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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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würdigste aller Shakespeareschcn Stücke, der Hamlet, augenscheinlich zeigt:
obgleich wir nicht blos in diesem Drama, in welchem aller feste Boden dnrch
die wilden Wogen der Reflexion unterwühlt ist, das protestantische Princip
erkennen, sondern ebenso in den Stücken von stärkerem sittlichen Inhalt: Cäsar,
Othello u. s. w. Bei Shakespeare ist das Leben der Charakter eine Kontinuität,
die Seele ein organisches Ganze. Freilich entbehrt sie die Versöhnung, die
Erlösung, aber sie verliert nicht sich selbst. Bei den katholischen Dichtern da¬
gegen, als deren bedeutendsten Eichendorff ganz mit Recht Calderon hervor¬
gehoben hat, tritt zwar die Versöhnung ein, aber durch ein Wunder, welches
Vie Integrität der Seele aufhebt. An diesem Dichter hätte nun Eichendorff
die Wahrheit seines Princips prüfen können, aber er hat diese Aufgabe zu
leichtfertig behandelt. So schildert er z. B. den Inhalt der Andacht zum Kreuz
ganz richtig, schließt aber, anstatt in das natürliche Entsetzen auszubrechen,
Mit der wunderlichen Bemerkung: "So brennt das heilige Kreuz als ein christ¬
liches Fatum düster durch das ganze Stück, bis es zuletzt alles Irdische verzehrend
Und verklärend in stillen Flammen emporleuchtet." -- Wir kennen diese
Tlammen! Ein Abglanz ihres schreckenvollen Lichts schimmert noch über den
geistig verödeten Ländern, die früher in vollster Blüte standen.

Wenn Shakespeare von dem Makel des Unglaubens befreit wird, so sind
^e deutschen Dichter, namentlich Lessing, Goethe und Schiller nicht so glücklich.
Eichendorff spricht ihnen das Christenthum ab, er.spricht ihnen auch ab, eine
Ueue Weltansicht erfunden zu haben. "Was das erste anbetrifft," sagt er
S. 13ki, "so formulirt sich die Frage ganz einfach dahin, ob man an die
Gottheit Christi glaube oder nicht.....und nach jenem Kriterium sind Goethe
und Schiller, trotz der künstlichen Gegenversicherungen ihrer Freunde, keine
Christen." 5)ier-bleibt es nur befremdlich, daß Eichendorff nicht denselben Mase¬
stab um Shakespeare legt, wo die Frage nicht so einfach zu erledigen wäre.
Er hat wol einen richtigen Jnstinct dafür gehabt, daß Shakespeares Verhältniß
6U dein sittlichen Inhalt des Christenthums ein andres war, als das Goethes.
^be,r er hat sich diesen Unterschied nicht klar gemacht. Shakespeare war im strengsten
Sinne des Worts ein tragischer Dichter, der den Conflict des Geistes und der
Natur grade so ernsthaft auffaßte wie das Christenthum; Goethe dagegen, der
Schüler Spinozas und der Griechen, der von der Einheit deS Geistes und der
Natur ausging, erkannte das Tragische als den innern Kern der Kunst nicht
I" seiner Ergebung in den Gedanken der Nothwendigkeit lag in der That
neues künstlerisches Princip, welches man dem katholischen und prvtestan-
"schen gar wohl als heidnisches gegenüberstellen kann, wenn man nur mit
^sein Ausdruck keinen Tadel verbindet. -- Wie incorrect zuweilen Eichendorff
seiner historischen Auffassung ist, zeigt unter anderem die Behauptung S. 77,
antik heidnische Richtung der italienischen Bildung im Is. Jahrhundert sei


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würdigste aller Shakespeareschcn Stücke, der Hamlet, augenscheinlich zeigt:
obgleich wir nicht blos in diesem Drama, in welchem aller feste Boden dnrch
die wilden Wogen der Reflexion unterwühlt ist, das protestantische Princip
erkennen, sondern ebenso in den Stücken von stärkerem sittlichen Inhalt: Cäsar,
Othello u. s. w. Bei Shakespeare ist das Leben der Charakter eine Kontinuität,
die Seele ein organisches Ganze. Freilich entbehrt sie die Versöhnung, die
Erlösung, aber sie verliert nicht sich selbst. Bei den katholischen Dichtern da¬
gegen, als deren bedeutendsten Eichendorff ganz mit Recht Calderon hervor¬
gehoben hat, tritt zwar die Versöhnung ein, aber durch ein Wunder, welches
Vie Integrität der Seele aufhebt. An diesem Dichter hätte nun Eichendorff
die Wahrheit seines Princips prüfen können, aber er hat diese Aufgabe zu
leichtfertig behandelt. So schildert er z. B. den Inhalt der Andacht zum Kreuz
ganz richtig, schließt aber, anstatt in das natürliche Entsetzen auszubrechen,
Mit der wunderlichen Bemerkung: „So brennt das heilige Kreuz als ein christ¬
liches Fatum düster durch das ganze Stück, bis es zuletzt alles Irdische verzehrend
Und verklärend in stillen Flammen emporleuchtet." — Wir kennen diese
Tlammen! Ein Abglanz ihres schreckenvollen Lichts schimmert noch über den
geistig verödeten Ländern, die früher in vollster Blüte standen.

Wenn Shakespeare von dem Makel des Unglaubens befreit wird, so sind
^e deutschen Dichter, namentlich Lessing, Goethe und Schiller nicht so glücklich.
Eichendorff spricht ihnen das Christenthum ab, er.spricht ihnen auch ab, eine
Ueue Weltansicht erfunden zu haben. „Was das erste anbetrifft," sagt er
S. 13ki, „so formulirt sich die Frage ganz einfach dahin, ob man an die
Gottheit Christi glaube oder nicht.....und nach jenem Kriterium sind Goethe
und Schiller, trotz der künstlichen Gegenversicherungen ihrer Freunde, keine
Christen." 5)ier-bleibt es nur befremdlich, daß Eichendorff nicht denselben Mase¬
stab um Shakespeare legt, wo die Frage nicht so einfach zu erledigen wäre.
Er hat wol einen richtigen Jnstinct dafür gehabt, daß Shakespeares Verhältniß
6U dein sittlichen Inhalt des Christenthums ein andres war, als das Goethes.
^be,r er hat sich diesen Unterschied nicht klar gemacht. Shakespeare war im strengsten
Sinne des Worts ein tragischer Dichter, der den Conflict des Geistes und der
Natur grade so ernsthaft auffaßte wie das Christenthum; Goethe dagegen, der
Schüler Spinozas und der Griechen, der von der Einheit deS Geistes und der
Natur ausging, erkannte das Tragische als den innern Kern der Kunst nicht
I» seiner Ergebung in den Gedanken der Nothwendigkeit lag in der That
neues künstlerisches Princip, welches man dem katholischen und prvtestan-
"schen gar wohl als heidnisches gegenüberstellen kann, wenn man nur mit
^sein Ausdruck keinen Tadel verbindet. — Wie incorrect zuweilen Eichendorff
seiner historischen Auffassung ist, zeigt unter anderem die Behauptung S. 77,
antik heidnische Richtung der italienischen Bildung im Is. Jahrhundert sei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/499>, abgerufen am 27.07.2024.