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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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durch einen Schlag getroffen fühlen, der nicht einmal dem Staat, der wenig¬
stens zunächst'nur der Negierung gilt? Wie kann es den Privatmann, dem
sich seine Negierung nur durch Confiscationen, Ausweisungen und Ähnliche
Freundschaftsbezeugungen in Erinnerung bringt, verletzen, wenn ein fremder
Staat dieser Regierung gegenüber eine Sprache führt, die er am liebsten selbst
führen möchte, wenn er die Macht dazu hätte? Und doch ist es so: und wir
sind fest davon überzeugt, daß bei weitem in der Mehrzahl der preußischen
Staatsbürger, auch wenn sie das Verhalten der Regierung so mißbilligen
wie wir, sich dasselbe Gefühl geltend machen wird. Das ist das Geheimniß
eines geschichtlich aufgewachsenen Staatsorganismus, der das Leben des Ein¬
zelnen in das Leben des Ganzen-aufnimmt, und das ist es zugleich, was in
uns den Glauben an Preußens Bestimmung für Deutschland aufrechthält,
wenn' unser Verstand auch kein Mittel mehr zeigt, durch Wahrscheinlichkeits¬
rechnung .dieselbe zu bewähren.

Wir haben seit geraumer Zeit geschwiegen, weil wir in einem Moment
der allgemeinen Erschlaffung es für ziemlich gi'eichgiltig halten, was die Presse
überhaupt thut, und weil ein zweckloses Märtyrerthum uns als etwas Roman¬
tisches erscheint. Zudem versicherte die preußische Negierung fortwährend durch
ihre officiellen und nichtofficiellen Blätter, daß die Maxime ihres Handelns von
den Rathschlägen ihrer Freunde aus der Kreuzzeitung weit entfernt sei, und
daß sie von einer verborgenen Weisheit geleitet werde, die nur der Eingeweihte
verstehen könne. Namentlich versicherte sie direct und indirect überall, daß das
Publicum über die Stellung Oestreichs sich der unbegreiflichsten Verblendung
hingebe. Wir hatten zwar ziemlich starke Gründe, an diesen Versicherungen zu
zweifeln, aber wir konnten doch die Möglichkeit nicht ableugnen, daß in den
diplomatischen Verhandlungen so manches vorgekommen sei, was, wenn es
bekannt wäre, auf die Handlungsweise der verschiedenen Staaten ein andres
Licht werfen würde. Ein sehr weit verbreitetes und einflußreiches Organ, bei
dem wir einen Einfluß von Seiten der Negierungskreise durchaus nicht anneh¬
men konnten, erklärte sich zu unsrer Ueberraschung mit der Politik.des Cabiners
durchaus einverstanden und da es doch schwerlich ganz ohne Rücksicht auf
sein Publicum eine so entscheidende Wendung einschlug, so mußten wir anneh¬
men, daß die Opposition des preußischen Volks in dieser Frage wirklich nicht
so groß sei, als wir es uns vorgestellt hatten.

Jetzt ist aber der Schleier von diesen Geheimnissen gelüftet, und wir sind
in der That sehr begierig, wie die conservativen und demokratischen Freunde
der Regierung sich aussprechen werden. Wir sagen, der Schleier ist gelüftet,
obgleich für den gewöhnlichen Menschenverstand kein Schleier vorhanden war;
denn Oestreichs Politik erschien so zusammenhängend und folgerichtig) daß nur
durch Annahme einer völlig unbekannten und versteckten Thatsache ein Wider-


Grenzboten. IV. 18si. , -13

durch einen Schlag getroffen fühlen, der nicht einmal dem Staat, der wenig¬
stens zunächst'nur der Negierung gilt? Wie kann es den Privatmann, dem
sich seine Negierung nur durch Confiscationen, Ausweisungen und Ähnliche
Freundschaftsbezeugungen in Erinnerung bringt, verletzen, wenn ein fremder
Staat dieser Regierung gegenüber eine Sprache führt, die er am liebsten selbst
führen möchte, wenn er die Macht dazu hätte? Und doch ist es so: und wir
sind fest davon überzeugt, daß bei weitem in der Mehrzahl der preußischen
Staatsbürger, auch wenn sie das Verhalten der Regierung so mißbilligen
wie wir, sich dasselbe Gefühl geltend machen wird. Das ist das Geheimniß
eines geschichtlich aufgewachsenen Staatsorganismus, der das Leben des Ein¬
zelnen in das Leben des Ganzen-aufnimmt, und das ist es zugleich, was in
uns den Glauben an Preußens Bestimmung für Deutschland aufrechthält,
wenn' unser Verstand auch kein Mittel mehr zeigt, durch Wahrscheinlichkeits¬
rechnung .dieselbe zu bewähren.

Wir haben seit geraumer Zeit geschwiegen, weil wir in einem Moment
der allgemeinen Erschlaffung es für ziemlich gi'eichgiltig halten, was die Presse
überhaupt thut, und weil ein zweckloses Märtyrerthum uns als etwas Roman¬
tisches erscheint. Zudem versicherte die preußische Negierung fortwährend durch
ihre officiellen und nichtofficiellen Blätter, daß die Maxime ihres Handelns von
den Rathschlägen ihrer Freunde aus der Kreuzzeitung weit entfernt sei, und
daß sie von einer verborgenen Weisheit geleitet werde, die nur der Eingeweihte
verstehen könne. Namentlich versicherte sie direct und indirect überall, daß das
Publicum über die Stellung Oestreichs sich der unbegreiflichsten Verblendung
hingebe. Wir hatten zwar ziemlich starke Gründe, an diesen Versicherungen zu
zweifeln, aber wir konnten doch die Möglichkeit nicht ableugnen, daß in den
diplomatischen Verhandlungen so manches vorgekommen sei, was, wenn es
bekannt wäre, auf die Handlungsweise der verschiedenen Staaten ein andres
Licht werfen würde. Ein sehr weit verbreitetes und einflußreiches Organ, bei
dem wir einen Einfluß von Seiten der Negierungskreise durchaus nicht anneh¬
men konnten, erklärte sich zu unsrer Ueberraschung mit der Politik.des Cabiners
durchaus einverstanden und da es doch schwerlich ganz ohne Rücksicht auf
sein Publicum eine so entscheidende Wendung einschlug, so mußten wir anneh¬
men, daß die Opposition des preußischen Volks in dieser Frage wirklich nicht
so groß sei, als wir es uns vorgestellt hatten.

Jetzt ist aber der Schleier von diesen Geheimnissen gelüftet, und wir sind
in der That sehr begierig, wie die conservativen und demokratischen Freunde
der Regierung sich aussprechen werden. Wir sagen, der Schleier ist gelüftet,
obgleich für den gewöhnlichen Menschenverstand kein Schleier vorhanden war;
denn Oestreichs Politik erschien so zusammenhängend und folgerichtig) daß nur
durch Annahme einer völlig unbekannten und versteckten Thatsache ein Wider-


Grenzboten. IV. 18si. , -13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/105>, abgerufen am 24.08.2024.