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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Sie hat bessere Zeiten gekannt, namentlich als sie unter Schweden stand und
zur Hansa gehörte; ihr unrettbarer Rückgang begann eigentlich erst seit dem
Entstehen von Petersburg. Um den Residenzhafen zu füllen, untersagten näm¬
lich die Zaren den baltischen Seestädten, denen Peter I. die Erhaltung ihrer
Rechte und Privilegien feierlich zugeschworen, den wichtigsten Theil ihrer Aus¬
uno Einfuhrgeschäfte. Riga allein war so glücklich, unter Alexander einen
Theil seiner Rechte als Gnadengeschenk wiederzuerhalten. Unerbittlich ließ
man dagegen Reval in eine erzwungene GeschäftSlosigkeit versenkt; um so un¬
erbittlicher, weil es der (bis 183V) zollfreien finnischen Küste gegenüberliegt
und dem künstlich emporgcpflegten Wohlstande Petersburgs eine bedenkliche
Concurrenz gemacht haben würde. Die Petersburger Animosität war selbst
stark genug, um dort bis gegen das Ende der vierziger Jahre ein regelmäßiges
Anlanden der zwischen Lübeck, Stettin, Stockholm und Petersburg gehenden
Dampfschiffe zu verhindern; sogar sein Localverkehr mit Helsingfors und Kron¬
stäbe blieb den ausgesuchtesten Plackereien unterworfen.

Daß unter solchen Ukasen und Manipulationen Nepals Seeverkehr aufs
tiefste sinken mußte, bedarf keiner weitläufigen Versicherungen. Wie die Stadt
verarmte, , so wurde ihre Bürgerschaft in immer größere materielle Abhängigkeit
vom Landadel oder auch von Petersburg gezwungen. Die strebsamen Elemente,
welche sich hier nicht zu entfalten vermochten, verließen selbstverständlich die
Wohnungen der Väter, um im Innern des Zarenreichs die Kräfte auszubeuten,
deren Verwendung in der Heimat der Zarenbefehl unmöglich gemacht. Wäh¬
rend die Stadt zurückging, ihre Capitale fortzögen und das Heimatsbewußtsein
ihrer Bevölkerung sich abschwächte, kamen dennoch die Verluste dein künstlichen
Bau des militärischen Industriestaates nicht wirklich zugute'. In Reval aber
blieb fast nur Kleinhandel und jenes Pfahlbürgerthum, das im eingetretenen
Wege energielos fortlebt und mit dem Kleinsten sich begnügt, weil Größeres
unerreichbar scheint. --

Diese heutige Geschichte prägt sich im Gassenleben Revals aus, während
sein steinerner Körper von der großen hanseatischen Vergangenheit zeugt. Zwei
enge Thore führen zwischen verwitterten Festungsmauern vom Domberge in
die Stadt. Außer den uniformirten Angehörigen des Gouverneurpalasteö steigt
dort kaum ein Fußgänger herunter, wenn nicht etwa ein Handwerker, welcher
noch aus ältern Zeiten ausnahmsweise eine adlige Kundschaft bewahrte. Die
aristokratischen Equipagen rollen dagegen zahlreich -- durch diese Stadtstraßen
und weit hinunter bis gegen den Hafen, wo russische "Magazinisten" ihre
Waaren auslegen. Freilich sehen die Häuser, an denen sie vorüberjagen, kaum
darnach aus, als pb ihre Bewohner solcher kleiner Verdienste bedürften. Wer
Bremen, Lübeck oder das Innere Rigas kennt, der weiß es augenblicklich, daß
Reval deren Schwesterstadt. Dieselben hohen Häuser mit dem vorwärts ge-
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Grenzboten. IV. -I8i>i. , 17

Sie hat bessere Zeiten gekannt, namentlich als sie unter Schweden stand und
zur Hansa gehörte; ihr unrettbarer Rückgang begann eigentlich erst seit dem
Entstehen von Petersburg. Um den Residenzhafen zu füllen, untersagten näm¬
lich die Zaren den baltischen Seestädten, denen Peter I. die Erhaltung ihrer
Rechte und Privilegien feierlich zugeschworen, den wichtigsten Theil ihrer Aus¬
uno Einfuhrgeschäfte. Riga allein war so glücklich, unter Alexander einen
Theil seiner Rechte als Gnadengeschenk wiederzuerhalten. Unerbittlich ließ
man dagegen Reval in eine erzwungene GeschäftSlosigkeit versenkt; um so un¬
erbittlicher, weil es der (bis 183V) zollfreien finnischen Küste gegenüberliegt
und dem künstlich emporgcpflegten Wohlstande Petersburgs eine bedenkliche
Concurrenz gemacht haben würde. Die Petersburger Animosität war selbst
stark genug, um dort bis gegen das Ende der vierziger Jahre ein regelmäßiges
Anlanden der zwischen Lübeck, Stettin, Stockholm und Petersburg gehenden
Dampfschiffe zu verhindern; sogar sein Localverkehr mit Helsingfors und Kron¬
stäbe blieb den ausgesuchtesten Plackereien unterworfen.

Daß unter solchen Ukasen und Manipulationen Nepals Seeverkehr aufs
tiefste sinken mußte, bedarf keiner weitläufigen Versicherungen. Wie die Stadt
verarmte, , so wurde ihre Bürgerschaft in immer größere materielle Abhängigkeit
vom Landadel oder auch von Petersburg gezwungen. Die strebsamen Elemente,
welche sich hier nicht zu entfalten vermochten, verließen selbstverständlich die
Wohnungen der Väter, um im Innern des Zarenreichs die Kräfte auszubeuten,
deren Verwendung in der Heimat der Zarenbefehl unmöglich gemacht. Wäh¬
rend die Stadt zurückging, ihre Capitale fortzögen und das Heimatsbewußtsein
ihrer Bevölkerung sich abschwächte, kamen dennoch die Verluste dein künstlichen
Bau des militärischen Industriestaates nicht wirklich zugute'. In Reval aber
blieb fast nur Kleinhandel und jenes Pfahlbürgerthum, das im eingetretenen
Wege energielos fortlebt und mit dem Kleinsten sich begnügt, weil Größeres
unerreichbar scheint. —

Diese heutige Geschichte prägt sich im Gassenleben Revals aus, während
sein steinerner Körper von der großen hanseatischen Vergangenheit zeugt. Zwei
enge Thore führen zwischen verwitterten Festungsmauern vom Domberge in
die Stadt. Außer den uniformirten Angehörigen des Gouverneurpalasteö steigt
dort kaum ein Fußgänger herunter, wenn nicht etwa ein Handwerker, welcher
noch aus ältern Zeiten ausnahmsweise eine adlige Kundschaft bewahrte. Die
aristokratischen Equipagen rollen dagegen zahlreich — durch diese Stadtstraßen
und weit hinunter bis gegen den Hafen, wo russische „Magazinisten" ihre
Waaren auslegen. Freilich sehen die Häuser, an denen sie vorüberjagen, kaum
darnach aus, als pb ihre Bewohner solcher kleiner Verdienste bedürften. Wer
Bremen, Lübeck oder das Innere Rigas kennt, der weiß es augenblicklich, daß
Reval deren Schwesterstadt. Dieselben hohen Häuser mit dem vorwärts ge-
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[0137] Sie hat bessere Zeiten gekannt, namentlich als sie unter Schweden stand und zur Hansa gehörte; ihr unrettbarer Rückgang begann eigentlich erst seit dem Entstehen von Petersburg. Um den Residenzhafen zu füllen, untersagten näm¬ lich die Zaren den baltischen Seestädten, denen Peter I. die Erhaltung ihrer Rechte und Privilegien feierlich zugeschworen, den wichtigsten Theil ihrer Aus¬ uno Einfuhrgeschäfte. Riga allein war so glücklich, unter Alexander einen Theil seiner Rechte als Gnadengeschenk wiederzuerhalten. Unerbittlich ließ man dagegen Reval in eine erzwungene GeschäftSlosigkeit versenkt; um so un¬ erbittlicher, weil es der (bis 183V) zollfreien finnischen Küste gegenüberliegt und dem künstlich emporgcpflegten Wohlstande Petersburgs eine bedenkliche Concurrenz gemacht haben würde. Die Petersburger Animosität war selbst stark genug, um dort bis gegen das Ende der vierziger Jahre ein regelmäßiges Anlanden der zwischen Lübeck, Stettin, Stockholm und Petersburg gehenden Dampfschiffe zu verhindern; sogar sein Localverkehr mit Helsingfors und Kron¬ stäbe blieb den ausgesuchtesten Plackereien unterworfen. Daß unter solchen Ukasen und Manipulationen Nepals Seeverkehr aufs tiefste sinken mußte, bedarf keiner weitläufigen Versicherungen. Wie die Stadt verarmte, , so wurde ihre Bürgerschaft in immer größere materielle Abhängigkeit vom Landadel oder auch von Petersburg gezwungen. Die strebsamen Elemente, welche sich hier nicht zu entfalten vermochten, verließen selbstverständlich die Wohnungen der Väter, um im Innern des Zarenreichs die Kräfte auszubeuten, deren Verwendung in der Heimat der Zarenbefehl unmöglich gemacht. Wäh¬ rend die Stadt zurückging, ihre Capitale fortzögen und das Heimatsbewußtsein ihrer Bevölkerung sich abschwächte, kamen dennoch die Verluste dein künstlichen Bau des militärischen Industriestaates nicht wirklich zugute'. In Reval aber blieb fast nur Kleinhandel und jenes Pfahlbürgerthum, das im eingetretenen Wege energielos fortlebt und mit dem Kleinsten sich begnügt, weil Größeres unerreichbar scheint. — Diese heutige Geschichte prägt sich im Gassenleben Revals aus, während sein steinerner Körper von der großen hanseatischen Vergangenheit zeugt. Zwei enge Thore führen zwischen verwitterten Festungsmauern vom Domberge in die Stadt. Außer den uniformirten Angehörigen des Gouverneurpalasteö steigt dort kaum ein Fußgänger herunter, wenn nicht etwa ein Handwerker, welcher noch aus ältern Zeiten ausnahmsweise eine adlige Kundschaft bewahrte. Die aristokratischen Equipagen rollen dagegen zahlreich — durch diese Stadtstraßen und weit hinunter bis gegen den Hafen, wo russische „Magazinisten" ihre Waaren auslegen. Freilich sehen die Häuser, an denen sie vorüberjagen, kaum darnach aus, als pb ihre Bewohner solcher kleiner Verdienste bedürften. Wer Bremen, Lübeck oder das Innere Rigas kennt, der weiß es augenblicklich, daß Reval deren Schwesterstadt. Dieselben hohen Häuser mit dem vorwärts ge- ' Grenzboten. IV. -I8i>i. , 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/137>, abgerufen am 23.07.2024.