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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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fischen Nation anzuerkennen und den Souverän als den -Repräsentanten der¬
selben aufzufassen. Der Streit wird also nur darum geführt, in welcher
Form die souveränes auszuüben sei. Ganz anders ist es in Deutschland,
wo der absolute Staat nicht gegründet worden ist, wo also die beiden
Principien sich auch ihrem Inhalt nach feindselig gegenüberstehen. Der
Wunsch, einem staatsrechtlichen und mächtigen Ganzen anzugehören, welches
ein gemeinschaftliches, durch die Natur bedingtes Leben habe, regt sich sowol
bei den Fürsten wie bei den Völkern; allein die ersteren hatten demselben keinen
andern Ausdruck zu geben gewußt als den vormärzlichen Bundestag, in wel¬
chem das Volk nichts weiter sah als eine polizeiliche Anstalt. Und als das
Volk zusammentrat, mußte es auch zu dem sonderbaren Resultat gelangen, daß
es sich bankerott erklärte. Die letzte Entscheidung des Parlaments kam darauf
heraus, v-aß man eine staatliche Organisation auf nationaler Basis zwar für
Nothwendig halte, daß man aber vorläufig nicht wisse, wie man dieselbe ein¬
richten solle. Da es nun die Fürsten auch nicht wußten, so blieb es vorläufig
beim alten Compromiß, ohne daß damit ausgesprochen wäre, jene Ideen seien
durch ihre vorläufige Unfertigst widerlegt. Sie wirken vielmehr mit unwider¬
stehlicher Kraft fort, und statt sie dialektisch aufzulösen, sollte man vielmehr
sorgfältig das Positive in ihnen hervorsuchen, und nachweisen, wie weit sie
historische, wie weit blos ideelle Bedeutung haben.

Und hier dürfen wir uns nicht verhehlen, daß der geistvolle Verfasser jener
Stimmung, die aus der augenblicklichen Enttäuschung wohl zu erklären ist,
on weit nachgegeben hat. Er glaubt nämlich in dem staatenbildenden Princip
der neueren Zeit, das sich dunkel und unklar, aber doch vernehmlich genug in
der Idee der Volkssouveränetät verkündete, ein culturfeindlicheö Moment zu
^'kennen, und findet die Rettung der Cultur in dem directen Gegensatz desselben,
Ul der Bekämpfung des staatlichen Absolutismus. Da wir in Beziehung
darauf die entgegengesetzte Ansicht festhalten, so müssen wir die Verschiedenheit
d^ Standpunkts kurz zu motiviren suchen.

Der Verfasser geht von der Slusicht ans, daß die Verirrungen unsrer Zeit
öUw großen Theil aus der falschen Richtung herrühren, die man der productiven
Thätigkeit der Menschheit gegeben hat. Man richtet seine Wünsche wie seine
Arbeiten auf das Staatsleben, und erreicht damit nichts Anderes, als daß man
den natürlichen Bedürfnissen eine große Summe von Kräften entzieht und
ste an eitle Aufgaben verschwendet, oder gar die bestehenden Verhältnisle ver-
^re und sie in einer beständigen Unruhe erhält, die keine gedeihliche fort¬
dauernde Thätigkeit zuläßt. Aus diesem zwecklosen Hin- und Hertreiben wird
"'an sich ^" dreien, wenn man dem sogenannten Staat eine Function
"ach der andern entzieht und ihm zuletzt nur daS übrigläßt, was seine
eigentliche Aufgabe ist: die Beaufsichtigung und Sicherung des Bestehenden.


Grenzboten. III. <86t. ^

fischen Nation anzuerkennen und den Souverän als den -Repräsentanten der¬
selben aufzufassen. Der Streit wird also nur darum geführt, in welcher
Form die souveränes auszuüben sei. Ganz anders ist es in Deutschland,
wo der absolute Staat nicht gegründet worden ist, wo also die beiden
Principien sich auch ihrem Inhalt nach feindselig gegenüberstehen. Der
Wunsch, einem staatsrechtlichen und mächtigen Ganzen anzugehören, welches
ein gemeinschaftliches, durch die Natur bedingtes Leben habe, regt sich sowol
bei den Fürsten wie bei den Völkern; allein die ersteren hatten demselben keinen
andern Ausdruck zu geben gewußt als den vormärzlichen Bundestag, in wel¬
chem das Volk nichts weiter sah als eine polizeiliche Anstalt. Und als das
Volk zusammentrat, mußte es auch zu dem sonderbaren Resultat gelangen, daß
es sich bankerott erklärte. Die letzte Entscheidung des Parlaments kam darauf
heraus, v-aß man eine staatliche Organisation auf nationaler Basis zwar für
Nothwendig halte, daß man aber vorläufig nicht wisse, wie man dieselbe ein¬
richten solle. Da es nun die Fürsten auch nicht wußten, so blieb es vorläufig
beim alten Compromiß, ohne daß damit ausgesprochen wäre, jene Ideen seien
durch ihre vorläufige Unfertigst widerlegt. Sie wirken vielmehr mit unwider¬
stehlicher Kraft fort, und statt sie dialektisch aufzulösen, sollte man vielmehr
sorgfältig das Positive in ihnen hervorsuchen, und nachweisen, wie weit sie
historische, wie weit blos ideelle Bedeutung haben.

Und hier dürfen wir uns nicht verhehlen, daß der geistvolle Verfasser jener
Stimmung, die aus der augenblicklichen Enttäuschung wohl zu erklären ist,
on weit nachgegeben hat. Er glaubt nämlich in dem staatenbildenden Princip
der neueren Zeit, das sich dunkel und unklar, aber doch vernehmlich genug in
der Idee der Volkssouveränetät verkündete, ein culturfeindlicheö Moment zu
^'kennen, und findet die Rettung der Cultur in dem directen Gegensatz desselben,
Ul der Bekämpfung des staatlichen Absolutismus. Da wir in Beziehung
darauf die entgegengesetzte Ansicht festhalten, so müssen wir die Verschiedenheit
d^ Standpunkts kurz zu motiviren suchen.

Der Verfasser geht von der Slusicht ans, daß die Verirrungen unsrer Zeit
öUw großen Theil aus der falschen Richtung herrühren, die man der productiven
Thätigkeit der Menschheit gegeben hat. Man richtet seine Wünsche wie seine
Arbeiten auf das Staatsleben, und erreicht damit nichts Anderes, als daß man
den natürlichen Bedürfnissen eine große Summe von Kräften entzieht und
ste an eitle Aufgaben verschwendet, oder gar die bestehenden Verhältnisle ver-
^re und sie in einer beständigen Unruhe erhält, die keine gedeihliche fort¬
dauernde Thätigkeit zuläßt. Aus diesem zwecklosen Hin- und Hertreiben wird
"'an sich ^„ dreien, wenn man dem sogenannten Staat eine Function
"ach der andern entzieht und ihm zuletzt nur daS übrigläßt, was seine
eigentliche Aufgabe ist: die Beaufsichtigung und Sicherung des Bestehenden.


Grenzboten. III. <86t. ^
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[0433] fischen Nation anzuerkennen und den Souverän als den -Repräsentanten der¬ selben aufzufassen. Der Streit wird also nur darum geführt, in welcher Form die souveränes auszuüben sei. Ganz anders ist es in Deutschland, wo der absolute Staat nicht gegründet worden ist, wo also die beiden Principien sich auch ihrem Inhalt nach feindselig gegenüberstehen. Der Wunsch, einem staatsrechtlichen und mächtigen Ganzen anzugehören, welches ein gemeinschaftliches, durch die Natur bedingtes Leben habe, regt sich sowol bei den Fürsten wie bei den Völkern; allein die ersteren hatten demselben keinen andern Ausdruck zu geben gewußt als den vormärzlichen Bundestag, in wel¬ chem das Volk nichts weiter sah als eine polizeiliche Anstalt. Und als das Volk zusammentrat, mußte es auch zu dem sonderbaren Resultat gelangen, daß es sich bankerott erklärte. Die letzte Entscheidung des Parlaments kam darauf heraus, v-aß man eine staatliche Organisation auf nationaler Basis zwar für Nothwendig halte, daß man aber vorläufig nicht wisse, wie man dieselbe ein¬ richten solle. Da es nun die Fürsten auch nicht wußten, so blieb es vorläufig beim alten Compromiß, ohne daß damit ausgesprochen wäre, jene Ideen seien durch ihre vorläufige Unfertigst widerlegt. Sie wirken vielmehr mit unwider¬ stehlicher Kraft fort, und statt sie dialektisch aufzulösen, sollte man vielmehr sorgfältig das Positive in ihnen hervorsuchen, und nachweisen, wie weit sie historische, wie weit blos ideelle Bedeutung haben. Und hier dürfen wir uns nicht verhehlen, daß der geistvolle Verfasser jener Stimmung, die aus der augenblicklichen Enttäuschung wohl zu erklären ist, on weit nachgegeben hat. Er glaubt nämlich in dem staatenbildenden Princip der neueren Zeit, das sich dunkel und unklar, aber doch vernehmlich genug in der Idee der Volkssouveränetät verkündete, ein culturfeindlicheö Moment zu ^'kennen, und findet die Rettung der Cultur in dem directen Gegensatz desselben, Ul der Bekämpfung des staatlichen Absolutismus. Da wir in Beziehung darauf die entgegengesetzte Ansicht festhalten, so müssen wir die Verschiedenheit d^ Standpunkts kurz zu motiviren suchen. Der Verfasser geht von der Slusicht ans, daß die Verirrungen unsrer Zeit öUw großen Theil aus der falschen Richtung herrühren, die man der productiven Thätigkeit der Menschheit gegeben hat. Man richtet seine Wünsche wie seine Arbeiten auf das Staatsleben, und erreicht damit nichts Anderes, als daß man den natürlichen Bedürfnissen eine große Summe von Kräften entzieht und ste an eitle Aufgaben verschwendet, oder gar die bestehenden Verhältnisle ver- ^re und sie in einer beständigen Unruhe erhält, die keine gedeihliche fort¬ dauernde Thätigkeit zuläßt. Aus diesem zwecklosen Hin- und Hertreiben wird "'an sich ^„ dreien, wenn man dem sogenannten Staat eine Function "ach der andern entzieht und ihm zuletzt nur daS übrigläßt, was seine eigentliche Aufgabe ist: die Beaufsichtigung und Sicherung des Bestehenden. Grenzboten. III. <86t. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/433>, abgerufen am 27.07.2024.