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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Züge und für die Wunderlichkeit früherer Zeitalter entwickelte, die in ihrem
Wesen wie in ihrer Erscheinung dem modernen Denken durchaus widersprachen.
Dadurch hat sie, wenn sie auch häufig in ihren Voraussetzungen sehlgriff, aus
das Verständniß und die Darstellung der Kulturgeschichte sehr förderlich ein¬
gewirkt. Allein ihr ging die ebenso nothwendige Fähigkeit ab, die Zeitalter
voneinander zu sondern, jedes Einzelne in seiner richtigen Perspektive an¬
zuschauen und so durch umfassende Gliederung der Weltgeschichte in ihr jene
Einheit wiederherzustellen, welche zu suchen die Aufklärung vollkommen be¬
rechtigt war, wenn sie es auch damit zu leicht genommen hatte. Faust hat in
seinem Gespräch mit Wagner bemerkt, der Geist der Zeiten, wie ihn die mo¬
dernen Historiker verständen, sei nur der Herren eigner Geist, die sich in den
Zeiten bespiegelten. Diesen Tadel konnte er auf die romantische Geschicht¬
schreibung ebenso beziehen, wie auf die aufgeklärte. Wenn die letztere in
jedem Zeitalter den Maßstab ihrer eignen höchst einseitigen Bildung anzulegen
sich bemühte, und alles als roh und barbarisch bei Seite warf, was sich nicht
aus die Verbesserung der Polizei, die Einrichtung der Schulen, die Wohlfeilheit
der Lebensmittel und die Fortschritte in der physikalischen Kenntniß bezog, so
machten es die Romantiker umgekehrt. Sie sahen in den verschiedenen Zeit¬
altern eben nur die Wunderlichkeiten, die aller rationalistischen Analyse Wider¬
stand leisteten, das Märchenhaste, das Erecntrische, das Träumerische; und diesen
Mondscheinphantasien zu Liebe verwischten sie alle bestimmte Zeichnung, aus
der ein wirkliches Verständniß des Zeitalters hätte hervorgehen können. Da
aus der Schule eine eigentliche Geschichtschreibung nicht hervorgegangen ist,
und da man in der skizzirenden Weise der literarhistorischen Vorlesungen auf
die Widersprüche gegen das concrete Leben nicht so leicht aufmerksam wurde,
so bieten uns diese historischen Novellen das beste Beispiel, die eigenthümliche
Weise der Romantik zu charakterisiren.

In den sämmtlichen historischen Novellen von Tieck geht das Bestreben
des Dichters dahin, solche Züge aufzufinden, die ein psychisches oder kultur¬
historisches Problem enthalten, die nicht aus sich heraus, nicht aus der mensch¬
lichen Natur im allgemeinen, sondern nur aus ganz eigenthümlichen Voraus¬
setzungen der Bildung begriffen werden können. Nun dehnen sich diese
Schilderungen auf eine große Reihe von Zeitaltern aus. Der griechische
Kaiser spielt im 13., der Hexensabbath) im Is., der Aufruhr in den Cevennen
im 18. Jahrhundert, die übrigen bewegen sich in dem Uebergang deS is. zum
17. Jahrhundert. Wer das aber nicht aus der Geschichte weiß, wird in der
Darstellung des Dichters nicht den geringsten Unterschied entdecken. Daß Tieck
nicht den Versuch gemacht hat, den Stil jener vergangenen Jahrhunderte in
feiner nackten Ursprünglichkeit nachzubilden, wie man das in neuester Zeit zu¬
weilen unternimmt; daß er auch die übermäßige Anwendung des historischen


Greuzvoten. III. 12

Züge und für die Wunderlichkeit früherer Zeitalter entwickelte, die in ihrem
Wesen wie in ihrer Erscheinung dem modernen Denken durchaus widersprachen.
Dadurch hat sie, wenn sie auch häufig in ihren Voraussetzungen sehlgriff, aus
das Verständniß und die Darstellung der Kulturgeschichte sehr förderlich ein¬
gewirkt. Allein ihr ging die ebenso nothwendige Fähigkeit ab, die Zeitalter
voneinander zu sondern, jedes Einzelne in seiner richtigen Perspektive an¬
zuschauen und so durch umfassende Gliederung der Weltgeschichte in ihr jene
Einheit wiederherzustellen, welche zu suchen die Aufklärung vollkommen be¬
rechtigt war, wenn sie es auch damit zu leicht genommen hatte. Faust hat in
seinem Gespräch mit Wagner bemerkt, der Geist der Zeiten, wie ihn die mo¬
dernen Historiker verständen, sei nur der Herren eigner Geist, die sich in den
Zeiten bespiegelten. Diesen Tadel konnte er auf die romantische Geschicht¬
schreibung ebenso beziehen, wie auf die aufgeklärte. Wenn die letztere in
jedem Zeitalter den Maßstab ihrer eignen höchst einseitigen Bildung anzulegen
sich bemühte, und alles als roh und barbarisch bei Seite warf, was sich nicht
aus die Verbesserung der Polizei, die Einrichtung der Schulen, die Wohlfeilheit
der Lebensmittel und die Fortschritte in der physikalischen Kenntniß bezog, so
machten es die Romantiker umgekehrt. Sie sahen in den verschiedenen Zeit¬
altern eben nur die Wunderlichkeiten, die aller rationalistischen Analyse Wider¬
stand leisteten, das Märchenhaste, das Erecntrische, das Träumerische; und diesen
Mondscheinphantasien zu Liebe verwischten sie alle bestimmte Zeichnung, aus
der ein wirkliches Verständniß des Zeitalters hätte hervorgehen können. Da
aus der Schule eine eigentliche Geschichtschreibung nicht hervorgegangen ist,
und da man in der skizzirenden Weise der literarhistorischen Vorlesungen auf
die Widersprüche gegen das concrete Leben nicht so leicht aufmerksam wurde,
so bieten uns diese historischen Novellen das beste Beispiel, die eigenthümliche
Weise der Romantik zu charakterisiren.

In den sämmtlichen historischen Novellen von Tieck geht das Bestreben
des Dichters dahin, solche Züge aufzufinden, die ein psychisches oder kultur¬
historisches Problem enthalten, die nicht aus sich heraus, nicht aus der mensch¬
lichen Natur im allgemeinen, sondern nur aus ganz eigenthümlichen Voraus¬
setzungen der Bildung begriffen werden können. Nun dehnen sich diese
Schilderungen auf eine große Reihe von Zeitaltern aus. Der griechische
Kaiser spielt im 13., der Hexensabbath) im Is., der Aufruhr in den Cevennen
im 18. Jahrhundert, die übrigen bewegen sich in dem Uebergang deS is. zum
17. Jahrhundert. Wer das aber nicht aus der Geschichte weiß, wird in der
Darstellung des Dichters nicht den geringsten Unterschied entdecken. Daß Tieck
nicht den Versuch gemacht hat, den Stil jener vergangenen Jahrhunderte in
feiner nackten Ursprünglichkeit nachzubilden, wie man das in neuester Zeit zu¬
weilen unternimmt; daß er auch die übermäßige Anwendung des historischen


Greuzvoten. III. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/97>, abgerufen am 01.09.2024.