Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Costüms, der Beziehungen auf allgemein bekannte historische Thatsachen ver¬
schmäht hat, ist an sich sehr zu loben. Allein der Dichter, wenn er sich einmal
an die gefährliche Aufgabe, ein historisches Zeitalter zu schildern, und so ge¬
wissermaßen der Wissenschaft ins Handwerk zu greifen, wagt, geht dadurch noth¬
wendigerweise zweierlei Verpflichtungen ein: einerseits nichts darzustellen, was
der innern Einheit und Harmonie seiner Dichtung, was der poetischen Wahr¬
heit widersprechen könnte; andrerseits diejenigen Momente stark hervorzuheben,
die dem geschilderten Zeitalter wesentlich waren, die seinen Unterschied von allen
übrigen Zeitaltern bestimmen, und dagegen alles Unwesentliche fallen zu lassen.
Gegen beide Verpflichtungen versündigt sich Tieck auf unerhörte Weise. Er
führt in den Gesprächen und Reden seiner Personen Gedankenverbindungen,
Stimmungen, Schattirungen der Empfindung, Neflerionen und Ideale ein, die
nicht nur mit der wirklichen Bildung des Zeitalters im schreiendsten Wider¬
spruche stehen, sondern die auch die Handlung, welche neben jenen Reden und
Gesprächen hergeht, unmöglich machen. Mit einem Worte, und wir über¬
nehmen es, diese Behauptung auf jeder einzelnen Seite zu belegen: die Ritter
des -13., die Höflinge des -Is., die Dichter des -16. und die Fanatiker des
-18..Jahrhunderts empfinden, denken und reden genau auf dieselbe Weise, wie die
feingebildete Thecgesellschaft im Phantasus empfindet, denkt und redet, auf die¬
selbe Weise, an die Heinrich von Ofterdingen, Franz Sternbald, der Zauberring
und die Serapionsbrüder uns gewöhnt hatten. Diese Formen des Empfindens,
Denkens und Redens gehören keinem bestimmten, wirklichen oder möglichen
Zeitalter an, sie schweben völlig in der Luft und zeigen uns nur die Reflexion
des Autors, nicht die Gegenstände selbst.

Nun liegt aber in dem, was man empfindet und denkt, zugleich auch die
Seele der Handlung. Man macht die Sache also nicht damit ab, daß man
sagt, diese oder jene Bemerkung hätte wegfallen sollen, weil sie die Harmonie
der Färbung stört, sondern es liegt darin zugleich der Schlüssel für die falschen
Motive und Handlungen, für die Versündigung an der höher" Kunstwahrhcit
und Idealität, die undenkbar ist, wenn sie nicht auf der Grundlage der Natur
beruht.,

Aus dieser mißverstandenen Idealität läßt sich auch das wegwerfende
Urtheil erklären, das Tieck über Walter Scott fällt. Er bemerkt einmal, es
habe ihm, um ein wahrer Dichter zu sein, nur eine Kleinigkeit gefehlt, aber
diese Kleinigkeit sei wichtiger, als alle die großen Vorzüge, die ihm.wirklich
zukämen. Wenn wir nun fragen, was Tieck unter jener Kleinigkeit verstanden
habe, so kann es nur folgendes sein. Daß Walter Scott die Fähigkeit besaß,
wirkliche Gestalten zu schaffen, und sie zu einer folgerichtigen, spannenden
Action zu verflechten, wird selbst Tieck bemerkt haben, aber es fehlte ihm die
Fähigkeit, diese Gestalten wieder so auszulösen, zu vergeistigen, zu sublimiren,


Costüms, der Beziehungen auf allgemein bekannte historische Thatsachen ver¬
schmäht hat, ist an sich sehr zu loben. Allein der Dichter, wenn er sich einmal
an die gefährliche Aufgabe, ein historisches Zeitalter zu schildern, und so ge¬
wissermaßen der Wissenschaft ins Handwerk zu greifen, wagt, geht dadurch noth¬
wendigerweise zweierlei Verpflichtungen ein: einerseits nichts darzustellen, was
der innern Einheit und Harmonie seiner Dichtung, was der poetischen Wahr¬
heit widersprechen könnte; andrerseits diejenigen Momente stark hervorzuheben,
die dem geschilderten Zeitalter wesentlich waren, die seinen Unterschied von allen
übrigen Zeitaltern bestimmen, und dagegen alles Unwesentliche fallen zu lassen.
Gegen beide Verpflichtungen versündigt sich Tieck auf unerhörte Weise. Er
führt in den Gesprächen und Reden seiner Personen Gedankenverbindungen,
Stimmungen, Schattirungen der Empfindung, Neflerionen und Ideale ein, die
nicht nur mit der wirklichen Bildung des Zeitalters im schreiendsten Wider¬
spruche stehen, sondern die auch die Handlung, welche neben jenen Reden und
Gesprächen hergeht, unmöglich machen. Mit einem Worte, und wir über¬
nehmen es, diese Behauptung auf jeder einzelnen Seite zu belegen: die Ritter
des -13., die Höflinge des -Is., die Dichter des -16. und die Fanatiker des
-18..Jahrhunderts empfinden, denken und reden genau auf dieselbe Weise, wie die
feingebildete Thecgesellschaft im Phantasus empfindet, denkt und redet, auf die¬
selbe Weise, an die Heinrich von Ofterdingen, Franz Sternbald, der Zauberring
und die Serapionsbrüder uns gewöhnt hatten. Diese Formen des Empfindens,
Denkens und Redens gehören keinem bestimmten, wirklichen oder möglichen
Zeitalter an, sie schweben völlig in der Luft und zeigen uns nur die Reflexion
des Autors, nicht die Gegenstände selbst.

Nun liegt aber in dem, was man empfindet und denkt, zugleich auch die
Seele der Handlung. Man macht die Sache also nicht damit ab, daß man
sagt, diese oder jene Bemerkung hätte wegfallen sollen, weil sie die Harmonie
der Färbung stört, sondern es liegt darin zugleich der Schlüssel für die falschen
Motive und Handlungen, für die Versündigung an der höher» Kunstwahrhcit
und Idealität, die undenkbar ist, wenn sie nicht auf der Grundlage der Natur
beruht.,

Aus dieser mißverstandenen Idealität läßt sich auch das wegwerfende
Urtheil erklären, das Tieck über Walter Scott fällt. Er bemerkt einmal, es
habe ihm, um ein wahrer Dichter zu sein, nur eine Kleinigkeit gefehlt, aber
diese Kleinigkeit sei wichtiger, als alle die großen Vorzüge, die ihm.wirklich
zukämen. Wenn wir nun fragen, was Tieck unter jener Kleinigkeit verstanden
habe, so kann es nur folgendes sein. Daß Walter Scott die Fähigkeit besaß,
wirkliche Gestalten zu schaffen, und sie zu einer folgerichtigen, spannenden
Action zu verflechten, wird selbst Tieck bemerkt haben, aber es fehlte ihm die
Fähigkeit, diese Gestalten wieder so auszulösen, zu vergeistigen, zu sublimiren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281249"/>
            <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> Costüms, der Beziehungen auf allgemein bekannte historische Thatsachen ver¬<lb/>
schmäht hat, ist an sich sehr zu loben. Allein der Dichter, wenn er sich einmal<lb/>
an die gefährliche Aufgabe, ein historisches Zeitalter zu schildern, und so ge¬<lb/>
wissermaßen der Wissenschaft ins Handwerk zu greifen, wagt, geht dadurch noth¬<lb/>
wendigerweise zweierlei Verpflichtungen ein: einerseits nichts darzustellen, was<lb/>
der innern Einheit und Harmonie seiner Dichtung, was der poetischen Wahr¬<lb/>
heit widersprechen könnte; andrerseits diejenigen Momente stark hervorzuheben,<lb/>
die dem geschilderten Zeitalter wesentlich waren, die seinen Unterschied von allen<lb/>
übrigen Zeitaltern bestimmen, und dagegen alles Unwesentliche fallen zu lassen.<lb/>
Gegen beide Verpflichtungen versündigt sich Tieck auf unerhörte Weise. Er<lb/>
führt in den Gesprächen und Reden seiner Personen Gedankenverbindungen,<lb/>
Stimmungen, Schattirungen der Empfindung, Neflerionen und Ideale ein, die<lb/>
nicht nur mit der wirklichen Bildung des Zeitalters im schreiendsten Wider¬<lb/>
spruche stehen, sondern die auch die Handlung, welche neben jenen Reden und<lb/>
Gesprächen hergeht, unmöglich machen. Mit einem Worte, und wir über¬<lb/>
nehmen es, diese Behauptung auf jeder einzelnen Seite zu belegen: die Ritter<lb/>
des -13., die Höflinge des -Is., die Dichter des -16. und die Fanatiker des<lb/>
-18..Jahrhunderts empfinden, denken und reden genau auf dieselbe Weise, wie die<lb/>
feingebildete Thecgesellschaft im Phantasus empfindet, denkt und redet, auf die¬<lb/>
selbe Weise, an die Heinrich von Ofterdingen, Franz Sternbald, der Zauberring<lb/>
und die Serapionsbrüder uns gewöhnt hatten. Diese Formen des Empfindens,<lb/>
Denkens und Redens gehören keinem bestimmten, wirklichen oder möglichen<lb/>
Zeitalter an, sie schweben völlig in der Luft und zeigen uns nur die Reflexion<lb/>
des Autors, nicht die Gegenstände selbst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_296"> Nun liegt aber in dem, was man empfindet und denkt, zugleich auch die<lb/>
Seele der Handlung. Man macht die Sache also nicht damit ab, daß man<lb/>
sagt, diese oder jene Bemerkung hätte wegfallen sollen, weil sie die Harmonie<lb/>
der Färbung stört, sondern es liegt darin zugleich der Schlüssel für die falschen<lb/>
Motive und Handlungen, für die Versündigung an der höher» Kunstwahrhcit<lb/>
und Idealität, die undenkbar ist, wenn sie nicht auf der Grundlage der Natur<lb/>
beruht.,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_297" next="#ID_298"> Aus dieser mißverstandenen Idealität läßt sich auch das wegwerfende<lb/>
Urtheil erklären, das Tieck über Walter Scott fällt. Er bemerkt einmal, es<lb/>
habe ihm, um ein wahrer Dichter zu sein, nur eine Kleinigkeit gefehlt, aber<lb/>
diese Kleinigkeit sei wichtiger, als alle die großen Vorzüge, die ihm.wirklich<lb/>
zukämen. Wenn wir nun fragen, was Tieck unter jener Kleinigkeit verstanden<lb/>
habe, so kann es nur folgendes sein. Daß Walter Scott die Fähigkeit besaß,<lb/>
wirkliche Gestalten zu schaffen, und sie zu einer folgerichtigen, spannenden<lb/>
Action zu verflechten, wird selbst Tieck bemerkt haben, aber es fehlte ihm die<lb/>
Fähigkeit, diese Gestalten wieder so auszulösen, zu vergeistigen, zu sublimiren,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] Costüms, der Beziehungen auf allgemein bekannte historische Thatsachen ver¬ schmäht hat, ist an sich sehr zu loben. Allein der Dichter, wenn er sich einmal an die gefährliche Aufgabe, ein historisches Zeitalter zu schildern, und so ge¬ wissermaßen der Wissenschaft ins Handwerk zu greifen, wagt, geht dadurch noth¬ wendigerweise zweierlei Verpflichtungen ein: einerseits nichts darzustellen, was der innern Einheit und Harmonie seiner Dichtung, was der poetischen Wahr¬ heit widersprechen könnte; andrerseits diejenigen Momente stark hervorzuheben, die dem geschilderten Zeitalter wesentlich waren, die seinen Unterschied von allen übrigen Zeitaltern bestimmen, und dagegen alles Unwesentliche fallen zu lassen. Gegen beide Verpflichtungen versündigt sich Tieck auf unerhörte Weise. Er führt in den Gesprächen und Reden seiner Personen Gedankenverbindungen, Stimmungen, Schattirungen der Empfindung, Neflerionen und Ideale ein, die nicht nur mit der wirklichen Bildung des Zeitalters im schreiendsten Wider¬ spruche stehen, sondern die auch die Handlung, welche neben jenen Reden und Gesprächen hergeht, unmöglich machen. Mit einem Worte, und wir über¬ nehmen es, diese Behauptung auf jeder einzelnen Seite zu belegen: die Ritter des -13., die Höflinge des -Is., die Dichter des -16. und die Fanatiker des -18..Jahrhunderts empfinden, denken und reden genau auf dieselbe Weise, wie die feingebildete Thecgesellschaft im Phantasus empfindet, denkt und redet, auf die¬ selbe Weise, an die Heinrich von Ofterdingen, Franz Sternbald, der Zauberring und die Serapionsbrüder uns gewöhnt hatten. Diese Formen des Empfindens, Denkens und Redens gehören keinem bestimmten, wirklichen oder möglichen Zeitalter an, sie schweben völlig in der Luft und zeigen uns nur die Reflexion des Autors, nicht die Gegenstände selbst. Nun liegt aber in dem, was man empfindet und denkt, zugleich auch die Seele der Handlung. Man macht die Sache also nicht damit ab, daß man sagt, diese oder jene Bemerkung hätte wegfallen sollen, weil sie die Harmonie der Färbung stört, sondern es liegt darin zugleich der Schlüssel für die falschen Motive und Handlungen, für die Versündigung an der höher» Kunstwahrhcit und Idealität, die undenkbar ist, wenn sie nicht auf der Grundlage der Natur beruht., Aus dieser mißverstandenen Idealität läßt sich auch das wegwerfende Urtheil erklären, das Tieck über Walter Scott fällt. Er bemerkt einmal, es habe ihm, um ein wahrer Dichter zu sein, nur eine Kleinigkeit gefehlt, aber diese Kleinigkeit sei wichtiger, als alle die großen Vorzüge, die ihm.wirklich zukämen. Wenn wir nun fragen, was Tieck unter jener Kleinigkeit verstanden habe, so kann es nur folgendes sein. Daß Walter Scott die Fähigkeit besaß, wirkliche Gestalten zu schaffen, und sie zu einer folgerichtigen, spannenden Action zu verflechten, wird selbst Tieck bemerkt haben, aber es fehlte ihm die Fähigkeit, diese Gestalten wieder so auszulösen, zu vergeistigen, zu sublimiren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/98>, abgerufen am 01.09.2024.