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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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keine Beschlagnahmen, keine Gewaltmaßregel, keine willkürlichen Verhaftungen
einschüchtern, sondern vertheidigte Schritt für Schritt den Boden des Gesetzes.
Die Unzufriedenheit wurde allgemein und nahm täglich zu; nur die Hoffnung
auf die Zusammenberufung der Cortes, wo allein noch das freie Wort unbe¬
schränkt Ausdruck finden konnte , hielt sie von einem lauten Ausbruch zurück.
Aber das Ministerium zeigte nicht die mindeste Lust, die Kammern zusammen-
zuberufen. Es fuhr fort, Gesetze durch Decrete zu erlassen, und Eisenbahn¬
concessionen zu ertheilen, welche der Senat nicht bewilligt hatte, weil das
ganze Land wußte, daß sie blos dem Herzog von Rianzares, dem Gemahl
Marie Chn'Stincus, und seinem Bankier Salamanca die Tasche füllen sollten.
Es gingen sogar Gerüchte von einem beabsichtigten Staatsstreich, der die Ver¬
fassung umstürzen und die ganze Regierungsgewalt in den Händen des Mi¬
nisteriums vereinigen sollte. Während dieser ganzen Zeit stand dus Land von
einem Ende zum andern unter dem Kriegsgesetz, das seit dem Aufstande von
Saragossa über dasselbe verhängt war.

Das Ministerium glaubte unbehindert seinem Ziele nachgehen zu können,
denn es erblickte kein Symptom des Widerstandes außer den vorsichtigen Stimmen
der Presse, die absolute Regierungen immer einzelnen Unzufriedenen zuzuschreiben
geneigt sind; aber es hatte sich die öffentliche Meinung so vollkommen ent-
fremdet, daß es nichts von der Verschwörung merkte, welche ihre Pläne fast
vor seinen Augen verfolgte. In Madrid selbst war der Herd, und alle Vor¬
bereitungen wurden so offen betrieben, daß die Namen der Hauptverschwörer
laut genannt, und ihr Ziel bezeichnet wurde. Nur das Ministerium bliev
blind. ODonnell hielt sich in Madrid verborgen, und sah zahlreiche Freunde
bei sich, konnte aber von der Polizei nicht entdeckt werden. Er empfing Be¬
suche von seinen Mitverschwpreuen; seine Gemahlin kam zu ihm; eine Zelt
lang, als er ernstlich krank war, besuchte ihn täglich einer der ersten Aerzte
Madrids; aber so verhaßt hatte sich das Ministerium gemacht, so begierig war
man, es stürzen zu sehen, daß sich niemand fand, der ihm die Anwesenheit
seines bittersten Gegners verrathen hätte. Selbst die wohlbezahlten Polizei
agenten halfen mit über die Sicherheit der Verschwörung wachen, denn ODonnell
bezahlte sie noch besser als das Ministerium.

Obgleich sich die progressistische Partei während des ganzen Parlamentärs
scheu Kampfes mehr im Hintergrunde gehalten, so fühlten doch die Moderados,
dgß sie ohne deren Unterstützung keinen dauernden Sieg erfechten könnten-
Beide Parteien waren einig in ihrem Haß gegen die Polaccaö, d, h. diejenige
Partei, die nur nach Amt und Würden strebend, Hand in Hand mit dei"
Ministerium nach dem Ziele absolutistischer Herrschaft ging. Aber langjährige
politische Feindschaft trennte sie. Die Progressisten, seit Esparteros Sturz von
der Herrschaft verdrängt, hatten vergebens sich bemüht, die frühere Constitution


keine Beschlagnahmen, keine Gewaltmaßregel, keine willkürlichen Verhaftungen
einschüchtern, sondern vertheidigte Schritt für Schritt den Boden des Gesetzes.
Die Unzufriedenheit wurde allgemein und nahm täglich zu; nur die Hoffnung
auf die Zusammenberufung der Cortes, wo allein noch das freie Wort unbe¬
schränkt Ausdruck finden konnte , hielt sie von einem lauten Ausbruch zurück.
Aber das Ministerium zeigte nicht die mindeste Lust, die Kammern zusammen-
zuberufen. Es fuhr fort, Gesetze durch Decrete zu erlassen, und Eisenbahn¬
concessionen zu ertheilen, welche der Senat nicht bewilligt hatte, weil das
ganze Land wußte, daß sie blos dem Herzog von Rianzares, dem Gemahl
Marie Chn'Stincus, und seinem Bankier Salamanca die Tasche füllen sollten.
Es gingen sogar Gerüchte von einem beabsichtigten Staatsstreich, der die Ver¬
fassung umstürzen und die ganze Regierungsgewalt in den Händen des Mi¬
nisteriums vereinigen sollte. Während dieser ganzen Zeit stand dus Land von
einem Ende zum andern unter dem Kriegsgesetz, das seit dem Aufstande von
Saragossa über dasselbe verhängt war.

Das Ministerium glaubte unbehindert seinem Ziele nachgehen zu können,
denn es erblickte kein Symptom des Widerstandes außer den vorsichtigen Stimmen
der Presse, die absolute Regierungen immer einzelnen Unzufriedenen zuzuschreiben
geneigt sind; aber es hatte sich die öffentliche Meinung so vollkommen ent-
fremdet, daß es nichts von der Verschwörung merkte, welche ihre Pläne fast
vor seinen Augen verfolgte. In Madrid selbst war der Herd, und alle Vor¬
bereitungen wurden so offen betrieben, daß die Namen der Hauptverschwörer
laut genannt, und ihr Ziel bezeichnet wurde. Nur das Ministerium bliev
blind. ODonnell hielt sich in Madrid verborgen, und sah zahlreiche Freunde
bei sich, konnte aber von der Polizei nicht entdeckt werden. Er empfing Be¬
suche von seinen Mitverschwpreuen; seine Gemahlin kam zu ihm; eine Zelt
lang, als er ernstlich krank war, besuchte ihn täglich einer der ersten Aerzte
Madrids; aber so verhaßt hatte sich das Ministerium gemacht, so begierig war
man, es stürzen zu sehen, daß sich niemand fand, der ihm die Anwesenheit
seines bittersten Gegners verrathen hätte. Selbst die wohlbezahlten Polizei
agenten halfen mit über die Sicherheit der Verschwörung wachen, denn ODonnell
bezahlte sie noch besser als das Ministerium.

Obgleich sich die progressistische Partei während des ganzen Parlamentärs
scheu Kampfes mehr im Hintergrunde gehalten, so fühlten doch die Moderados,
dgß sie ohne deren Unterstützung keinen dauernden Sieg erfechten könnten-
Beide Parteien waren einig in ihrem Haß gegen die Polaccaö, d, h. diejenige
Partei, die nur nach Amt und Würden strebend, Hand in Hand mit dei»
Ministerium nach dem Ziele absolutistischer Herrschaft ging. Aber langjährige
politische Feindschaft trennte sie. Die Progressisten, seit Esparteros Sturz von
der Herrschaft verdrängt, hatten vergebens sich bemüht, die frühere Constitution


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/470>, abgerufen am 01.09.2024.