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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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tidal getrieben, sich der russischen Allianz anschließt, allerdings; aber dieser
Gewinn scheint uns doch ein verzweifelt geringer. Wir können in dieser Be¬
ziehung einen competentercn Richter citiren als wir es sind, den ehemaligen
preußischen Kriegsminister, dessen Worte wol noch in aller Gedächtniß sein
werden. -- Wenn aber die preußische Regierung glauben sollte, Nußland auch
für den Fall gewonnen zu haben, daß jetzt der Friede zu stände kommt, so
dürfte das doch ein ungeheurer, verhängnißvoller Irrthum sein. Die preu¬
ßische Haltung ist allerdings der russischen Politik die bequemste, vielleicht
bequemer als eine offene Allianz, aber sie ist nicht von der Art, ihr jenes Gefühl
einzuflößen, welches die Fortdauer der Verbindung wünschen läßt. Im Gegen¬
theil wird Nußland, wenn es jetzt durch die Starken eine Einbuße erleidet,
sich später an dem zu cnschädigcn suchen, der es seine Stärke nicht hat fühlen
lassen. Die Lage, in der sich Preußen sämmtlichen Mächten gegenüber befindet,
wenn heute der Friede geschlossen wird, ist wahrlich keine beneidenswerthe.

Oder hat Preußen doch einen Gewinn gemacht? Sind vielleicht diejenigen
deutschen Regierungen, die es früher immer mit Oestreich hielten, jetzt auf
Preußens Seite getreten? -- Wir trauen zwar der preußischen Diplomatie
keine übertriebene Scharsstcht zu, allein über diesen Punkt sie eines Bessern zu
belehren, halten wir doch für überflüssig.

Die Lage der Dinge ist sehr schlimm, schlimmer als vor den Tagen von
Olmütz. Damals führte Oestreich eine ähnliche Sprache gegen Preußen als
heute, aber damals war Preußen in seinem guten Recht und konnte sich nur
nicht zu dem Bewußtsein seiner Macht zusammenraffen. Wenn wir auch nicht
der Ansicht sind, die damals ausgesprochen wurde, daß der Starke seine Stärke
durch Zurückgehen bethätigt, so gestehen wir doch zu, daß es Augenblicke
gibt, wo der Starke vor dem Stärkern zurückgehen muß. -- Aber heute ist
die Sache anders. Was will Preußen auf die Beschuldigung Oestreichs ant¬
worten, daß es ein Wiverspruch sei, gewissen Anforderungen seine Unterstützung
zu verheißen und sogleich gegen dieselben Anforderungen moralische Bedenken
zu erheben?

Die Lage ist schlimm, aber sie ist nicht verzweifelt. Wie herausfordernd
auch die Sprache Oestreichs sein mag, es weiß doch sehr gut, daß es mehr
in seinem Interesse liegt, mit Preußen als gegen Preußen zu gehen. Den
ersten Schritt, den ihm Preußen entgegenkommt, wird es durch zwei corre-
spondirende Schritte erwidern. Wir sind keineswegs der Ansicht des Herrn
von Gerlach, daß es für einen Staat, der einen Fehler begangen, das größte
Heil sei, so tief als möglich gedemüthigt zu werden. Wir. halten diese Ansicht
für höchst unpatriotisch, für höchst unpreußisch. Jede Demüthigung beeinträch-.
ligt die Würde eines Staates ebensogut, als die eines einzelnen. Aber wenn
ein Staat einen Fehler begangen hat, so soll er ihn, sobald er ihn erkennt,


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tidal getrieben, sich der russischen Allianz anschließt, allerdings; aber dieser
Gewinn scheint uns doch ein verzweifelt geringer. Wir können in dieser Be¬
ziehung einen competentercn Richter citiren als wir es sind, den ehemaligen
preußischen Kriegsminister, dessen Worte wol noch in aller Gedächtniß sein
werden. — Wenn aber die preußische Regierung glauben sollte, Nußland auch
für den Fall gewonnen zu haben, daß jetzt der Friede zu stände kommt, so
dürfte das doch ein ungeheurer, verhängnißvoller Irrthum sein. Die preu¬
ßische Haltung ist allerdings der russischen Politik die bequemste, vielleicht
bequemer als eine offene Allianz, aber sie ist nicht von der Art, ihr jenes Gefühl
einzuflößen, welches die Fortdauer der Verbindung wünschen läßt. Im Gegen¬
theil wird Nußland, wenn es jetzt durch die Starken eine Einbuße erleidet,
sich später an dem zu cnschädigcn suchen, der es seine Stärke nicht hat fühlen
lassen. Die Lage, in der sich Preußen sämmtlichen Mächten gegenüber befindet,
wenn heute der Friede geschlossen wird, ist wahrlich keine beneidenswerthe.

Oder hat Preußen doch einen Gewinn gemacht? Sind vielleicht diejenigen
deutschen Regierungen, die es früher immer mit Oestreich hielten, jetzt auf
Preußens Seite getreten? — Wir trauen zwar der preußischen Diplomatie
keine übertriebene Scharsstcht zu, allein über diesen Punkt sie eines Bessern zu
belehren, halten wir doch für überflüssig.

Die Lage der Dinge ist sehr schlimm, schlimmer als vor den Tagen von
Olmütz. Damals führte Oestreich eine ähnliche Sprache gegen Preußen als
heute, aber damals war Preußen in seinem guten Recht und konnte sich nur
nicht zu dem Bewußtsein seiner Macht zusammenraffen. Wenn wir auch nicht
der Ansicht sind, die damals ausgesprochen wurde, daß der Starke seine Stärke
durch Zurückgehen bethätigt, so gestehen wir doch zu, daß es Augenblicke
gibt, wo der Starke vor dem Stärkern zurückgehen muß. — Aber heute ist
die Sache anders. Was will Preußen auf die Beschuldigung Oestreichs ant¬
worten, daß es ein Wiverspruch sei, gewissen Anforderungen seine Unterstützung
zu verheißen und sogleich gegen dieselben Anforderungen moralische Bedenken
zu erheben?

Die Lage ist schlimm, aber sie ist nicht verzweifelt. Wie herausfordernd
auch die Sprache Oestreichs sein mag, es weiß doch sehr gut, daß es mehr
in seinem Interesse liegt, mit Preußen als gegen Preußen zu gehen. Den
ersten Schritt, den ihm Preußen entgegenkommt, wird es durch zwei corre-
spondirende Schritte erwidern. Wir sind keineswegs der Ansicht des Herrn
von Gerlach, daß es für einen Staat, der einen Fehler begangen, das größte
Heil sei, so tief als möglich gedemüthigt zu werden. Wir. halten diese Ansicht
für höchst unpatriotisch, für höchst unpreußisch. Jede Demüthigung beeinträch-.
ligt die Würde eines Staates ebensogut, als die eines einzelnen. Aber wenn
ein Staat einen Fehler begangen hat, so soll er ihn, sobald er ihn erkennt,


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[0107] tidal getrieben, sich der russischen Allianz anschließt, allerdings; aber dieser Gewinn scheint uns doch ein verzweifelt geringer. Wir können in dieser Be¬ ziehung einen competentercn Richter citiren als wir es sind, den ehemaligen preußischen Kriegsminister, dessen Worte wol noch in aller Gedächtniß sein werden. — Wenn aber die preußische Regierung glauben sollte, Nußland auch für den Fall gewonnen zu haben, daß jetzt der Friede zu stände kommt, so dürfte das doch ein ungeheurer, verhängnißvoller Irrthum sein. Die preu¬ ßische Haltung ist allerdings der russischen Politik die bequemste, vielleicht bequemer als eine offene Allianz, aber sie ist nicht von der Art, ihr jenes Gefühl einzuflößen, welches die Fortdauer der Verbindung wünschen läßt. Im Gegen¬ theil wird Nußland, wenn es jetzt durch die Starken eine Einbuße erleidet, sich später an dem zu cnschädigcn suchen, der es seine Stärke nicht hat fühlen lassen. Die Lage, in der sich Preußen sämmtlichen Mächten gegenüber befindet, wenn heute der Friede geschlossen wird, ist wahrlich keine beneidenswerthe. Oder hat Preußen doch einen Gewinn gemacht? Sind vielleicht diejenigen deutschen Regierungen, die es früher immer mit Oestreich hielten, jetzt auf Preußens Seite getreten? — Wir trauen zwar der preußischen Diplomatie keine übertriebene Scharsstcht zu, allein über diesen Punkt sie eines Bessern zu belehren, halten wir doch für überflüssig. Die Lage der Dinge ist sehr schlimm, schlimmer als vor den Tagen von Olmütz. Damals führte Oestreich eine ähnliche Sprache gegen Preußen als heute, aber damals war Preußen in seinem guten Recht und konnte sich nur nicht zu dem Bewußtsein seiner Macht zusammenraffen. Wenn wir auch nicht der Ansicht sind, die damals ausgesprochen wurde, daß der Starke seine Stärke durch Zurückgehen bethätigt, so gestehen wir doch zu, daß es Augenblicke gibt, wo der Starke vor dem Stärkern zurückgehen muß. — Aber heute ist die Sache anders. Was will Preußen auf die Beschuldigung Oestreichs ant¬ worten, daß es ein Wiverspruch sei, gewissen Anforderungen seine Unterstützung zu verheißen und sogleich gegen dieselben Anforderungen moralische Bedenken zu erheben? Die Lage ist schlimm, aber sie ist nicht verzweifelt. Wie herausfordernd auch die Sprache Oestreichs sein mag, es weiß doch sehr gut, daß es mehr in seinem Interesse liegt, mit Preußen als gegen Preußen zu gehen. Den ersten Schritt, den ihm Preußen entgegenkommt, wird es durch zwei corre- spondirende Schritte erwidern. Wir sind keineswegs der Ansicht des Herrn von Gerlach, daß es für einen Staat, der einen Fehler begangen, das größte Heil sei, so tief als möglich gedemüthigt zu werden. Wir. halten diese Ansicht für höchst unpatriotisch, für höchst unpreußisch. Jede Demüthigung beeinträch-. ligt die Würde eines Staates ebensogut, als die eines einzelnen. Aber wenn ein Staat einen Fehler begangen hat, so soll er ihn, sobald er ihn erkennt, 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/107>, abgerufen am 22.07.2024.