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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Lücken ansehen, wonach der wahre Stand der russischen verwendbaren Truppen
die Höhe der obigen Summe von 586,000 Mann nicht überschreiten würde.

Eine derartige Streitmacht ist äußerst imposant; sie verliert aber vieles
von ihrer Furchtbarkeit durch die weiten Räume, über welche sie zerstreut ist.
Die Krim und Finnland, der Kaukasus und Polen, Kurland und Esthland
einerseits, und andrerseits die Walachei und Dobrudscha, liegen soweit aus¬
einander, daß eine militärische Verbindung zwischen ihnen schwerhält, geschweige
denn an eine gegenseitige operative Unterstützung gedacht werden kann.

Von Seiten der Rußland ergebenen Presse ist oft, und über alles Maß hinaus,
der "Flottendcmonstrationcn" spottend gedacht worden. Ich bin geneigt, der
englisch-französischen Machtentfaltung im Pontus und baltischen Meere eine
weit größere Bedeutung beizumessen; aber auch der Zar, wenn er aufrichtig
sein will, wird zugestehen müssenj, daß diese Demonstrationen mindestens den
Zweck erreicht haben, seine Macht zu theilen; zwei volle Armeecorps an den
Gestaden der Ostsee festzuhalten und ein anderes in die Umgegend von Odessa
zu bannen. Das sind die Kräfte, welche Nußland etwa hätte entbehren können,
um sie für unerwartete Falle bereitzuhalten, also in dem vorliegenden, sie
Oestreich entgegenzustellen. Jetzt, wo alle seine Kemtruppm engagirt sind, ist
eS behufs des Widerstandes gegen den mächtigen continentalen Feind lediglich
auf die Truppen angewiesen, welche seither dazu bestimmt waren, Polen nieder¬
zuhalten, d. h. auf anderthalb Armeecorps und auf diejenigen Theile eines
letzten (sechsten) Corps, welche sich zur Zeit in und um Moskau stationirt finden.
Die in Polen liegenden Truppen verwenden heißt aber Polen aufgeben. Es
ist in Rücksicht dieses Umstandes geschehen, wenn ich seither daran zweifle,
daß Rußland es mit Oestreich zum Bruch kommen lassen werde, und ich muß
gestehen, daß meine Zweifel bis zur gegenwärtigen Stunde fortwähren.

Die Armee des Kaisers Franz Joseph gehört nach dem Urtheil Sach¬
verständiger, die sie in unmittelbarer Nähe während der letzten Kriege und
nach diesen gesehen, zu den taktisch vollendetsten, nicht nur im Osten, sondern
im ganzen Europa. Sie repräsentirt einen Feldbestand von

38t Bataillonen und
276 Schwadronen nebst einer Artillerie von
1000 bespannten Geschützen,

was dem Anscheine nach ein geringerer Etat als der eben angeführte russische
ist, thatsächlich aber denselben übertrifft. Dieses rührt daher, daß, wenn die
russischen Bataillone aus Ursachen, deren Erörterung nicht in das mir gestellte
Thema fällt, tief unter der Normälstärke (etwa 800 Mann) verbleiben, die
östreichischen auch im Laufe des Feldzuges dieselbe meistens überboten haben,
was eine Folge ihres ursprünglich höher angesetzten Bestandes ist. Es zählt
nämlich ein östreichisches Bataillon auf dem Solletat liti Mann, wodurch es


Lücken ansehen, wonach der wahre Stand der russischen verwendbaren Truppen
die Höhe der obigen Summe von 586,000 Mann nicht überschreiten würde.

Eine derartige Streitmacht ist äußerst imposant; sie verliert aber vieles
von ihrer Furchtbarkeit durch die weiten Räume, über welche sie zerstreut ist.
Die Krim und Finnland, der Kaukasus und Polen, Kurland und Esthland
einerseits, und andrerseits die Walachei und Dobrudscha, liegen soweit aus¬
einander, daß eine militärische Verbindung zwischen ihnen schwerhält, geschweige
denn an eine gegenseitige operative Unterstützung gedacht werden kann.

Von Seiten der Rußland ergebenen Presse ist oft, und über alles Maß hinaus,
der „Flottendcmonstrationcn" spottend gedacht worden. Ich bin geneigt, der
englisch-französischen Machtentfaltung im Pontus und baltischen Meere eine
weit größere Bedeutung beizumessen; aber auch der Zar, wenn er aufrichtig
sein will, wird zugestehen müssenj, daß diese Demonstrationen mindestens den
Zweck erreicht haben, seine Macht zu theilen; zwei volle Armeecorps an den
Gestaden der Ostsee festzuhalten und ein anderes in die Umgegend von Odessa
zu bannen. Das sind die Kräfte, welche Nußland etwa hätte entbehren können,
um sie für unerwartete Falle bereitzuhalten, also in dem vorliegenden, sie
Oestreich entgegenzustellen. Jetzt, wo alle seine Kemtruppm engagirt sind, ist
eS behufs des Widerstandes gegen den mächtigen continentalen Feind lediglich
auf die Truppen angewiesen, welche seither dazu bestimmt waren, Polen nieder¬
zuhalten, d. h. auf anderthalb Armeecorps und auf diejenigen Theile eines
letzten (sechsten) Corps, welche sich zur Zeit in und um Moskau stationirt finden.
Die in Polen liegenden Truppen verwenden heißt aber Polen aufgeben. Es
ist in Rücksicht dieses Umstandes geschehen, wenn ich seither daran zweifle,
daß Rußland es mit Oestreich zum Bruch kommen lassen werde, und ich muß
gestehen, daß meine Zweifel bis zur gegenwärtigen Stunde fortwähren.

Die Armee des Kaisers Franz Joseph gehört nach dem Urtheil Sach¬
verständiger, die sie in unmittelbarer Nähe während der letzten Kriege und
nach diesen gesehen, zu den taktisch vollendetsten, nicht nur im Osten, sondern
im ganzen Europa. Sie repräsentirt einen Feldbestand von

38t Bataillonen und
276 Schwadronen nebst einer Artillerie von
1000 bespannten Geschützen,

was dem Anscheine nach ein geringerer Etat als der eben angeführte russische
ist, thatsächlich aber denselben übertrifft. Dieses rührt daher, daß, wenn die
russischen Bataillone aus Ursachen, deren Erörterung nicht in das mir gestellte
Thema fällt, tief unter der Normälstärke (etwa 800 Mann) verbleiben, die
östreichischen auch im Laufe des Feldzuges dieselbe meistens überboten haben,
was eine Folge ihres ursprünglich höher angesetzten Bestandes ist. Es zählt
nämlich ein östreichisches Bataillon auf dem Solletat liti Mann, wodurch es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/63>, abgerufen am 01.09.2024.