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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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lassen Sie über die Weichsel gehen und gegen Ncustettin vorrücken, doch zur
Blockirung von Danzig dürfen preußische Truppen nicht ge¬
braucht werden.

Das russische BelagerungScorps war jedoch zu schwach; es fehlte ihm, wie
der russischen Armee überhaupt, an tüchtigen Ingenieurs; und die rasche Occu-
pation eines großen Theils der Nahrung durch die Franzosen regte die ge¬
wichtigsten Zweifel an einem günstigen Ausgange der Belagerung an. Unter
diesen Umständen entschlossen sich die Verbündeten, die Belagerer durch die
erste Division der neugebildeten ostpreußischen Landwehr unter Graf Ludwig
zu Dohna zu verstärken. Die russischen Pläne auf Danzig erlitten dadurch
keine wesentliche Veränderung; aus der ganzen Geschichte der Belagerung
drängt sich, vielmehr die Ueberzeugung auf, daß 'es die Absicht des Herzogs
von Würtemberg war, Danzig vornämlich durch preußische Kraft erobern z"
lassen, um es dann ausschließlich durch russische Truppen zu besetzen. Obgleich
Graf Dohna ein Corps von ca. 8000 Mann befehligte, erfuhr er doch von dem
russischen Befehlshaber die kränkendste Zurücksetzung, wurde ungeachtet seiner
Stellung als Corpschef bei den wichtigsten Verhandlungen ausgeschlossen,
während seinen Truppen stets der schwerste und aufreibendste Theil der Massen¬
arbeit auferlegt wurde. "Die Landwehr mußte in den Monaten October und
November bei nasser und kalter Witterung fast beständig die am meisten be¬
drohten und angegriffenen Laufgräben und Schanzen besetzen und vertheidigen,
während mehre russische Linienregimenter den leichten und bequemen Dienst
im Hauptquartiere verrichteten. Der anstrengende Dienst und der anhaltende
Bivouak zerstörten auch die stärkste Gesundheit." Insbesondere waren d>e
russischen Druschinen ein Gegenstand zärtlicher Fürsorge für den Herzog: se^
waren Eigenthum russischer Edelleute und jeder Mann von ihnen repräsentierte
ein Capital von ungefähr 1 000 Silberrubeln, wurden auch gleich nach der
Einnahme DanzigS nach' Hause geschickt. So gebührt der Hauptruhm der
Waffenthaten vor Danzig der preußischen Landwehr und dem hervorragenden
Talente Pullets, der auch seinerseits, nach mehrfachen Erfahrungen über d>c
Unbrauchbarkeit der russischen Truppen, und um den Erfolg der Belagcrungs-
arbeiten nicht zu gefährden, dahin wirkte, daß wichtige und gefährliche Posten
seinen unerschrockenen Landsleuten anvertraut wurden.

Obgleich nun die Eroberung Danzigs zum größten Theil das Werk der
Preußen war, und obgleich in dem Reichenbacher Vertrage vom 27. Juni 8
ausdrücklich stipulirt war, daß Preußen in den Besitz der Stadt gesetzt werde"
solle, glaubten die Nüssen doch nach der Kapitulation die Stadt für sich be¬
haupten zu können. Um frühzeitige Berichte Dohnas an seinen König a -
zuschneiden, sand der Herzog für gut, ihn zu den Capitulationsvcrhandlungen
nicht hinzuzuziehen; ja er verbot sogar, ihn davon in Kenntniß zu setzen-


lassen Sie über die Weichsel gehen und gegen Ncustettin vorrücken, doch zur
Blockirung von Danzig dürfen preußische Truppen nicht ge¬
braucht werden.

Das russische BelagerungScorps war jedoch zu schwach; es fehlte ihm, wie
der russischen Armee überhaupt, an tüchtigen Ingenieurs; und die rasche Occu-
pation eines großen Theils der Nahrung durch die Franzosen regte die ge¬
wichtigsten Zweifel an einem günstigen Ausgange der Belagerung an. Unter
diesen Umständen entschlossen sich die Verbündeten, die Belagerer durch die
erste Division der neugebildeten ostpreußischen Landwehr unter Graf Ludwig
zu Dohna zu verstärken. Die russischen Pläne auf Danzig erlitten dadurch
keine wesentliche Veränderung; aus der ganzen Geschichte der Belagerung
drängt sich, vielmehr die Ueberzeugung auf, daß 'es die Absicht des Herzogs
von Würtemberg war, Danzig vornämlich durch preußische Kraft erobern z»
lassen, um es dann ausschließlich durch russische Truppen zu besetzen. Obgleich
Graf Dohna ein Corps von ca. 8000 Mann befehligte, erfuhr er doch von dem
russischen Befehlshaber die kränkendste Zurücksetzung, wurde ungeachtet seiner
Stellung als Corpschef bei den wichtigsten Verhandlungen ausgeschlossen,
während seinen Truppen stets der schwerste und aufreibendste Theil der Massen¬
arbeit auferlegt wurde. „Die Landwehr mußte in den Monaten October und
November bei nasser und kalter Witterung fast beständig die am meisten be¬
drohten und angegriffenen Laufgräben und Schanzen besetzen und vertheidigen,
während mehre russische Linienregimenter den leichten und bequemen Dienst
im Hauptquartiere verrichteten. Der anstrengende Dienst und der anhaltende
Bivouak zerstörten auch die stärkste Gesundheit." Insbesondere waren d>e
russischen Druschinen ein Gegenstand zärtlicher Fürsorge für den Herzog: se^
waren Eigenthum russischer Edelleute und jeder Mann von ihnen repräsentierte
ein Capital von ungefähr 1 000 Silberrubeln, wurden auch gleich nach der
Einnahme DanzigS nach' Hause geschickt. So gebührt der Hauptruhm der
Waffenthaten vor Danzig der preußischen Landwehr und dem hervorragenden
Talente Pullets, der auch seinerseits, nach mehrfachen Erfahrungen über d>c
Unbrauchbarkeit der russischen Truppen, und um den Erfolg der Belagcrungs-
arbeiten nicht zu gefährden, dahin wirkte, daß wichtige und gefährliche Posten
seinen unerschrockenen Landsleuten anvertraut wurden.

Obgleich nun die Eroberung Danzigs zum größten Theil das Werk der
Preußen war, und obgleich in dem Reichenbacher Vertrage vom 27. Juni 8
ausdrücklich stipulirt war, daß Preußen in den Besitz der Stadt gesetzt werde»
solle, glaubten die Nüssen doch nach der Kapitulation die Stadt für sich be¬
haupten zu können. Um frühzeitige Berichte Dohnas an seinen König a -
zuschneiden, sand der Herzog für gut, ihn zu den Capitulationsvcrhandlungen
nicht hinzuzuziehen; ja er verbot sogar, ihn davon in Kenntniß zu setzen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/462>, abgerufen am 01.09.2024.