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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ob diese Sprache vielleicht poetisch ist, können wir hier füglich dahingestellt
sein lassen, wissenschaftlich scharf und sinnlich klar ist sie gewiß nicht. -- Bei
andern Bildern tritt wieder, eben wegen ihrer Ungenauigkeit, die Unschönheit
greller hervor, so z. B. Seite 105, wo von der alt-italienischen Schule die
Rede ist:


"Der erste Abschnitt ist der Durchbruch der aus der Knospe springenden, innigen, glühen¬
den, tiefbewegten Seele des Mittelalters durch den Panzer der todten Objektivität des byzan¬
tinischen Stils, dessen Riemen und Schnallen aber noch nicht abgeschüttelt werden."

Hier drängen sich drei verschiedene Bilder durcheinander, die keine har¬
monische Bildung zulassen, denn bei der Knospe denkt man an keine Riemen
und Schnallen, und die hineingeworfene Abstraction der todten Objectivität gibt
dem Panzer des Stils keine größere sinnliche Wahrheit. Absolut häßlich ist
das vom altdeutschen Stil angewandte Bild Seite 726:


"Es herrscht ein völliges Unverständnis; des Gesammtorganismus der Gestalt; dürr, steif,
hölzern, trocken, scheint er zu knarren wie eine ungcvlte Thür, wenn er sich im Dienst der
Seele bewegen soll."

Wenn man ein Verbum mit einem Substantiv verbindet und nachher zur
Erklärung ein Gleichniß hinzufügt, so muß das Verbum sich nach der Natur
des Substantivumö richten, nicht nach der Natur des Gleichnisses. Eine un¬
geölte Thür knarrt wol, aber was man sich unter dem Knarren des menschlichen
Organismus auf dem Gemälde vorstellen soll, das würde schwer zu sagen sein.
Wir glauben, daß wir auf solche Stilfehler um so größeres Gewicht legen
müssen, wenn sie in einem Lehrbuche der Aesthetik vorkommen, in welchem unter
anderen doch auch über den Stil geurtheilt werden muß. -- Nun ist der Stil
dieses Lehrbuchs zwar nicht durchweg so schlimm, aber steif und geziert ist er
fast durchweg. Die Stellen, die wir bisher angeführt haben, sind aus den
Ercursen genommen. Wir wollen uns jetzt nach einer andern Seite hinwenden.
Es wird nämlich bekannt sein, daß Wischers Aesthetik nach dem Vorbild der
Hegelschen Schriften in Paragraphen und Ercurse zerfällt. Die fortlaufenden
Paragraphen sollen in der Sprache der philosophischen Terminologie gleichsam
das Knochengerüst des Organismus bilden, die Ercurse sollen das Fleisch und
Blut dazu geben; nur geschieht es häufig, daß diese beiden Gegensätze inein¬
ander übergehen, und daß man gleichzeitig von dem Frost der Abstraction und
der Hitze der Bildersprache gepeinigt wird. Wir wollen den §. 67-1 hierher¬
setzen, welcher über die Mischung und Harmonie der Farben handelt:


"Ebensosehr aber gilt es fürs andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkett
der Vermittelungen zwischen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauschung des Na¬
turvorbildes doch zugleich das Grelle sowol in diesem als im Farbenmaterial abzudämpfen.
Die Intensität des wirklichen Lichts und die Frische der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit
,dem Grellen in der Natur versöhnt, ersetzt sich in der Kunst durch die Relativität der Wechsel¬
wirkung bei nothwendiger Umsetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es ist nun die Welt der Schad-

Ob diese Sprache vielleicht poetisch ist, können wir hier füglich dahingestellt
sein lassen, wissenschaftlich scharf und sinnlich klar ist sie gewiß nicht. — Bei
andern Bildern tritt wieder, eben wegen ihrer Ungenauigkeit, die Unschönheit
greller hervor, so z. B. Seite 105, wo von der alt-italienischen Schule die
Rede ist:


„Der erste Abschnitt ist der Durchbruch der aus der Knospe springenden, innigen, glühen¬
den, tiefbewegten Seele des Mittelalters durch den Panzer der todten Objektivität des byzan¬
tinischen Stils, dessen Riemen und Schnallen aber noch nicht abgeschüttelt werden."

Hier drängen sich drei verschiedene Bilder durcheinander, die keine har¬
monische Bildung zulassen, denn bei der Knospe denkt man an keine Riemen
und Schnallen, und die hineingeworfene Abstraction der todten Objectivität gibt
dem Panzer des Stils keine größere sinnliche Wahrheit. Absolut häßlich ist
das vom altdeutschen Stil angewandte Bild Seite 726:


„Es herrscht ein völliges Unverständnis; des Gesammtorganismus der Gestalt; dürr, steif,
hölzern, trocken, scheint er zu knarren wie eine ungcvlte Thür, wenn er sich im Dienst der
Seele bewegen soll."

Wenn man ein Verbum mit einem Substantiv verbindet und nachher zur
Erklärung ein Gleichniß hinzufügt, so muß das Verbum sich nach der Natur
des Substantivumö richten, nicht nach der Natur des Gleichnisses. Eine un¬
geölte Thür knarrt wol, aber was man sich unter dem Knarren des menschlichen
Organismus auf dem Gemälde vorstellen soll, das würde schwer zu sagen sein.
Wir glauben, daß wir auf solche Stilfehler um so größeres Gewicht legen
müssen, wenn sie in einem Lehrbuche der Aesthetik vorkommen, in welchem unter
anderen doch auch über den Stil geurtheilt werden muß. — Nun ist der Stil
dieses Lehrbuchs zwar nicht durchweg so schlimm, aber steif und geziert ist er
fast durchweg. Die Stellen, die wir bisher angeführt haben, sind aus den
Ercursen genommen. Wir wollen uns jetzt nach einer andern Seite hinwenden.
Es wird nämlich bekannt sein, daß Wischers Aesthetik nach dem Vorbild der
Hegelschen Schriften in Paragraphen und Ercurse zerfällt. Die fortlaufenden
Paragraphen sollen in der Sprache der philosophischen Terminologie gleichsam
das Knochengerüst des Organismus bilden, die Ercurse sollen das Fleisch und
Blut dazu geben; nur geschieht es häufig, daß diese beiden Gegensätze inein¬
ander übergehen, und daß man gleichzeitig von dem Frost der Abstraction und
der Hitze der Bildersprache gepeinigt wird. Wir wollen den §. 67-1 hierher¬
setzen, welcher über die Mischung und Harmonie der Farben handelt:


„Ebensosehr aber gilt es fürs andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkett
der Vermittelungen zwischen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauschung des Na¬
turvorbildes doch zugleich das Grelle sowol in diesem als im Farbenmaterial abzudämpfen.
Die Intensität des wirklichen Lichts und die Frische der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit
,dem Grellen in der Natur versöhnt, ersetzt sich in der Kunst durch die Relativität der Wechsel¬
wirkung bei nothwendiger Umsetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es ist nun die Welt der Schad-

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[0052] Ob diese Sprache vielleicht poetisch ist, können wir hier füglich dahingestellt sein lassen, wissenschaftlich scharf und sinnlich klar ist sie gewiß nicht. — Bei andern Bildern tritt wieder, eben wegen ihrer Ungenauigkeit, die Unschönheit greller hervor, so z. B. Seite 105, wo von der alt-italienischen Schule die Rede ist: „Der erste Abschnitt ist der Durchbruch der aus der Knospe springenden, innigen, glühen¬ den, tiefbewegten Seele des Mittelalters durch den Panzer der todten Objektivität des byzan¬ tinischen Stils, dessen Riemen und Schnallen aber noch nicht abgeschüttelt werden." Hier drängen sich drei verschiedene Bilder durcheinander, die keine har¬ monische Bildung zulassen, denn bei der Knospe denkt man an keine Riemen und Schnallen, und die hineingeworfene Abstraction der todten Objectivität gibt dem Panzer des Stils keine größere sinnliche Wahrheit. Absolut häßlich ist das vom altdeutschen Stil angewandte Bild Seite 726: „Es herrscht ein völliges Unverständnis; des Gesammtorganismus der Gestalt; dürr, steif, hölzern, trocken, scheint er zu knarren wie eine ungcvlte Thür, wenn er sich im Dienst der Seele bewegen soll." Wenn man ein Verbum mit einem Substantiv verbindet und nachher zur Erklärung ein Gleichniß hinzufügt, so muß das Verbum sich nach der Natur des Substantivumö richten, nicht nach der Natur des Gleichnisses. Eine un¬ geölte Thür knarrt wol, aber was man sich unter dem Knarren des menschlichen Organismus auf dem Gemälde vorstellen soll, das würde schwer zu sagen sein. Wir glauben, daß wir auf solche Stilfehler um so größeres Gewicht legen müssen, wenn sie in einem Lehrbuche der Aesthetik vorkommen, in welchem unter anderen doch auch über den Stil geurtheilt werden muß. — Nun ist der Stil dieses Lehrbuchs zwar nicht durchweg so schlimm, aber steif und geziert ist er fast durchweg. Die Stellen, die wir bisher angeführt haben, sind aus den Ercursen genommen. Wir wollen uns jetzt nach einer andern Seite hinwenden. Es wird nämlich bekannt sein, daß Wischers Aesthetik nach dem Vorbild der Hegelschen Schriften in Paragraphen und Ercurse zerfällt. Die fortlaufenden Paragraphen sollen in der Sprache der philosophischen Terminologie gleichsam das Knochengerüst des Organismus bilden, die Ercurse sollen das Fleisch und Blut dazu geben; nur geschieht es häufig, daß diese beiden Gegensätze inein¬ ander übergehen, und daß man gleichzeitig von dem Frost der Abstraction und der Hitze der Bildersprache gepeinigt wird. Wir wollen den §. 67-1 hierher¬ setzen, welcher über die Mischung und Harmonie der Farben handelt: „Ebensosehr aber gilt es fürs andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkett der Vermittelungen zwischen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauschung des Na¬ turvorbildes doch zugleich das Grelle sowol in diesem als im Farbenmaterial abzudämpfen. Die Intensität des wirklichen Lichts und die Frische der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit ,dem Grellen in der Natur versöhnt, ersetzt sich in der Kunst durch die Relativität der Wechsel¬ wirkung bei nothwendiger Umsetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es ist nun die Welt der Schad-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/52>, abgerufen am 27.07.2024.