Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

denn sie haben den Sinn für die Kunst wahrhaft gefordert und sie gewisser¬
maßen zu einer Herzenssache gemacht. Im gegenwärtigen Augenblick, wo das
Raisonnement über die Musik mit erneuter Lebendigkeit betrieben wird, werden
diese Skizzen dem Publicum gewiß um so angenehmer sein, da sie immer noch
viel faßbarer sind, als die meisten Theorien unsrer Philosophen der Zukunft.

Wir wollen hier noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der in den
allgemeinen Gang unsrer Betrachtungen einschlägt. Wir meinen nämlich die
Theorie von dem Doppelleben der Kunst. Unter allen Künsten scheint die
Musik am meisten dazu geeignet zu sein, ein ideales und abgesondertes Leben
für sich zu führen, da ihr kein realer Gegenstand entspricht; während alle an¬
dern Künste sich unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen müssen. Bei den
übrigen Künsten kann man wenigstens bis zu' einem gewissen Grade den Grund
des ästhetischen Wohlgefallens analysiren und seine Beziehungen zu den na¬
türlichen Empfindungen nachweisen. Bei der Musik scheint das so lange un¬
möglich, als man nicht auf die physikalischen Gesetze zurückgeht. So schien
also der Grundsatz der Romantiker, die poetische Empfindung stehe außerhalb
der wirklichen, durch das Hineinziehen der Musik innerhalb den Kreis der
ästhetischen Betrachtungen, ein großes und nicht anzuhebendes Lebenselement
zu gewinnen.

Allein bei der Ausführung zeigte es sich, daß jeder Versuch, die erhöhte
musikalische Empfindung zu schildern, sich doch wieder der Mittel bediene"
müsse, die dem realen Leben angehören und die daher der Analyse unterworfen
sind. Der größere Theil der Phantasiestücke beschäftigt sich mit der Musik,
z. B. die KreiSleriana, Ritter Gluck und Don Juan.- In allen diesen hat
Hoffmann zwar noch lebhafter als es Tieck früher gethan, die Ansichten und Em¬
pfindungen der Philister verspottet, aber wo er nicht gradezu in Ueberschweng-
lichkeiten verfällt, die als solche nur bei einer ganz verwandten Stimmung Ein¬
druck machen können, hat er sich doch wieder genöthigt gesehen, zu beschreibe",
zu analysiren u. s. w., also der Methode der Philister in die Hände zu arbei¬
ten. Um nun dies. einigermaßen zu verstecken, hat er das phantastische Ele¬
ment zu Hilfe gerufen; er hat aus seinen Künstlern Sonderlinge gemacht,
die durch ganz andere Motive bestimmt werden, als die gewöhnlichen Mi¬
schen und er hat in seinen Geschichten ein anderes Gesetz walten lassen, als das
Naturgesetz. Es zeigt sich aber, daß, wenn man dem Menschen den Regulator
deS gesunden Menschenverstandes, deS Gemeingefühls und des Gewissens nimmt,
sie dadurch nicht über die Menschheit erhoben, sondern unter dieselbe herabge¬
drückt werden. Und in der That hat Hoffmann auch später die Konsequenz
soweit getrieben, daß er einen Verrückten, den heiligen Serapion, zum Schuh¬
patron seiner Poesie gemacht hat. Aus dieser wunderlichen Verkehrung aller
Begriffe ist es zu erklären, daß später die Dichter, die auf der Höhe der Ze't


denn sie haben den Sinn für die Kunst wahrhaft gefordert und sie gewisser¬
maßen zu einer Herzenssache gemacht. Im gegenwärtigen Augenblick, wo das
Raisonnement über die Musik mit erneuter Lebendigkeit betrieben wird, werden
diese Skizzen dem Publicum gewiß um so angenehmer sein, da sie immer noch
viel faßbarer sind, als die meisten Theorien unsrer Philosophen der Zukunft.

Wir wollen hier noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der in den
allgemeinen Gang unsrer Betrachtungen einschlägt. Wir meinen nämlich die
Theorie von dem Doppelleben der Kunst. Unter allen Künsten scheint die
Musik am meisten dazu geeignet zu sein, ein ideales und abgesondertes Leben
für sich zu führen, da ihr kein realer Gegenstand entspricht; während alle an¬
dern Künste sich unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen müssen. Bei den
übrigen Künsten kann man wenigstens bis zu' einem gewissen Grade den Grund
des ästhetischen Wohlgefallens analysiren und seine Beziehungen zu den na¬
türlichen Empfindungen nachweisen. Bei der Musik scheint das so lange un¬
möglich, als man nicht auf die physikalischen Gesetze zurückgeht. So schien
also der Grundsatz der Romantiker, die poetische Empfindung stehe außerhalb
der wirklichen, durch das Hineinziehen der Musik innerhalb den Kreis der
ästhetischen Betrachtungen, ein großes und nicht anzuhebendes Lebenselement
zu gewinnen.

Allein bei der Ausführung zeigte es sich, daß jeder Versuch, die erhöhte
musikalische Empfindung zu schildern, sich doch wieder der Mittel bediene»
müsse, die dem realen Leben angehören und die daher der Analyse unterworfen
sind. Der größere Theil der Phantasiestücke beschäftigt sich mit der Musik,
z. B. die KreiSleriana, Ritter Gluck und Don Juan.- In allen diesen hat
Hoffmann zwar noch lebhafter als es Tieck früher gethan, die Ansichten und Em¬
pfindungen der Philister verspottet, aber wo er nicht gradezu in Ueberschweng-
lichkeiten verfällt, die als solche nur bei einer ganz verwandten Stimmung Ein¬
druck machen können, hat er sich doch wieder genöthigt gesehen, zu beschreibe»,
zu analysiren u. s. w., also der Methode der Philister in die Hände zu arbei¬
ten. Um nun dies. einigermaßen zu verstecken, hat er das phantastische Ele¬
ment zu Hilfe gerufen; er hat aus seinen Künstlern Sonderlinge gemacht,
die durch ganz andere Motive bestimmt werden, als die gewöhnlichen Mi¬
schen und er hat in seinen Geschichten ein anderes Gesetz walten lassen, als das
Naturgesetz. Es zeigt sich aber, daß, wenn man dem Menschen den Regulator
deS gesunden Menschenverstandes, deS Gemeingefühls und des Gewissens nimmt,
sie dadurch nicht über die Menschheit erhoben, sondern unter dieselbe herabge¬
drückt werden. Und in der That hat Hoffmann auch später die Konsequenz
soweit getrieben, daß er einen Verrückten, den heiligen Serapion, zum Schuh¬
patron seiner Poesie gemacht hat. Aus dieser wunderlichen Verkehrung aller
Begriffe ist es zu erklären, daß später die Dichter, die auf der Höhe der Ze't


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281653"/>
            <p xml:id="ID_1503" prev="#ID_1502"> denn sie haben den Sinn für die Kunst wahrhaft gefordert und sie gewisser¬<lb/>
maßen zu einer Herzenssache gemacht. Im gegenwärtigen Augenblick, wo das<lb/>
Raisonnement über die Musik mit erneuter Lebendigkeit betrieben wird, werden<lb/>
diese Skizzen dem Publicum gewiß um so angenehmer sein, da sie immer noch<lb/>
viel faßbarer sind, als die meisten Theorien unsrer Philosophen der Zukunft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1504"> Wir wollen hier noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der in den<lb/>
allgemeinen Gang unsrer Betrachtungen einschlägt. Wir meinen nämlich die<lb/>
Theorie von dem Doppelleben der Kunst. Unter allen Künsten scheint die<lb/>
Musik am meisten dazu geeignet zu sein, ein ideales und abgesondertes Leben<lb/>
für sich zu führen, da ihr kein realer Gegenstand entspricht; während alle an¬<lb/>
dern Künste sich unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen müssen. Bei den<lb/>
übrigen Künsten kann man wenigstens bis zu' einem gewissen Grade den Grund<lb/>
des ästhetischen Wohlgefallens analysiren und seine Beziehungen zu den na¬<lb/>
türlichen Empfindungen nachweisen. Bei der Musik scheint das so lange un¬<lb/>
möglich, als man nicht auf die physikalischen Gesetze zurückgeht. So schien<lb/>
also der Grundsatz der Romantiker, die poetische Empfindung stehe außerhalb<lb/>
der wirklichen, durch das Hineinziehen der Musik innerhalb den Kreis der<lb/>
ästhetischen Betrachtungen, ein großes und nicht anzuhebendes Lebenselement<lb/>
zu gewinnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1505" next="#ID_1506"> Allein bei der Ausführung zeigte es sich, daß jeder Versuch, die erhöhte<lb/>
musikalische Empfindung zu schildern, sich doch wieder der Mittel bediene»<lb/>
müsse, die dem realen Leben angehören und die daher der Analyse unterworfen<lb/>
sind. Der größere Theil der Phantasiestücke beschäftigt sich mit der Musik,<lb/>
z. B. die KreiSleriana, Ritter Gluck und Don Juan.- In allen diesen hat<lb/>
Hoffmann zwar noch lebhafter als es Tieck früher gethan, die Ansichten und Em¬<lb/>
pfindungen der Philister verspottet, aber wo er nicht gradezu in Ueberschweng-<lb/>
lichkeiten verfällt, die als solche nur bei einer ganz verwandten Stimmung Ein¬<lb/>
druck machen können, hat er sich doch wieder genöthigt gesehen, zu beschreibe»,<lb/>
zu analysiren u. s. w., also der Methode der Philister in die Hände zu arbei¬<lb/>
ten. Um nun dies. einigermaßen zu verstecken, hat er das phantastische Ele¬<lb/>
ment zu Hilfe gerufen; er hat aus seinen Künstlern Sonderlinge gemacht,<lb/>
die durch ganz andere Motive bestimmt werden, als die gewöhnlichen Mi¬<lb/>
schen und er hat in seinen Geschichten ein anderes Gesetz walten lassen, als das<lb/>
Naturgesetz. Es zeigt sich aber, daß, wenn man dem Menschen den Regulator<lb/>
deS gesunden Menschenverstandes, deS Gemeingefühls und des Gewissens nimmt,<lb/>
sie dadurch nicht über die Menschheit erhoben, sondern unter dieselbe herabge¬<lb/>
drückt werden. Und in der That hat Hoffmann auch später die Konsequenz<lb/>
soweit getrieben, daß er einen Verrückten, den heiligen Serapion, zum Schuh¬<lb/>
patron seiner Poesie gemacht hat. Aus dieser wunderlichen Verkehrung aller<lb/>
Begriffe ist es zu erklären, daß später die Dichter, die auf der Höhe der Ze't</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] denn sie haben den Sinn für die Kunst wahrhaft gefordert und sie gewisser¬ maßen zu einer Herzenssache gemacht. Im gegenwärtigen Augenblick, wo das Raisonnement über die Musik mit erneuter Lebendigkeit betrieben wird, werden diese Skizzen dem Publicum gewiß um so angenehmer sein, da sie immer noch viel faßbarer sind, als die meisten Theorien unsrer Philosophen der Zukunft. Wir wollen hier noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der in den allgemeinen Gang unsrer Betrachtungen einschlägt. Wir meinen nämlich die Theorie von dem Doppelleben der Kunst. Unter allen Künsten scheint die Musik am meisten dazu geeignet zu sein, ein ideales und abgesondertes Leben für sich zu führen, da ihr kein realer Gegenstand entspricht; während alle an¬ dern Künste sich unmittelbar auf die Wirklichkeit beziehen müssen. Bei den übrigen Künsten kann man wenigstens bis zu' einem gewissen Grade den Grund des ästhetischen Wohlgefallens analysiren und seine Beziehungen zu den na¬ türlichen Empfindungen nachweisen. Bei der Musik scheint das so lange un¬ möglich, als man nicht auf die physikalischen Gesetze zurückgeht. So schien also der Grundsatz der Romantiker, die poetische Empfindung stehe außerhalb der wirklichen, durch das Hineinziehen der Musik innerhalb den Kreis der ästhetischen Betrachtungen, ein großes und nicht anzuhebendes Lebenselement zu gewinnen. Allein bei der Ausführung zeigte es sich, daß jeder Versuch, die erhöhte musikalische Empfindung zu schildern, sich doch wieder der Mittel bediene» müsse, die dem realen Leben angehören und die daher der Analyse unterworfen sind. Der größere Theil der Phantasiestücke beschäftigt sich mit der Musik, z. B. die KreiSleriana, Ritter Gluck und Don Juan.- In allen diesen hat Hoffmann zwar noch lebhafter als es Tieck früher gethan, die Ansichten und Em¬ pfindungen der Philister verspottet, aber wo er nicht gradezu in Ueberschweng- lichkeiten verfällt, die als solche nur bei einer ganz verwandten Stimmung Ein¬ druck machen können, hat er sich doch wieder genöthigt gesehen, zu beschreibe», zu analysiren u. s. w., also der Methode der Philister in die Hände zu arbei¬ ten. Um nun dies. einigermaßen zu verstecken, hat er das phantastische Ele¬ ment zu Hilfe gerufen; er hat aus seinen Künstlern Sonderlinge gemacht, die durch ganz andere Motive bestimmt werden, als die gewöhnlichen Mi¬ schen und er hat in seinen Geschichten ein anderes Gesetz walten lassen, als das Naturgesetz. Es zeigt sich aber, daß, wenn man dem Menschen den Regulator deS gesunden Menschenverstandes, deS Gemeingefühls und des Gewissens nimmt, sie dadurch nicht über die Menschheit erhoben, sondern unter dieselbe herabge¬ drückt werden. Und in der That hat Hoffmann auch später die Konsequenz soweit getrieben, daß er einen Verrückten, den heiligen Serapion, zum Schuh¬ patron seiner Poesie gemacht hat. Aus dieser wunderlichen Verkehrung aller Begriffe ist es zu erklären, daß später die Dichter, die auf der Höhe der Ze't

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/502>, abgerufen am 06.10.2024.