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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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und zwar in der Ausdehnung von Krallen nach Orsowa, umspannt und es
in einem späteren Kriege zwischen beiden dem Kaiser aller Reußen anheimge¬
geben sein, seine Waffenmacht concenrrisch gegen den Gegner wirken zu lassen,
was immer ein großer Vortheil ist, und in Anbetracht der Lage der habsbur-
gischen Monarchie von der höchsten Bedeutung sein würde.

Man kann zunächst die Frage aufwerfen, ob durch die russische derzeitige
militärische Occupation der Moldau und Walachei dieses bedrohliche Verhältniß
für Oestreich bereits eingetreten ist oder nicht, mit andern Worten, ob Rußland,
da es thatsächlich- die beiden letzteren Provinzen des osmanischen Reiches in
Besitz genommen hat, aus diesem Umstände den Vortheil eines concentrischen
Agirens gegen Oestreich, für den Fall des Kriegsausbruchs, wird ziehen
können.

Hierauf kann nur auf das entschiedendste mit. Nein erwidert werden. '
Um die Vortheile einer concentrischen, umfassenden Basis wie die in Rede
stehende benutzen zu können, muß man nämlich unter allen Umständen der
numerisch Stärkere sein. Denn es liegt auf der Hand, daß die überflügelnde
Linie eine größere Ausdehnung wie die überflügelte hat oder der äußere
Bogen länger ist, als der innere, mithin der erstere auch eine größere Truppen¬
menge zur Besetzung nothwendig macht, als der letztere.

Napoleon, der sich nur selten in der Lage befand, seinen Gegnern auf
dem gesammten Kriegstheater mit überlegenen Kräften entgegenzutreten, da¬
gegen aber die große Kunst besaß, durch geschickte Combinationen eine numerische
Ueberlegenheit aus dem Schlachtfelde zu erreichen, zog ans diesem Grunde stets
die innere Linie der äußeren oder umfassenden vor, und General Jomini,
derselbe, welcher noch heute der russischen Operationscanzlei vorsteht, gründete
darauf ein besonderes strategisches System, in welchem die äußere Linie oder
die concentrische Operation gradezu verworfen wird.

Aber es sind noch viel triftigere Gründe vorhanden, welche es zur Gewi߬
heit machen, daß Rußland, auch in der Defensive, seine umfassende Stellung
von Krakau bis Orsowa nicht wird behaupten können, ja daß die Aufgabe der
kleinen Walachei nicht blos eine provisorische Maßregel gewesen ist, sondern die
Räumung der großen ihr, allem Vermuthen nach, demnächst bald folgen wird.

Verbliebe nämlich die russische Donauarmee auch nach erfolgter Kriegs¬
erklärung Oestreichs mit einem ihrer Flügel in der Walachei, so würde derselbe
sich alsbald in der üblen Lage eines Heertheils befinden, der in der Front,
im Rücken und in der Flanke bedroht ist, und nur in der Richtung der andern
Flanke mit den ihn unterstützenden Streitkräften communicirt.

Dieses heißt soviel als: Rußland wird, anstatt drei Fronten gegen Oest¬
reich zu behaupten, sich auf die Besetzung von zweien beschränken, nämlich der
polnischen und der des Pruth.


Greuzbote". III. 8

und zwar in der Ausdehnung von Krallen nach Orsowa, umspannt und es
in einem späteren Kriege zwischen beiden dem Kaiser aller Reußen anheimge¬
geben sein, seine Waffenmacht concenrrisch gegen den Gegner wirken zu lassen,
was immer ein großer Vortheil ist, und in Anbetracht der Lage der habsbur-
gischen Monarchie von der höchsten Bedeutung sein würde.

Man kann zunächst die Frage aufwerfen, ob durch die russische derzeitige
militärische Occupation der Moldau und Walachei dieses bedrohliche Verhältniß
für Oestreich bereits eingetreten ist oder nicht, mit andern Worten, ob Rußland,
da es thatsächlich- die beiden letzteren Provinzen des osmanischen Reiches in
Besitz genommen hat, aus diesem Umstände den Vortheil eines concentrischen
Agirens gegen Oestreich, für den Fall des Kriegsausbruchs, wird ziehen
können.

Hierauf kann nur auf das entschiedendste mit. Nein erwidert werden. '
Um die Vortheile einer concentrischen, umfassenden Basis wie die in Rede
stehende benutzen zu können, muß man nämlich unter allen Umständen der
numerisch Stärkere sein. Denn es liegt auf der Hand, daß die überflügelnde
Linie eine größere Ausdehnung wie die überflügelte hat oder der äußere
Bogen länger ist, als der innere, mithin der erstere auch eine größere Truppen¬
menge zur Besetzung nothwendig macht, als der letztere.

Napoleon, der sich nur selten in der Lage befand, seinen Gegnern auf
dem gesammten Kriegstheater mit überlegenen Kräften entgegenzutreten, da¬
gegen aber die große Kunst besaß, durch geschickte Combinationen eine numerische
Ueberlegenheit aus dem Schlachtfelde zu erreichen, zog ans diesem Grunde stets
die innere Linie der äußeren oder umfassenden vor, und General Jomini,
derselbe, welcher noch heute der russischen Operationscanzlei vorsteht, gründete
darauf ein besonderes strategisches System, in welchem die äußere Linie oder
die concentrische Operation gradezu verworfen wird.

Aber es sind noch viel triftigere Gründe vorhanden, welche es zur Gewi߬
heit machen, daß Rußland, auch in der Defensive, seine umfassende Stellung
von Krakau bis Orsowa nicht wird behaupten können, ja daß die Aufgabe der
kleinen Walachei nicht blos eine provisorische Maßregel gewesen ist, sondern die
Räumung der großen ihr, allem Vermuthen nach, demnächst bald folgen wird.

Verbliebe nämlich die russische Donauarmee auch nach erfolgter Kriegs¬
erklärung Oestreichs mit einem ihrer Flügel in der Walachei, so würde derselbe
sich alsbald in der üblen Lage eines Heertheils befinden, der in der Front,
im Rücken und in der Flanke bedroht ist, und nur in der Richtung der andern
Flanke mit den ihn unterstützenden Streitkräften communicirt.

Dieses heißt soviel als: Rußland wird, anstatt drei Fronten gegen Oest¬
reich zu behaupten, sich auf die Besetzung von zweien beschränken, nämlich der
polnischen und der des Pruth.


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[0065] und zwar in der Ausdehnung von Krallen nach Orsowa, umspannt und es in einem späteren Kriege zwischen beiden dem Kaiser aller Reußen anheimge¬ geben sein, seine Waffenmacht concenrrisch gegen den Gegner wirken zu lassen, was immer ein großer Vortheil ist, und in Anbetracht der Lage der habsbur- gischen Monarchie von der höchsten Bedeutung sein würde. Man kann zunächst die Frage aufwerfen, ob durch die russische derzeitige militärische Occupation der Moldau und Walachei dieses bedrohliche Verhältniß für Oestreich bereits eingetreten ist oder nicht, mit andern Worten, ob Rußland, da es thatsächlich- die beiden letzteren Provinzen des osmanischen Reiches in Besitz genommen hat, aus diesem Umstände den Vortheil eines concentrischen Agirens gegen Oestreich, für den Fall des Kriegsausbruchs, wird ziehen können. Hierauf kann nur auf das entschiedendste mit. Nein erwidert werden. ' Um die Vortheile einer concentrischen, umfassenden Basis wie die in Rede stehende benutzen zu können, muß man nämlich unter allen Umständen der numerisch Stärkere sein. Denn es liegt auf der Hand, daß die überflügelnde Linie eine größere Ausdehnung wie die überflügelte hat oder der äußere Bogen länger ist, als der innere, mithin der erstere auch eine größere Truppen¬ menge zur Besetzung nothwendig macht, als der letztere. Napoleon, der sich nur selten in der Lage befand, seinen Gegnern auf dem gesammten Kriegstheater mit überlegenen Kräften entgegenzutreten, da¬ gegen aber die große Kunst besaß, durch geschickte Combinationen eine numerische Ueberlegenheit aus dem Schlachtfelde zu erreichen, zog ans diesem Grunde stets die innere Linie der äußeren oder umfassenden vor, und General Jomini, derselbe, welcher noch heute der russischen Operationscanzlei vorsteht, gründete darauf ein besonderes strategisches System, in welchem die äußere Linie oder die concentrische Operation gradezu verworfen wird. Aber es sind noch viel triftigere Gründe vorhanden, welche es zur Gewi߬ heit machen, daß Rußland, auch in der Defensive, seine umfassende Stellung von Krakau bis Orsowa nicht wird behaupten können, ja daß die Aufgabe der kleinen Walachei nicht blos eine provisorische Maßregel gewesen ist, sondern die Räumung der großen ihr, allem Vermuthen nach, demnächst bald folgen wird. Verbliebe nämlich die russische Donauarmee auch nach erfolgter Kriegs¬ erklärung Oestreichs mit einem ihrer Flügel in der Walachei, so würde derselbe sich alsbald in der üblen Lage eines Heertheils befinden, der in der Front, im Rücken und in der Flanke bedroht ist, und nur in der Richtung der andern Flanke mit den ihn unterstützenden Streitkräften communicirt. Dieses heißt soviel als: Rußland wird, anstatt drei Fronten gegen Oest¬ reich zu behaupten, sich auf die Besetzung von zweien beschränken, nämlich der polnischen und der des Pruth. Greuzbote». III. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/65>, abgerufen am 01.09.2024.