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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Demiurgos.

Ein Mysterium von Wilhelm Jordan. Band 2. 3.
Leipzig, F. A. Brockhaus. ,

Wir hatten auf der Schule einen alten würdigen Lehrer, der zuweilen
seine Lection unterbrach, um uns auf die Schätze der deutschen Poesie auf¬
merksam zu machen. So hatte er uns einmal viel von den unsterblichen Ver¬
diensten Klopstocks erzählt, und begann nun, um Ms ein anschauliches Bild
^von zu geben, einen jener Gesänge vorzulesen, in denen sich die Engel und
Erzengel über die höheren Geheimnisse der Gottheit unterhalten. Er fing
seine Vorlesung mit dem stärksten Pathos an; man merkte deutlich, wie tief
^ die Schönheiten des Dichters empfand. Allmälig aber änderte sich sein
Ertrag; seine Stimme wurde immer schneidender und nahm einen Anflug von
ärgerlichem Wesen an; das Buch zitterte heftig in seinen Händen, er warf
drüsige Blicke um sich und unterbrach zu unsrem Schrecken plötzlich, indem
^ mit dem Buche zuerst dreimal zornig auf den Tisch klopfte und es dann
hinwarf, seine Vorlesung mitten in einem Satze mit den denkwürdigen Wor-
"Und so spricht dieser Erzengel Gabriel immer weiter. Es ist am Ende
auch langweilig!"

Wie wahr nun die Bewunderung für Klopstocks Genius in uns leben
^°ge, es gibt gewiß Zeiten, wo jeder unter uns in den Ausruf des wackern
^onrectvrs einstimmen möchte. Aller religiösen und allegorischen Poesie, die
'Acht aus dem concreten, lebendigen Inhalt der Volkstradition geschöpft, soll¬
en gemacht und durch künstliche Reflexionen hervorgerufen ist, klebt etwas
^"gcweile an. Beim Erscheinen des ersten Bandes des Demiurgos scheint diese
"der eine ähnliche Bemerkung von Seiten der Kritik gemacht worden zu sein,
^'uigstens weist Herr Jordan in einer Parabase, mit der er seinen zweiten
^and eröffnet, diese Kritiker sehr entschieden zurecht und deutet auf den höheren
'un, der sein Gedicht hervorgerufen habe, und der nothwendigerweise jeden
eher interessiren müsse. Es ist für den Dichter immer mißlich, sich in eine


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Demiurgos.

Ein Mysterium von Wilhelm Jordan. Band 2. 3.
Leipzig, F. A. Brockhaus. ,

Wir hatten auf der Schule einen alten würdigen Lehrer, der zuweilen
seine Lection unterbrach, um uns auf die Schätze der deutschen Poesie auf¬
merksam zu machen. So hatte er uns einmal viel von den unsterblichen Ver¬
diensten Klopstocks erzählt, und begann nun, um Ms ein anschauliches Bild
^von zu geben, einen jener Gesänge vorzulesen, in denen sich die Engel und
Erzengel über die höheren Geheimnisse der Gottheit unterhalten. Er fing
seine Vorlesung mit dem stärksten Pathos an; man merkte deutlich, wie tief
^ die Schönheiten des Dichters empfand. Allmälig aber änderte sich sein
Ertrag; seine Stimme wurde immer schneidender und nahm einen Anflug von
ärgerlichem Wesen an; das Buch zitterte heftig in seinen Händen, er warf
drüsige Blicke um sich und unterbrach zu unsrem Schrecken plötzlich, indem
^ mit dem Buche zuerst dreimal zornig auf den Tisch klopfte und es dann
hinwarf, seine Vorlesung mitten in einem Satze mit den denkwürdigen Wor-
„Und so spricht dieser Erzengel Gabriel immer weiter. Es ist am Ende
auch langweilig!"

Wie wahr nun die Bewunderung für Klopstocks Genius in uns leben
^°ge, es gibt gewiß Zeiten, wo jeder unter uns in den Ausruf des wackern
^onrectvrs einstimmen möchte. Aller religiösen und allegorischen Poesie, die
'Acht aus dem concreten, lebendigen Inhalt der Volkstradition geschöpft, soll¬
en gemacht und durch künstliche Reflexionen hervorgerufen ist, klebt etwas
^»gcweile an. Beim Erscheinen des ersten Bandes des Demiurgos scheint diese
"der eine ähnliche Bemerkung von Seiten der Kritik gemacht worden zu sein,
^'uigstens weist Herr Jordan in einer Parabase, mit der er seinen zweiten
^and eröffnet, diese Kritiker sehr entschieden zurecht und deutet auf den höheren
'un, der sein Gedicht hervorgerufen habe, und der nothwendigerweise jeden
eher interessiren müsse. Es ist für den Dichter immer mißlich, sich in eine


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[0409] Demiurgos. Ein Mysterium von Wilhelm Jordan. Band 2. 3. Leipzig, F. A. Brockhaus. , Wir hatten auf der Schule einen alten würdigen Lehrer, der zuweilen seine Lection unterbrach, um uns auf die Schätze der deutschen Poesie auf¬ merksam zu machen. So hatte er uns einmal viel von den unsterblichen Ver¬ diensten Klopstocks erzählt, und begann nun, um Ms ein anschauliches Bild ^von zu geben, einen jener Gesänge vorzulesen, in denen sich die Engel und Erzengel über die höheren Geheimnisse der Gottheit unterhalten. Er fing seine Vorlesung mit dem stärksten Pathos an; man merkte deutlich, wie tief ^ die Schönheiten des Dichters empfand. Allmälig aber änderte sich sein Ertrag; seine Stimme wurde immer schneidender und nahm einen Anflug von ärgerlichem Wesen an; das Buch zitterte heftig in seinen Händen, er warf drüsige Blicke um sich und unterbrach zu unsrem Schrecken plötzlich, indem ^ mit dem Buche zuerst dreimal zornig auf den Tisch klopfte und es dann hinwarf, seine Vorlesung mitten in einem Satze mit den denkwürdigen Wor- „Und so spricht dieser Erzengel Gabriel immer weiter. Es ist am Ende auch langweilig!" Wie wahr nun die Bewunderung für Klopstocks Genius in uns leben ^°ge, es gibt gewiß Zeiten, wo jeder unter uns in den Ausruf des wackern ^onrectvrs einstimmen möchte. Aller religiösen und allegorischen Poesie, die 'Acht aus dem concreten, lebendigen Inhalt der Volkstradition geschöpft, soll¬ en gemacht und durch künstliche Reflexionen hervorgerufen ist, klebt etwas ^»gcweile an. Beim Erscheinen des ersten Bandes des Demiurgos scheint diese "der eine ähnliche Bemerkung von Seiten der Kritik gemacht worden zu sein, ^'uigstens weist Herr Jordan in einer Parabase, mit der er seinen zweiten ^and eröffnet, diese Kritiker sehr entschieden zurecht und deutet auf den höheren 'un, der sein Gedicht hervorgerufen habe, und der nothwendigerweise jeden eher interessiren müsse. Es ist für den Dichter immer mißlich, sich in eine Grei.zbvtcn. III. 48si>. ü-I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/409>, abgerufen am 27.07.2024.