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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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enthusiast winde schließlich für ungerechtfertigt halten, wenn der eine eine län¬
gere Nase oder mehr Haare hat als der andere u, s. w. Es ist sehr wohlfeil,
hier auf Conseguenzen einzugehn, da der bloße Unsinn keine Grenze zuläßt;
aber an sich sagen jene Ideen nichts Anderes, als daß man von der Obrigkeit
nicht weiter belästigt sein will, als nöthig, und daß in der Gesellschaft keiner
Classe erlaubt sein soll, die andere ungestraft zu beeinträchtigen. Ob man das
nun angeborne Rechte des Menschen nennt, ist vollkommen gleichgiltig: jeden¬
falls sind eS angeborne Bedürfnisse des Menschen, die sich daher überall werden
geltendmachen, wo überhaupt einer Kraftentwicklung Spielraum gegeben ist.
Jede Kraft widerspricht der andern und bedingt sie dadurch. Wenn also auch
der Trieb der Gleichheit zuweilen mit dem Trieb der Freiheit in Conflict ge¬
räth, so ist das gewiß noch keine Widerlegung; denn aus dem Gleichgewicht
der Kräfte geht erst ihre wirkliche Gestaltung hervor.

Nun sucht der Verfasser gleich in der Einleitung den Begriff der Volks-
souveränetät als das Resultat jener beiden Ideen und zugleich als Beleg da¬
für, daß sie widersprechend und resultatlos sind, anzuführen. Mit jenem Begriff
ist allerdings im Jahre -1848 viel Unfug getrieben worden und auch wir haben
damals versucht, die Absurdität der daran geknüpften Vorstellungen zu entwickeln.
Aber man darf nicht vergessen, daß auch im Begriff der Volkssouveränetät ur¬
sprünglich nur eine Negation lag. Seit Ludwig XlV. war bei den Doctrinärs der
Monarchie der Grundsatz, daß der Fürst oder der Souverän unbedingter Herr
über seine Unterthanen sei, theoretisch festgestellt worden. Im Begriff der Volks¬
souveränetät lag ursprünglich nichts Anderes als die Leugnung dieses Grund¬
satzes. Wenn Friedrich der Große behauptete, der Fürst sei ein Beamter des
Staats, d. h. seine Herrschaft werde dadurch bedingt, daß er nicht das
Staatsinteresse seinem individuellen, sondern sein individuelles dem Staats-
üueresse unterordnen müsse, so war im Grunde nichts Anderes damit gesagt.
Aber die gewönliche Consequenzmacherei ging auch hier bis zu einer völligen
Umkehrung der Begriffe. Wenn man das Gesammtinteresse des Volks als den
wahren Inhalt des Staats oder der Souveränetät darstellte, so wird dieser
unzweifelhaft richtige Satz gewiß nicht dadurch widerlegt, daß es sehr schwer
'se, das wahre Gesammtinteresse deö Volks zu constatiren. Wenn man aber
d^ unsinnigen Vorstellungen Ludwigs XlV. von der Souveränetät auf das
Volk anwendete, und behauptete, die Launen und Willkür des Volks müssen den
Staat regieren, so war daS eine handgreifliche Sinnlosigkeit; beim die Laune
^Ach einzelnen kann sich >u der That, wenigstens bis zu einer gewissen
^enze hin, realistren, aber die Laune eines Collectivbegriffs hat selbst darüber
lune Macht.

Indeß lag in jenen dunklen Begriffen etwas, das eine wahre und bedeu¬
tende Fortentwicklung der Geschichte mit sich führte und das der Verfasser


enthusiast winde schließlich für ungerechtfertigt halten, wenn der eine eine län¬
gere Nase oder mehr Haare hat als der andere u, s. w. Es ist sehr wohlfeil,
hier auf Conseguenzen einzugehn, da der bloße Unsinn keine Grenze zuläßt;
aber an sich sagen jene Ideen nichts Anderes, als daß man von der Obrigkeit
nicht weiter belästigt sein will, als nöthig, und daß in der Gesellschaft keiner
Classe erlaubt sein soll, die andere ungestraft zu beeinträchtigen. Ob man das
nun angeborne Rechte des Menschen nennt, ist vollkommen gleichgiltig: jeden¬
falls sind eS angeborne Bedürfnisse des Menschen, die sich daher überall werden
geltendmachen, wo überhaupt einer Kraftentwicklung Spielraum gegeben ist.
Jede Kraft widerspricht der andern und bedingt sie dadurch. Wenn also auch
der Trieb der Gleichheit zuweilen mit dem Trieb der Freiheit in Conflict ge¬
räth, so ist das gewiß noch keine Widerlegung; denn aus dem Gleichgewicht
der Kräfte geht erst ihre wirkliche Gestaltung hervor.

Nun sucht der Verfasser gleich in der Einleitung den Begriff der Volks-
souveränetät als das Resultat jener beiden Ideen und zugleich als Beleg da¬
für, daß sie widersprechend und resultatlos sind, anzuführen. Mit jenem Begriff
ist allerdings im Jahre -1848 viel Unfug getrieben worden und auch wir haben
damals versucht, die Absurdität der daran geknüpften Vorstellungen zu entwickeln.
Aber man darf nicht vergessen, daß auch im Begriff der Volkssouveränetät ur¬
sprünglich nur eine Negation lag. Seit Ludwig XlV. war bei den Doctrinärs der
Monarchie der Grundsatz, daß der Fürst oder der Souverän unbedingter Herr
über seine Unterthanen sei, theoretisch festgestellt worden. Im Begriff der Volks¬
souveränetät lag ursprünglich nichts Anderes als die Leugnung dieses Grund¬
satzes. Wenn Friedrich der Große behauptete, der Fürst sei ein Beamter des
Staats, d. h. seine Herrschaft werde dadurch bedingt, daß er nicht das
Staatsinteresse seinem individuellen, sondern sein individuelles dem Staats-
üueresse unterordnen müsse, so war im Grunde nichts Anderes damit gesagt.
Aber die gewönliche Consequenzmacherei ging auch hier bis zu einer völligen
Umkehrung der Begriffe. Wenn man das Gesammtinteresse des Volks als den
wahren Inhalt des Staats oder der Souveränetät darstellte, so wird dieser
unzweifelhaft richtige Satz gewiß nicht dadurch widerlegt, daß es sehr schwer
'se, das wahre Gesammtinteresse deö Volks zu constatiren. Wenn man aber
d^ unsinnigen Vorstellungen Ludwigs XlV. von der Souveränetät auf das
Volk anwendete, und behauptete, die Launen und Willkür des Volks müssen den
Staat regieren, so war daS eine handgreifliche Sinnlosigkeit; beim die Laune
^Ach einzelnen kann sich >u der That, wenigstens bis zu einer gewissen
^enze hin, realistren, aber die Laune eines Collectivbegriffs hat selbst darüber
lune Macht.

Indeß lag in jenen dunklen Begriffen etwas, das eine wahre und bedeu¬
tende Fortentwicklung der Geschichte mit sich führte und das der Verfasser


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[0431] enthusiast winde schließlich für ungerechtfertigt halten, wenn der eine eine län¬ gere Nase oder mehr Haare hat als der andere u, s. w. Es ist sehr wohlfeil, hier auf Conseguenzen einzugehn, da der bloße Unsinn keine Grenze zuläßt; aber an sich sagen jene Ideen nichts Anderes, als daß man von der Obrigkeit nicht weiter belästigt sein will, als nöthig, und daß in der Gesellschaft keiner Classe erlaubt sein soll, die andere ungestraft zu beeinträchtigen. Ob man das nun angeborne Rechte des Menschen nennt, ist vollkommen gleichgiltig: jeden¬ falls sind eS angeborne Bedürfnisse des Menschen, die sich daher überall werden geltendmachen, wo überhaupt einer Kraftentwicklung Spielraum gegeben ist. Jede Kraft widerspricht der andern und bedingt sie dadurch. Wenn also auch der Trieb der Gleichheit zuweilen mit dem Trieb der Freiheit in Conflict ge¬ räth, so ist das gewiß noch keine Widerlegung; denn aus dem Gleichgewicht der Kräfte geht erst ihre wirkliche Gestaltung hervor. Nun sucht der Verfasser gleich in der Einleitung den Begriff der Volks- souveränetät als das Resultat jener beiden Ideen und zugleich als Beleg da¬ für, daß sie widersprechend und resultatlos sind, anzuführen. Mit jenem Begriff ist allerdings im Jahre -1848 viel Unfug getrieben worden und auch wir haben damals versucht, die Absurdität der daran geknüpften Vorstellungen zu entwickeln. Aber man darf nicht vergessen, daß auch im Begriff der Volkssouveränetät ur¬ sprünglich nur eine Negation lag. Seit Ludwig XlV. war bei den Doctrinärs der Monarchie der Grundsatz, daß der Fürst oder der Souverän unbedingter Herr über seine Unterthanen sei, theoretisch festgestellt worden. Im Begriff der Volks¬ souveränetät lag ursprünglich nichts Anderes als die Leugnung dieses Grund¬ satzes. Wenn Friedrich der Große behauptete, der Fürst sei ein Beamter des Staats, d. h. seine Herrschaft werde dadurch bedingt, daß er nicht das Staatsinteresse seinem individuellen, sondern sein individuelles dem Staats- üueresse unterordnen müsse, so war im Grunde nichts Anderes damit gesagt. Aber die gewönliche Consequenzmacherei ging auch hier bis zu einer völligen Umkehrung der Begriffe. Wenn man das Gesammtinteresse des Volks als den wahren Inhalt des Staats oder der Souveränetät darstellte, so wird dieser unzweifelhaft richtige Satz gewiß nicht dadurch widerlegt, daß es sehr schwer 'se, das wahre Gesammtinteresse deö Volks zu constatiren. Wenn man aber d^ unsinnigen Vorstellungen Ludwigs XlV. von der Souveränetät auf das Volk anwendete, und behauptete, die Launen und Willkür des Volks müssen den Staat regieren, so war daS eine handgreifliche Sinnlosigkeit; beim die Laune ^Ach einzelnen kann sich >u der That, wenigstens bis zu einer gewissen ^enze hin, realistren, aber die Laune eines Collectivbegriffs hat selbst darüber lune Macht. Indeß lag in jenen dunklen Begriffen etwas, das eine wahre und bedeu¬ tende Fortentwicklung der Geschichte mit sich führte und das der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/431>, abgerufen am 27.07.2024.