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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Von den tiefsten Geheimnissen der Schöpfung handeln soll, noch Witze auf den
Reichskanarienvogel machen kann, wer der persönlichen Antipathie in der Schil¬
derung der einzelnen, ziemlich gleichgiltigen Persönlichkeiten noch so viel Spiel¬
raum gibt, wie Herr Jordan in dem vorliegenden Buch, der zeigt dan;it, daß
die große Erschütterung seine Seele nicht geläutert, daß die Zeit fruchtlos an
ihm vorübergegangen ist. Es kommt noch dazu, daß die politischen Ideen, die
hier auftauchen, dem oberflächlichsten Schaum der öffentlichen Meinung abge¬
schöpft sind, daß wir jede der politischen Betrachtungen, die hier vorkommen, in
jeder beliebigen Zeitung viel klarer und erschöpfender wiederfinden. Es kommt
ferner hinzu, daß die Schilderung nicht das geringste plastische Talent verräth,
daß in dem wüsten Durcheinander lächerlicher und häßlicher Scenen keine
einzige Gestalt, kein einziges Ereignis, in scharfen Umrissen hervortritt, daß end¬
lich der Ton und die Sprache an die schlechtesten Ausgeburten jener Zeit er¬
innert. Ist denn in jener Zeit wirklich nichts Anderes geschrieben, nichts An¬
deres gedacht worden, als was die kleinen fliegenden Buchhändler dem Pöbel
verkauften? Wir haben an der bekannten Rede des Abgeordneten Jordan über
die polnische Frage in den Ausdrücken manches tadeln müssen; wir hätten ge¬
wünscht, daß die Resultate der politischen Ueberlegung nicht gar so gehässig
gegen die natürlichen Regungen des Gefühls contrastirt hätten, aber es war
doch in dieser Rede unendlich mehr Gehalt, als in den zerfahrenen Einfällen,
die er jetzt, im Jahre 18!^, als politische Weisheit zu Markte bringt.

Wir gehen zu einer andern kleinern Episode über, die den Grundgedanken
des Werks versinnlichen soll. Nachdem Agathodämon, der Geist des abstracten
^Ulm, der die productive Macht der Negation verkennt, in der Rolle deö Ab¬
geordneten Jordan bittere Ersahrungen gemacht hat, versucht er die Prüfung
LcbenSgehalts in einer zweiten Metamorphose. Er wird Fürst eines kleinen
Reichs, welches er zugleich mit göttlicher Kraft beherrscht. Er läßt den Krieg
Und Streit und alle Leidenschaften aufhören, verbannt die Krankheiten, die Pro¬
cesse, Untreue u. s. w. Infolge dessen entsteht eine allgemeine Langeweile, die
^'rzte, Advocaten, Todtengräber u. s. w. werden brotlos; alles Spiel hört
"uf, weil mit der Mischung von Hoffnung und Verdruß auch alle Ueberraschung
unmöglich ist, ja der Gott selbst wird diesen Zustand der ewigen Ruhe über-
^'Wg und er sehnt sich nach einem Leide. -- Der Gedanke, der dieser Dar¬
stellung zu Grunde liegt, ist ebenso richtig, als die Ausführung schwach ist.
^'r kennen eine Posse von Kotzebue oder einem andern gleichzeitigen Theater-
'Heer, welche denselben Gegenstand viel eindringlicher und anschaulicher
^handelt.

Es ist uns erfreulich, in demselben Bande noch einer Episode zu begegnen,
^ wir unsern , Beifall schenken können; sie behandelt nämlich halb natur-
Mosophisch, h^b beschreibend, das Leben und die Wechselwirkung der Kräfte


^renzbvleii. III. I8si.

Von den tiefsten Geheimnissen der Schöpfung handeln soll, noch Witze auf den
Reichskanarienvogel machen kann, wer der persönlichen Antipathie in der Schil¬
derung der einzelnen, ziemlich gleichgiltigen Persönlichkeiten noch so viel Spiel¬
raum gibt, wie Herr Jordan in dem vorliegenden Buch, der zeigt dan;it, daß
die große Erschütterung seine Seele nicht geläutert, daß die Zeit fruchtlos an
ihm vorübergegangen ist. Es kommt noch dazu, daß die politischen Ideen, die
hier auftauchen, dem oberflächlichsten Schaum der öffentlichen Meinung abge¬
schöpft sind, daß wir jede der politischen Betrachtungen, die hier vorkommen, in
jeder beliebigen Zeitung viel klarer und erschöpfender wiederfinden. Es kommt
ferner hinzu, daß die Schilderung nicht das geringste plastische Talent verräth,
daß in dem wüsten Durcheinander lächerlicher und häßlicher Scenen keine
einzige Gestalt, kein einziges Ereignis, in scharfen Umrissen hervortritt, daß end¬
lich der Ton und die Sprache an die schlechtesten Ausgeburten jener Zeit er¬
innert. Ist denn in jener Zeit wirklich nichts Anderes geschrieben, nichts An¬
deres gedacht worden, als was die kleinen fliegenden Buchhändler dem Pöbel
verkauften? Wir haben an der bekannten Rede des Abgeordneten Jordan über
die polnische Frage in den Ausdrücken manches tadeln müssen; wir hätten ge¬
wünscht, daß die Resultate der politischen Ueberlegung nicht gar so gehässig
gegen die natürlichen Regungen des Gefühls contrastirt hätten, aber es war
doch in dieser Rede unendlich mehr Gehalt, als in den zerfahrenen Einfällen,
die er jetzt, im Jahre 18!^, als politische Weisheit zu Markte bringt.

Wir gehen zu einer andern kleinern Episode über, die den Grundgedanken
des Werks versinnlichen soll. Nachdem Agathodämon, der Geist des abstracten
^Ulm, der die productive Macht der Negation verkennt, in der Rolle deö Ab¬
geordneten Jordan bittere Ersahrungen gemacht hat, versucht er die Prüfung
LcbenSgehalts in einer zweiten Metamorphose. Er wird Fürst eines kleinen
Reichs, welches er zugleich mit göttlicher Kraft beherrscht. Er läßt den Krieg
Und Streit und alle Leidenschaften aufhören, verbannt die Krankheiten, die Pro¬
cesse, Untreue u. s. w. Infolge dessen entsteht eine allgemeine Langeweile, die
^'rzte, Advocaten, Todtengräber u. s. w. werden brotlos; alles Spiel hört
"uf, weil mit der Mischung von Hoffnung und Verdruß auch alle Ueberraschung
unmöglich ist, ja der Gott selbst wird diesen Zustand der ewigen Ruhe über-
^'Wg und er sehnt sich nach einem Leide. — Der Gedanke, der dieser Dar¬
stellung zu Grunde liegt, ist ebenso richtig, als die Ausführung schwach ist.
^'r kennen eine Posse von Kotzebue oder einem andern gleichzeitigen Theater-
'Heer, welche denselben Gegenstand viel eindringlicher und anschaulicher
^handelt.

Es ist uns erfreulich, in demselben Bande noch einer Episode zu begegnen,
^ wir unsern , Beifall schenken können; sie behandelt nämlich halb natur-
Mosophisch, h^b beschreibend, das Leben und die Wechselwirkung der Kräfte


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[0417] Von den tiefsten Geheimnissen der Schöpfung handeln soll, noch Witze auf den Reichskanarienvogel machen kann, wer der persönlichen Antipathie in der Schil¬ derung der einzelnen, ziemlich gleichgiltigen Persönlichkeiten noch so viel Spiel¬ raum gibt, wie Herr Jordan in dem vorliegenden Buch, der zeigt dan;it, daß die große Erschütterung seine Seele nicht geläutert, daß die Zeit fruchtlos an ihm vorübergegangen ist. Es kommt noch dazu, daß die politischen Ideen, die hier auftauchen, dem oberflächlichsten Schaum der öffentlichen Meinung abge¬ schöpft sind, daß wir jede der politischen Betrachtungen, die hier vorkommen, in jeder beliebigen Zeitung viel klarer und erschöpfender wiederfinden. Es kommt ferner hinzu, daß die Schilderung nicht das geringste plastische Talent verräth, daß in dem wüsten Durcheinander lächerlicher und häßlicher Scenen keine einzige Gestalt, kein einziges Ereignis, in scharfen Umrissen hervortritt, daß end¬ lich der Ton und die Sprache an die schlechtesten Ausgeburten jener Zeit er¬ innert. Ist denn in jener Zeit wirklich nichts Anderes geschrieben, nichts An¬ deres gedacht worden, als was die kleinen fliegenden Buchhändler dem Pöbel verkauften? Wir haben an der bekannten Rede des Abgeordneten Jordan über die polnische Frage in den Ausdrücken manches tadeln müssen; wir hätten ge¬ wünscht, daß die Resultate der politischen Ueberlegung nicht gar so gehässig gegen die natürlichen Regungen des Gefühls contrastirt hätten, aber es war doch in dieser Rede unendlich mehr Gehalt, als in den zerfahrenen Einfällen, die er jetzt, im Jahre 18!^, als politische Weisheit zu Markte bringt. Wir gehen zu einer andern kleinern Episode über, die den Grundgedanken des Werks versinnlichen soll. Nachdem Agathodämon, der Geist des abstracten ^Ulm, der die productive Macht der Negation verkennt, in der Rolle deö Ab¬ geordneten Jordan bittere Ersahrungen gemacht hat, versucht er die Prüfung LcbenSgehalts in einer zweiten Metamorphose. Er wird Fürst eines kleinen Reichs, welches er zugleich mit göttlicher Kraft beherrscht. Er läßt den Krieg Und Streit und alle Leidenschaften aufhören, verbannt die Krankheiten, die Pro¬ cesse, Untreue u. s. w. Infolge dessen entsteht eine allgemeine Langeweile, die ^'rzte, Advocaten, Todtengräber u. s. w. werden brotlos; alles Spiel hört "uf, weil mit der Mischung von Hoffnung und Verdruß auch alle Ueberraschung unmöglich ist, ja der Gott selbst wird diesen Zustand der ewigen Ruhe über- ^'Wg und er sehnt sich nach einem Leide. — Der Gedanke, der dieser Dar¬ stellung zu Grunde liegt, ist ebenso richtig, als die Ausführung schwach ist. ^'r kennen eine Posse von Kotzebue oder einem andern gleichzeitigen Theater- 'Heer, welche denselben Gegenstand viel eindringlicher und anschaulicher ^handelt. Es ist uns erfreulich, in demselben Bande noch einer Episode zu begegnen, ^ wir unsern , Beifall schenken können; sie behandelt nämlich halb natur- Mosophisch, h^b beschreibend, das Leben und die Wechselwirkung der Kräfte ^renzbvleii. III. I8si.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/417>, abgerufen am 27.07.2024.