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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Der Staat duldet die Glücksspiele in deutschen Bädern nicht blos, er
schafft sie in den "leisten Fällen durch sein Ausgebot. Er hält die Verab¬
reichung verbotener Früchte einstweilen noch für eine gute Finanzquelle, um
deren sittliche Beschaffenheit er sich dann weiter nicht viel kümmert. Wenn er
nun eines Tages gezwungen wird, sich auch um drü letzteren Punkt zu küm¬
mern, so wird ihm die Entscheidung durch sein gegenwärtiges Verhältniß zu
der Sache sehr erleichtert. Er braucht nicht gewaltsam und empfindlich in die
Freiheit seiner Bürger einzugreifen, um ihr wahres Wohl durch das Verbot
zu befördern; er braucht nnr einem wenig ehrenvollen Handel zu entsagen
und die bestehende Gesetzgebung über Glücksspiele überall Wirksamkeit ge¬
winnen zu lassen, so ist der Zweck erreicht, ohne daß der öffentliche Rechts¬
zustand nachtheilig verändert wäre.' Die gelegentliche Einnahme aus der
Spielbankpacht wird auch der rücksichtsloseste Finanzminister nicht gegen den '
Ruin so vieler einzelner Unterthanen setzen wollen, der von ihr nicht hinweg¬
zudenken ist.

Fragen wir nun die nüchterne Lehre der Volkswirtschaft, was sie von
den Glücksspielen hält. Sie nimmt freilich auf die Zufälle in dem wirth-
schaftlichen Leben des Individuums, zu denen Gewinn und Verlust im Spiel
zu gehören scheinen, keine sonderliche Rücksicht. Aber wenn diese Zufälle nicht
völlig unberechenbar sind, sondern zum Theil von bereits erkannten oder er¬
kennbaren Gesetzen des menschlichen Zusammenlebens abhängen, so ist aller¬
dings ein Stoff für jene edle Wissenschaft gegeben. So und nicht anders i>t
eS beim Glücksspiel. Nach der scharfsinnigen Bemerkung eines Mathematikers
fängt das Vermögen eines Spielers schon in dem Augenblicke zu sinken an,
wo er den ersten Einsatz wagt. Denn im ganzen wird eine bestimmte Geld¬
summe nicht etlva immer gleich hoch geschätzt, sondern je nach dem Gesainwt-
vermögen ihres Eigenthümers bald höher, bald niedriger. Dem Besitzer von
tausend Thalern gelten zehn Thaler annäherungsweise soviel wie dem
sitzer von hundert Thalern ein Thaler. Setzt nun ein Hundertthalermantt be>
gleichen Chancen mit dem Bankhalter zehn Thaler ein, so verliert er entweder
den neunten Theil seines zurückbleibenden Vermögens, oder er gewinnt, was
er nur als den elften Theil seines Vermögens betrachten wird. In few"
Schätzung übertrifft also der mögliche Verlust einer ganz beliebig angenow-
menen Summe den möglichen Gewinn derselben Summe. Seine Furcht um-
spannt mehr als seine Hoffnung. Nun aber sind bekanntlich bei keinem Glücks¬
spiel die Chancen jemals gleich gewesen. Die günstigen Chancen des Ban-
Halters sind im Gegentheil so überwiegend sicher, daß sie fast jedem Spiel"
gegenüber zur Geltung kommen müssen. Dem mehr neugierigen als leiden-
schaftlichen Gelegenheitsspieler schadet es, daß er aus Mangel an vorräthige'N
Mitteln häufig unmittelbar vor einem Glücksfall aufhören muß, was de>"


Der Staat duldet die Glücksspiele in deutschen Bädern nicht blos, er
schafft sie in den »leisten Fällen durch sein Ausgebot. Er hält die Verab¬
reichung verbotener Früchte einstweilen noch für eine gute Finanzquelle, um
deren sittliche Beschaffenheit er sich dann weiter nicht viel kümmert. Wenn er
nun eines Tages gezwungen wird, sich auch um drü letzteren Punkt zu küm¬
mern, so wird ihm die Entscheidung durch sein gegenwärtiges Verhältniß zu
der Sache sehr erleichtert. Er braucht nicht gewaltsam und empfindlich in die
Freiheit seiner Bürger einzugreifen, um ihr wahres Wohl durch das Verbot
zu befördern; er braucht nnr einem wenig ehrenvollen Handel zu entsagen
und die bestehende Gesetzgebung über Glücksspiele überall Wirksamkeit ge¬
winnen zu lassen, so ist der Zweck erreicht, ohne daß der öffentliche Rechts¬
zustand nachtheilig verändert wäre.' Die gelegentliche Einnahme aus der
Spielbankpacht wird auch der rücksichtsloseste Finanzminister nicht gegen den '
Ruin so vieler einzelner Unterthanen setzen wollen, der von ihr nicht hinweg¬
zudenken ist.

Fragen wir nun die nüchterne Lehre der Volkswirtschaft, was sie von
den Glücksspielen hält. Sie nimmt freilich auf die Zufälle in dem wirth-
schaftlichen Leben des Individuums, zu denen Gewinn und Verlust im Spiel
zu gehören scheinen, keine sonderliche Rücksicht. Aber wenn diese Zufälle nicht
völlig unberechenbar sind, sondern zum Theil von bereits erkannten oder er¬
kennbaren Gesetzen des menschlichen Zusammenlebens abhängen, so ist aller¬
dings ein Stoff für jene edle Wissenschaft gegeben. So und nicht anders i>t
eS beim Glücksspiel. Nach der scharfsinnigen Bemerkung eines Mathematikers
fängt das Vermögen eines Spielers schon in dem Augenblicke zu sinken an,
wo er den ersten Einsatz wagt. Denn im ganzen wird eine bestimmte Geld¬
summe nicht etlva immer gleich hoch geschätzt, sondern je nach dem Gesainwt-
vermögen ihres Eigenthümers bald höher, bald niedriger. Dem Besitzer von
tausend Thalern gelten zehn Thaler annäherungsweise soviel wie dem
sitzer von hundert Thalern ein Thaler. Setzt nun ein Hundertthalermantt be>
gleichen Chancen mit dem Bankhalter zehn Thaler ein, so verliert er entweder
den neunten Theil seines zurückbleibenden Vermögens, oder er gewinnt, was
er nur als den elften Theil seines Vermögens betrachten wird. In few"
Schätzung übertrifft also der mögliche Verlust einer ganz beliebig angenow-
menen Summe den möglichen Gewinn derselben Summe. Seine Furcht um-
spannt mehr als seine Hoffnung. Nun aber sind bekanntlich bei keinem Glücks¬
spiel die Chancen jemals gleich gewesen. Die günstigen Chancen des Ban-
Halters sind im Gegentheil so überwiegend sicher, daß sie fast jedem Spiel"
gegenüber zur Geltung kommen müssen. Dem mehr neugierigen als leiden-
schaftlichen Gelegenheitsspieler schadet es, daß er aus Mangel an vorräthige'N
Mitteln häufig unmittelbar vor einem Glücksfall aufhören muß, was de>"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/400>, abgerufen am 01.09.2024.