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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Nomanfiguren desselben sich miteinander unterreden. Die Erzählungen haben
zum Theil den Fehler, mehr aufs Pikante als aufs naturwahre auszugehen.
Doch sind einige darunter und namentlich diejenigen, in denen der Verfasser
sich einfacher gehalten hat, recht gut gelungen. Durch vielfältige Urtheile über
literarische Gegenstände trägt der Verfasser dem Zeitgeist Rechnung. Da wir
vor einiger Zeit eine Darstellung der Wahlverwandtschaften von unsrem Stand¬
punkt gaben, so wollen wir unsre Leser auf eine ähnliche Krink des Verfassers
Seite 88 ff. aufmerksam machen. "Goethe, sagt er, belehrt uns über andere
und dadurch über uns selbst. Er schont uns nicht, er beschönigt nichts und
verführt nicht. Ja er läßt uns selbst die Qual fühlen, welche eine zu große
Nachgiebigkeit des Herzens gegen seine Neigungen herbeiführt____Was mich
so ganz für das Buch eingenommen hat, ist, daß mir dadurch klar wurde, wie
das Unglück der Menschen aus dem Mißverständniß deS eignen Herzens ent¬
springt; keiner sich selbst kennt, und jedes Wohlgefallen^ das er an einem Ge¬
genstände findet, sogleich für Liebe hält. Spät und immer zu spät gestehen
wir uns diese Mißverständnisse ein und Müssen dafür büßen......Hätte ein
Freund dem Baron das Mißverständniß gelöst, daß er Charlotten geneigt sei,
aber nicht aus Liebe, vielleicht mehr aus Widerspruchsgeist gegen Hindernisse,
sich nur mit ihr vermählen wolle, als sie Witwe war, so würde dieser beiven
einen großen Dienst erwiesen haben, und wer weiß, ob ich mich selbst in eine'"
solchen Falle dazu hätte entschließen können, einen Freund von seinem Vor¬
satze abzuwenden, denn eS hat etwas Frevelhaftes, in das Schicksal eines an¬
dern einzugreifen und nur, wettet jemand ins Wasser sich stürzen wollte, würde
ich ihn freundschaftlich bei der Hand festhalten." ze. --

Berliner Pickwickier. Von Dr. Bernhard Hesslein. Mit vielen
Illustrationen von Ludwig Löfler. Berlin, Stubenrauch. -- Kein eigentlicher
Roman, sondern ein Cyklus von Erzählungen, die durch einen gemeinsamen
Faden verknüpft werden. Vier alte Junggesellen nehmen sich einer jungen
Waise an, verlieben sich schließlich in sie und machen Ansprüche auf ihre Hand,
kommen aber noch zu rechter Zeit dazu, das Thörichte dieses Vorhabens ein¬
zusehen. Die Erzählung ist äußerst harmlos und hätte noch gewonnen, wenn
der Versasser allen Ernst überhaupt - vermieden und die humoristische Grund¬
färbung durchweg festgehalten hätte. Einzelne Schilderungen aus dem Berliner
Leben zeigen von vieler Sachkenntniß und Beobachtungsgabe. Die Erinnerung
an Dickens hätte füglich wegbleiben sollen, da eine innere Verwandtschaft nicht
stattfindet und da man zu Vergleichen verleitet wird, die gänzlich unstatthaft
sind. Die Illustrationen sind gut und namentlich viel besser als die zu Dickens,
bei dem doch meistens die Fratze überwiegt. --

Des Lebens Wandlungen. Roman in drei Büchern. Von FraNi
v. Elling. Drei Bände. Stuttgart, Mänler. -- Der Roman ist ernster


Nomanfiguren desselben sich miteinander unterreden. Die Erzählungen haben
zum Theil den Fehler, mehr aufs Pikante als aufs naturwahre auszugehen.
Doch sind einige darunter und namentlich diejenigen, in denen der Verfasser
sich einfacher gehalten hat, recht gut gelungen. Durch vielfältige Urtheile über
literarische Gegenstände trägt der Verfasser dem Zeitgeist Rechnung. Da wir
vor einiger Zeit eine Darstellung der Wahlverwandtschaften von unsrem Stand¬
punkt gaben, so wollen wir unsre Leser auf eine ähnliche Krink des Verfassers
Seite 88 ff. aufmerksam machen. „Goethe, sagt er, belehrt uns über andere
und dadurch über uns selbst. Er schont uns nicht, er beschönigt nichts und
verführt nicht. Ja er läßt uns selbst die Qual fühlen, welche eine zu große
Nachgiebigkeit des Herzens gegen seine Neigungen herbeiführt____Was mich
so ganz für das Buch eingenommen hat, ist, daß mir dadurch klar wurde, wie
das Unglück der Menschen aus dem Mißverständniß deS eignen Herzens ent¬
springt; keiner sich selbst kennt, und jedes Wohlgefallen^ das er an einem Ge¬
genstände findet, sogleich für Liebe hält. Spät und immer zu spät gestehen
wir uns diese Mißverständnisse ein und Müssen dafür büßen......Hätte ein
Freund dem Baron das Mißverständniß gelöst, daß er Charlotten geneigt sei,
aber nicht aus Liebe, vielleicht mehr aus Widerspruchsgeist gegen Hindernisse,
sich nur mit ihr vermählen wolle, als sie Witwe war, so würde dieser beiven
einen großen Dienst erwiesen haben, und wer weiß, ob ich mich selbst in eine'»
solchen Falle dazu hätte entschließen können, einen Freund von seinem Vor¬
satze abzuwenden, denn eS hat etwas Frevelhaftes, in das Schicksal eines an¬
dern einzugreifen und nur, wettet jemand ins Wasser sich stürzen wollte, würde
ich ihn freundschaftlich bei der Hand festhalten." ze. —

Berliner Pickwickier. Von Dr. Bernhard Hesslein. Mit vielen
Illustrationen von Ludwig Löfler. Berlin, Stubenrauch. — Kein eigentlicher
Roman, sondern ein Cyklus von Erzählungen, die durch einen gemeinsamen
Faden verknüpft werden. Vier alte Junggesellen nehmen sich einer jungen
Waise an, verlieben sich schließlich in sie und machen Ansprüche auf ihre Hand,
kommen aber noch zu rechter Zeit dazu, das Thörichte dieses Vorhabens ein¬
zusehen. Die Erzählung ist äußerst harmlos und hätte noch gewonnen, wenn
der Versasser allen Ernst überhaupt - vermieden und die humoristische Grund¬
färbung durchweg festgehalten hätte. Einzelne Schilderungen aus dem Berliner
Leben zeigen von vieler Sachkenntniß und Beobachtungsgabe. Die Erinnerung
an Dickens hätte füglich wegbleiben sollen, da eine innere Verwandtschaft nicht
stattfindet und da man zu Vergleichen verleitet wird, die gänzlich unstatthaft
sind. Die Illustrationen sind gut und namentlich viel besser als die zu Dickens,
bei dem doch meistens die Fratze überwiegt. —

Des Lebens Wandlungen. Roman in drei Büchern. Von FraNi
v. Elling. Drei Bände. Stuttgart, Mänler. — Der Roman ist ernster


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[0484] Nomanfiguren desselben sich miteinander unterreden. Die Erzählungen haben zum Theil den Fehler, mehr aufs Pikante als aufs naturwahre auszugehen. Doch sind einige darunter und namentlich diejenigen, in denen der Verfasser sich einfacher gehalten hat, recht gut gelungen. Durch vielfältige Urtheile über literarische Gegenstände trägt der Verfasser dem Zeitgeist Rechnung. Da wir vor einiger Zeit eine Darstellung der Wahlverwandtschaften von unsrem Stand¬ punkt gaben, so wollen wir unsre Leser auf eine ähnliche Krink des Verfassers Seite 88 ff. aufmerksam machen. „Goethe, sagt er, belehrt uns über andere und dadurch über uns selbst. Er schont uns nicht, er beschönigt nichts und verführt nicht. Ja er läßt uns selbst die Qual fühlen, welche eine zu große Nachgiebigkeit des Herzens gegen seine Neigungen herbeiführt____Was mich so ganz für das Buch eingenommen hat, ist, daß mir dadurch klar wurde, wie das Unglück der Menschen aus dem Mißverständniß deS eignen Herzens ent¬ springt; keiner sich selbst kennt, und jedes Wohlgefallen^ das er an einem Ge¬ genstände findet, sogleich für Liebe hält. Spät und immer zu spät gestehen wir uns diese Mißverständnisse ein und Müssen dafür büßen......Hätte ein Freund dem Baron das Mißverständniß gelöst, daß er Charlotten geneigt sei, aber nicht aus Liebe, vielleicht mehr aus Widerspruchsgeist gegen Hindernisse, sich nur mit ihr vermählen wolle, als sie Witwe war, so würde dieser beiven einen großen Dienst erwiesen haben, und wer weiß, ob ich mich selbst in eine'» solchen Falle dazu hätte entschließen können, einen Freund von seinem Vor¬ satze abzuwenden, denn eS hat etwas Frevelhaftes, in das Schicksal eines an¬ dern einzugreifen und nur, wettet jemand ins Wasser sich stürzen wollte, würde ich ihn freundschaftlich bei der Hand festhalten." ze. — Berliner Pickwickier. Von Dr. Bernhard Hesslein. Mit vielen Illustrationen von Ludwig Löfler. Berlin, Stubenrauch. — Kein eigentlicher Roman, sondern ein Cyklus von Erzählungen, die durch einen gemeinsamen Faden verknüpft werden. Vier alte Junggesellen nehmen sich einer jungen Waise an, verlieben sich schließlich in sie und machen Ansprüche auf ihre Hand, kommen aber noch zu rechter Zeit dazu, das Thörichte dieses Vorhabens ein¬ zusehen. Die Erzählung ist äußerst harmlos und hätte noch gewonnen, wenn der Versasser allen Ernst überhaupt - vermieden und die humoristische Grund¬ färbung durchweg festgehalten hätte. Einzelne Schilderungen aus dem Berliner Leben zeigen von vieler Sachkenntniß und Beobachtungsgabe. Die Erinnerung an Dickens hätte füglich wegbleiben sollen, da eine innere Verwandtschaft nicht stattfindet und da man zu Vergleichen verleitet wird, die gänzlich unstatthaft sind. Die Illustrationen sind gut und namentlich viel besser als die zu Dickens, bei dem doch meistens die Fratze überwiegt. — Des Lebens Wandlungen. Roman in drei Büchern. Von FraNi v. Elling. Drei Bände. Stuttgart, Mänler. — Der Roman ist ernster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/484>, abgerufen am 01.09.2024.