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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ein verhüllter Protestantismus gewesen, während es doch grade diese Bildung
war, welche gegen sich selbst die gewaltige Reaction des religiösen Protestan¬
tismus hervorrief. Es zeigt sich unter anderem auch in der Behauptung S. 89,
Moliöre sei ein nicht nationaler Dichter, und er sei bereits veraltet.

Ueber die neuere Poesie (Eichendorff bleibt nicht grade streng bei seinem
Thema), finden sich einige sehr treffende Bemerkungen. Sehr hart, aber im
ganzen richtig ist das Urtheil über A. W. Schlegel, Tieck und Werner. Die
großen Verdienste Kleists werden lebhaft hervorgehoben und mit Recht die Poesie
des Hasses, die in seinen Werken mit einer fast fieberhaften Glut sich ent¬
zündet, als ein Vorspiel der neuesten Bestrebungen dargestellt. -- Bei der neueste"
Poesie hätten wir gewünscht, daß sich Eichendorff nicht darauf beschränkt hätte,
die Classen anzugeben, sondern daß er seine Kritik an das Einzelne gelegt hätte,
wo wir gewiß manche geistvolle Schlaglichter finden würden.

Zum Schluß gibt er die Art und Weise an, wie wir uns aus der Ver¬
wirrung unsrer Literatur wieder herausarbeiten können. "Nicht durch Aesthetik,
sondern einzig und allein durch das poetische Gewissen, das jede gleißende Lüge
gründlich verabscheut, durch männliche Unterordnung jener zerstreuten und zer¬
fahrenen Elemente unsres Dramas unter ein gemeinsames Princip, nnter etwas,
das höher liegt als diese Zerfahrenheit und drückende Unruhe......und das
kann kein andres sein, als das religiöse und zwar specifisch christliche GefülU,
wie es z. B. in Shakespeareschen Schauspielen unsichtbar und doch unverkenn¬
bar waltet." Er will aber keineswegs die Rückkehr zu kirchlichen Stoffen und
Formen, er spricht sich z. B. über die Amarantheu- und Sieglindcnpoesic "ut
der größten Verachtung aus. "Wir verlangen nichts als eine christliche At¬
mosphäre, die wir unbewußt athmen und die in ihrer Reinheit die verborgene
höhere Bedeutsamkeit der irdischen Dinge von selbst hiudurchscheinen läßt, gleich'
wie ja dieselbe Gegend nicht dieselbe ist, in dickem Schiuuzmetter oder bei
scharfer Abendbeleuchtung. Wer fragt im Frühling, was der Frühling si'^
Wir sehen die Luft nicht, die uns erfrischt, und sehen das Licht nicht, das doch
ringsum Laub und Blumen färbt." --

Wenn der christliche Geist, der wiederhergestellt werden soll, derselbe ist,
der in Shakespeares Dramen athmet, so haben wir nicht das geringste dagegen
einzuwenden. Der Dichter muß an seinen Stoff und an dessen sittlichen In¬
halt glauben. Das Lebenselement seiner Fabelwelt muß auch daS seinige seM,
und das Gewissen seiner Charaktere muß an dem seinigen den Regulator ha¬
ben. Dies ist das eine, was die romantische Schule versehen hat, was übrigens
jetzt, wenigstens in der Theorie, allgemein anerkannt wird. -- Das zweite ist,
daß die Poesie nicht Ausnahmezustände, sondern Ideale darzustellen hat, solche,
die jeder Mensch von richtiger Gesühlsbildung versteht; und das wäre vor¬
zugsweise unsren neueren Dichtern einzuschärfen. Mit so gewaltiger Zerstörungs-


ein verhüllter Protestantismus gewesen, während es doch grade diese Bildung
war, welche gegen sich selbst die gewaltige Reaction des religiösen Protestan¬
tismus hervorrief. Es zeigt sich unter anderem auch in der Behauptung S. 89,
Moliöre sei ein nicht nationaler Dichter, und er sei bereits veraltet.

Ueber die neuere Poesie (Eichendorff bleibt nicht grade streng bei seinem
Thema), finden sich einige sehr treffende Bemerkungen. Sehr hart, aber im
ganzen richtig ist das Urtheil über A. W. Schlegel, Tieck und Werner. Die
großen Verdienste Kleists werden lebhaft hervorgehoben und mit Recht die Poesie
des Hasses, die in seinen Werken mit einer fast fieberhaften Glut sich ent¬
zündet, als ein Vorspiel der neuesten Bestrebungen dargestellt. — Bei der neueste»
Poesie hätten wir gewünscht, daß sich Eichendorff nicht darauf beschränkt hätte,
die Classen anzugeben, sondern daß er seine Kritik an das Einzelne gelegt hätte,
wo wir gewiß manche geistvolle Schlaglichter finden würden.

Zum Schluß gibt er die Art und Weise an, wie wir uns aus der Ver¬
wirrung unsrer Literatur wieder herausarbeiten können. „Nicht durch Aesthetik,
sondern einzig und allein durch das poetische Gewissen, das jede gleißende Lüge
gründlich verabscheut, durch männliche Unterordnung jener zerstreuten und zer¬
fahrenen Elemente unsres Dramas unter ein gemeinsames Princip, nnter etwas,
das höher liegt als diese Zerfahrenheit und drückende Unruhe......und das
kann kein andres sein, als das religiöse und zwar specifisch christliche GefülU,
wie es z. B. in Shakespeareschen Schauspielen unsichtbar und doch unverkenn¬
bar waltet." Er will aber keineswegs die Rückkehr zu kirchlichen Stoffen und
Formen, er spricht sich z. B. über die Amarantheu- und Sieglindcnpoesic »ut
der größten Verachtung aus. „Wir verlangen nichts als eine christliche At¬
mosphäre, die wir unbewußt athmen und die in ihrer Reinheit die verborgene
höhere Bedeutsamkeit der irdischen Dinge von selbst hiudurchscheinen läßt, gleich'
wie ja dieselbe Gegend nicht dieselbe ist, in dickem Schiuuzmetter oder bei
scharfer Abendbeleuchtung. Wer fragt im Frühling, was der Frühling si'^
Wir sehen die Luft nicht, die uns erfrischt, und sehen das Licht nicht, das doch
ringsum Laub und Blumen färbt." —

Wenn der christliche Geist, der wiederhergestellt werden soll, derselbe ist,
der in Shakespeares Dramen athmet, so haben wir nicht das geringste dagegen
einzuwenden. Der Dichter muß an seinen Stoff und an dessen sittlichen In¬
halt glauben. Das Lebenselement seiner Fabelwelt muß auch daS seinige seM,
und das Gewissen seiner Charaktere muß an dem seinigen den Regulator ha¬
ben. Dies ist das eine, was die romantische Schule versehen hat, was übrigens
jetzt, wenigstens in der Theorie, allgemein anerkannt wird. — Das zweite ist,
daß die Poesie nicht Ausnahmezustände, sondern Ideale darzustellen hat, solche,
die jeder Mensch von richtiger Gesühlsbildung versteht; und das wäre vor¬
zugsweise unsren neueren Dichtern einzuschärfen. Mit so gewaltiger Zerstörungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/500>, abgerufen am 01.09.2024.