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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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von beinahe 7000 Franken deutschen Künstlern an. Manche Umstände begünstigen
diese Betheiligung deutscher Künstler. Das Lottericwesen und die wandelnde
Tagesgunst, die zu Hause gewisse Künstler bevorzugen und andere nicht auf¬
kommen lassen, fallen hier weg. Bei dem ziemlich lebhaften Antheil, den das
Publicum an den Ausstellungen nimmt, bildet sich über den Werth der aus¬
gestellten Gemälde bald eine öffentliche Meinung, die bei der Auswahl der
zur Nerloosung bestimmten Gemälde beachtet wird; ist es ja grade das Publi¬
cum, das durch die Uebernahme von Verloosungsactien diesen Ankauf mög¬
lich macht.

Soviel über das Aeußere dieser Unternehmung, die dem Kunstfreunde in
der Schweiz, der nicht selbst von Zeit zu Zeit die großen Metropolen der'
Kunst besuchen kann, es allein möglich macht, mit den neuesten Richtungen der
Kunst sich einigermaßen auf dem Laufenden zu halten. Betrachtet man aber
die Kunst als eine besondere Seite des Kulturlebens eines Volkes, die durch
Charakter, Sitte und Land eines Volkes und durch die übrigen Richtungen
der Cultur vielfach influencirt wird, so gewinnen solche Ausstellungen eine tie¬
fere Bedeutung und gewähren bei aufmerksamem Betrachten manchen interessan¬
ten Blick in den eigenthümlichen Geistesgang eines Volkes.

Die schweizerischen Kunstausstellungen sind auffallend arm an historischen
Gemälden; die diesjährige bringt ein einziges historisches Bild aus der Genfer
Geschichte. Abgesehen von den äußern Gründen, welche schweizer Maler von
der Ausführung größerer historischer Kompositionen abhalten, bleibt es doch
bemerkenswert!), daß unter der ziemlich großen Zahl Künstler, welche die Schweiz
hervorgebracht hat, die Historienmaler am wenigsten vertreten sind. Wir finden
hier eine Erscheinung der schweizerischen Literatur wiederholt, welche in dem
eigentlichen Epos und im Drama am wenigsten bedeutende Leistungen zeigen
kann; das Bessere in dieser Art schöpfte die Historienmalerei aus der einhei¬
mischen Geschichte.

Auffallend reich ist die Ausstellung an Landschaftsbildern und im Genre.
Ist dies auch im allgemeinen ziemlich allgemeine Richtung der Kunst, so ist
doch wieder interessant, daß das eigentlich Bedeutende, was die gegenwärtige
schöne Literatur in der Schweiz hervorgebracht hat, den verwandten Gattungen
der Dorfgeschichte und der Lyrik angehört.

Eine eigenthümliche Gattung des Genres vertreten die Neuenburger Gi-
rardet und Meuron. Man könnte sie gewissermaßen die Jeremias Gotthelf
unter den Malern nennen. Wie, dieser schöpfen sie ihre Stoffe aus dem Volks¬
leben, und zwar mit besonderer Vorliebe aus dem Leben des Berner Volkes;
statt der idyllisch harmlosen Scenen des Auszugs auf die Alp, des Tischgebetes,
des Alphornblasenö gegen die untergehende Sonne wählen sie sich Momente,
wo düstere Affecte den ganzen Menschen gewaltig aufregen; sie zeigen das Volk


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von beinahe 7000 Franken deutschen Künstlern an. Manche Umstände begünstigen
diese Betheiligung deutscher Künstler. Das Lottericwesen und die wandelnde
Tagesgunst, die zu Hause gewisse Künstler bevorzugen und andere nicht auf¬
kommen lassen, fallen hier weg. Bei dem ziemlich lebhaften Antheil, den das
Publicum an den Ausstellungen nimmt, bildet sich über den Werth der aus¬
gestellten Gemälde bald eine öffentliche Meinung, die bei der Auswahl der
zur Nerloosung bestimmten Gemälde beachtet wird; ist es ja grade das Publi¬
cum, das durch die Uebernahme von Verloosungsactien diesen Ankauf mög¬
lich macht.

Soviel über das Aeußere dieser Unternehmung, die dem Kunstfreunde in
der Schweiz, der nicht selbst von Zeit zu Zeit die großen Metropolen der'
Kunst besuchen kann, es allein möglich macht, mit den neuesten Richtungen der
Kunst sich einigermaßen auf dem Laufenden zu halten. Betrachtet man aber
die Kunst als eine besondere Seite des Kulturlebens eines Volkes, die durch
Charakter, Sitte und Land eines Volkes und durch die übrigen Richtungen
der Cultur vielfach influencirt wird, so gewinnen solche Ausstellungen eine tie¬
fere Bedeutung und gewähren bei aufmerksamem Betrachten manchen interessan¬
ten Blick in den eigenthümlichen Geistesgang eines Volkes.

Die schweizerischen Kunstausstellungen sind auffallend arm an historischen
Gemälden; die diesjährige bringt ein einziges historisches Bild aus der Genfer
Geschichte. Abgesehen von den äußern Gründen, welche schweizer Maler von
der Ausführung größerer historischer Kompositionen abhalten, bleibt es doch
bemerkenswert!), daß unter der ziemlich großen Zahl Künstler, welche die Schweiz
hervorgebracht hat, die Historienmaler am wenigsten vertreten sind. Wir finden
hier eine Erscheinung der schweizerischen Literatur wiederholt, welche in dem
eigentlichen Epos und im Drama am wenigsten bedeutende Leistungen zeigen
kann; das Bessere in dieser Art schöpfte die Historienmalerei aus der einhei¬
mischen Geschichte.

Auffallend reich ist die Ausstellung an Landschaftsbildern und im Genre.
Ist dies auch im allgemeinen ziemlich allgemeine Richtung der Kunst, so ist
doch wieder interessant, daß das eigentlich Bedeutende, was die gegenwärtige
schöne Literatur in der Schweiz hervorgebracht hat, den verwandten Gattungen
der Dorfgeschichte und der Lyrik angehört.

Eine eigenthümliche Gattung des Genres vertreten die Neuenburger Gi-
rardet und Meuron. Man könnte sie gewissermaßen die Jeremias Gotthelf
unter den Malern nennen. Wie, dieser schöpfen sie ihre Stoffe aus dem Volks¬
leben, und zwar mit besonderer Vorliebe aus dem Leben des Berner Volkes;
statt der idyllisch harmlosen Scenen des Auszugs auf die Alp, des Tischgebetes,
des Alphornblasenö gegen die untergehende Sonne wählen sie sich Momente,
wo düstere Affecte den ganzen Menschen gewaltig aufregen; sie zeigen das Volk


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/91>, abgerufen am 01.09.2024.