kirchen
auszudehnen, wo sie nicht hingehören, da ein alterthümlicher Anstrich den
feierlichen Eindruck der Kirche nur erhöhen kann.

Für neue Bauten empfiehlt er einzig und allein den gothischen Stil. Bei¬
läufig bemerken wir, daß er wenigstens in der Regel diesen Ausdruck gebraucht,
nicht den neuerdings beliebten des germanischen Stils, und daß wir ihm
darin vollkommen beipflichten. Denn grade weil der Ausdruck „gothisch" gar
nichts sagt (daß eine Beziehung zu den Gothen nicht stattfindet, weiß jedes
Kind), eignet er sich ganz vortrefflich zur Bezeichnung eines bestimmten Kunst¬
stils, umsomehr, da er in dem Munde des Volks geläufig ist. Der Aus¬
druck „germanisch" dagegen sagt zugleich zu viel und zu wenig; denn der
gothische Stil ist ebensowenig auf Deutschland eingeschränkt, als er auf die
Gesammtentwicklung der deutschen Kunst ausgedehnt werden kann.

Aber Herr Reichensperger empfiehlt die gothische Baukunst keineswegs in
dem Sinn, wie es von so manchem dilettantischen Verehrer des Mittelalters
geschieht, die den alten Meistern allerlei Zierrathen, Schnörkel und Kuriositäten
absehen, und dann meinen, im Sinn des Mitelalterö zu bauen, wenn sie
diese bunten Schnörkel in so bunter Fülle als möglich überall anbringen,
gleichviel ob sie mit dem Stil der Umgebung übereinstimmen oder nicht. Man
soll sich vielmehr des architektonischen Gedankens bemeistern, der die Ent¬
wicklung der gothischen Baukunst bestimmt hat, und darum nicht die Pracht¬
bauten des 14. Jahrhunderts, sondern die einfachen und klaren Verhält¬
nisse der ersten Periode des gothischen Stils zum Vorbild nehmen, die in einer
kleinen Landkirche ebenso zur Geltung kommen können wie in der Kathedrale
einer Hauptstadt. Erst wenn die Technik in diesen ursprünglichen Verhältnissen
so vollständig zu Hause sein wird, daß die Kunst wieder ein eignes selbststän¬
diges Leben gewinnt, darf man an einen Fortschritt denken, der entweder
in derselben Art gescheben wird, wie im 14. Jahrhundert, oder was besser ist,
sell'stständig und aus eigner Kraft heraus.

Diese Gedanken sind nun in allen Einzelnheiten, so verständig und zweck¬
mäßig durchgeführt, mit so steter Beziehung auf das praktische Bedürfniß, daß
wir in dieser Beziehung dem Werk nur unsren vollständigen Beifall schenken
können. Ja selbst, indem wir zur Polemik übergehen, müssen wir voraus¬
schicken, daß wir, abstract genommen, den Principien, deren Anwendung wir
bekämpfen, gleichfalls beipflichten, und daß wir den Irrthum nur darin finden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/144>, abgerufen am 22.07.2024.