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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Bühne gewesen seit Ludwig XIV., welche Rollen Fräulein Rachel gespielt und
daß sie bis zum Jahre nahezu an vier Millionen Einnahmen gemacht hat. Er
citirt Lafontaine und Voltaire, er versucht eine kritische Beurtheilung dieser Schau¬
spielerin und sucht sein Urtheil durch ein paar paradorale Bemerkungen aus
einem der neuesten Feuilletons von Jules Janin zu bestärken. Sein Urtheil
ist natürlich das aller Welt. Dann verspricht er uns über Rachels Persönlich¬
keit ungekannte Mittheilungen zu machen, und wir erfahren, mit wem sie
gespeist, welche große spanische Familien sie eingeladen und wie kokett sie
nach dem Beifalle eines jeden hasche; daß sie freigebig und geizig zugleich
sei - daß sie auf einer Tournie in Frankreich in drei Monaten sechzigmal
auftritt und in einem Bette in ihrem Wagen schläft. Er erzählt nun, daß
sie bei Madame Rccamier vor dem Erzbischofe von Paris eine Stelle ans der
Athalie von Racine hergesagt, nachdem sie sich geweigert, ihre Rolle aus Cor-
neilles Polveuctc vor ihm zu declamiren. Herr Vcron theilt nun auch mit,
daß bei Gelegenheit eines Zwistes er die große Schauspielerin "can-riUe"
durch die Zähne murmeln hörte. Als er ihr bei der Versöhnung Vorwürfe
über diesen Ausruf machte, erwiderte sie: ,,l'i"iKn<z/-van5 c-ncore ce n'est quo
^Kpuis quo vous sich alö Jer fermilw."

Wir erfahren auch, daß Or. Verons Salon der erste gewesen, den die
berühmt gewordene Schauspielerin betreten und wie ihr Graf Mol" Kompli¬
mente darüber gemacht, daß sie die Erhalterin der französischen Sprache sei.
Rachel verbeugte sich bescheiden und rief aus: "Kien ani no I'al Mo-us upprisel"
Veron fügt hinzu, daß aus beiden Seiten große Uebertreibung liege. Ich
alcmbe aber, daß Mlle. Rachel zu jener Zeit bescheiden die Wahrheit gesprochen.
George Sand erzählte vor mir einiges aus dem Leben dieser Schauspielerin,
das mich in dieser Ansicht bestärkt. Als sie in früherer Zelt mit ihrem Lehrer
Samson vom französischen Theater eine Rolle einstudirte, sagte ihr dieser:
"Sehen Sie denn nicht, mein Fräulein, daß der Dichter hier vorschrieb: avec,
eourroux?" Was ist denu das? fragte Mlle. Rachel. Samson sah sie be¬
soffen an und rief endlich aus: "it lmU disque-r" (gemeiner Ausdruck für er¬
zürnen) und Rachel brachte 'gleich den gehörigen Ausdruck in die Phrase.
Seither mag die Tragödin allerdings Fortschritte in der französischen Sprache
gemacht haben. Für ein Talent wie Mlle. Rachel ist das kein Wunder und
"ach Jacotot müßten die Schauspieler, die so viele Rollen auswendig lernen,
">ehe blos die Sprache gut wissen, sondern auch gute Stücke schreiben können.
Fräulein Rachel sich in dramatischen Leistungen versucht, kann ich nicht
^gen, aber ich habe mehre Briefe von ihr gelesen, die ziemlich gut geschrieben
^"d. Fräulein Rachel studirt ihre Rollen auch nicht wie eine gewöhnliche
Schauspielerin, sie copirt sie meist mit eigner Hand, macht an jeder wichtigen
Stelle Anmerkungen und zieht Sachverständige zu Rathe. Aus dieser Methode


Bühne gewesen seit Ludwig XIV., welche Rollen Fräulein Rachel gespielt und
daß sie bis zum Jahre nahezu an vier Millionen Einnahmen gemacht hat. Er
citirt Lafontaine und Voltaire, er versucht eine kritische Beurtheilung dieser Schau¬
spielerin und sucht sein Urtheil durch ein paar paradorale Bemerkungen aus
einem der neuesten Feuilletons von Jules Janin zu bestärken. Sein Urtheil
ist natürlich das aller Welt. Dann verspricht er uns über Rachels Persönlich¬
keit ungekannte Mittheilungen zu machen, und wir erfahren, mit wem sie
gespeist, welche große spanische Familien sie eingeladen und wie kokett sie
nach dem Beifalle eines jeden hasche; daß sie freigebig und geizig zugleich
sei - daß sie auf einer Tournie in Frankreich in drei Monaten sechzigmal
auftritt und in einem Bette in ihrem Wagen schläft. Er erzählt nun, daß
sie bei Madame Rccamier vor dem Erzbischofe von Paris eine Stelle ans der
Athalie von Racine hergesagt, nachdem sie sich geweigert, ihre Rolle aus Cor-
neilles Polveuctc vor ihm zu declamiren. Herr Vcron theilt nun auch mit,
daß bei Gelegenheit eines Zwistes er die große Schauspielerin „can-riUe"
durch die Zähne murmeln hörte. Als er ihr bei der Versöhnung Vorwürfe
über diesen Ausruf machte, erwiderte sie: ,,l'i»iKn<z/-van5 c-ncore ce n'est quo
^Kpuis quo vous sich alö Jer fermilw."

Wir erfahren auch, daß Or. Verons Salon der erste gewesen, den die
berühmt gewordene Schauspielerin betreten und wie ihr Graf Mol« Kompli¬
mente darüber gemacht, daß sie die Erhalterin der französischen Sprache sei.
Rachel verbeugte sich bescheiden und rief aus: „Kien ani no I'al Mo-us upprisel"
Veron fügt hinzu, daß aus beiden Seiten große Uebertreibung liege. Ich
alcmbe aber, daß Mlle. Rachel zu jener Zeit bescheiden die Wahrheit gesprochen.
George Sand erzählte vor mir einiges aus dem Leben dieser Schauspielerin,
das mich in dieser Ansicht bestärkt. Als sie in früherer Zelt mit ihrem Lehrer
Samson vom französischen Theater eine Rolle einstudirte, sagte ihr dieser:
"Sehen Sie denn nicht, mein Fräulein, daß der Dichter hier vorschrieb: avec,
eourroux?" Was ist denu das? fragte Mlle. Rachel. Samson sah sie be¬
soffen an und rief endlich aus: „it lmU disque-r" (gemeiner Ausdruck für er¬
zürnen) und Rachel brachte 'gleich den gehörigen Ausdruck in die Phrase.
Seither mag die Tragödin allerdings Fortschritte in der französischen Sprache
gemacht haben. Für ein Talent wie Mlle. Rachel ist das kein Wunder und
"ach Jacotot müßten die Schauspieler, die so viele Rollen auswendig lernen,
">ehe blos die Sprache gut wissen, sondern auch gute Stücke schreiben können.
Fräulein Rachel sich in dramatischen Leistungen versucht, kann ich nicht
^gen, aber ich habe mehre Briefe von ihr gelesen, die ziemlich gut geschrieben
^"d. Fräulein Rachel studirt ihre Rollen auch nicht wie eine gewöhnliche
Schauspielerin, sie copirt sie meist mit eigner Hand, macht an jeder wichtigen
Stelle Anmerkungen und zieht Sachverständige zu Rathe. Aus dieser Methode


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[0397] Bühne gewesen seit Ludwig XIV., welche Rollen Fräulein Rachel gespielt und daß sie bis zum Jahre nahezu an vier Millionen Einnahmen gemacht hat. Er citirt Lafontaine und Voltaire, er versucht eine kritische Beurtheilung dieser Schau¬ spielerin und sucht sein Urtheil durch ein paar paradorale Bemerkungen aus einem der neuesten Feuilletons von Jules Janin zu bestärken. Sein Urtheil ist natürlich das aller Welt. Dann verspricht er uns über Rachels Persönlich¬ keit ungekannte Mittheilungen zu machen, und wir erfahren, mit wem sie gespeist, welche große spanische Familien sie eingeladen und wie kokett sie nach dem Beifalle eines jeden hasche; daß sie freigebig und geizig zugleich sei - daß sie auf einer Tournie in Frankreich in drei Monaten sechzigmal auftritt und in einem Bette in ihrem Wagen schläft. Er erzählt nun, daß sie bei Madame Rccamier vor dem Erzbischofe von Paris eine Stelle ans der Athalie von Racine hergesagt, nachdem sie sich geweigert, ihre Rolle aus Cor- neilles Polveuctc vor ihm zu declamiren. Herr Vcron theilt nun auch mit, daß bei Gelegenheit eines Zwistes er die große Schauspielerin „can-riUe" durch die Zähne murmeln hörte. Als er ihr bei der Versöhnung Vorwürfe über diesen Ausruf machte, erwiderte sie: ,,l'i»iKn<z/-van5 c-ncore ce n'est quo ^Kpuis quo vous sich alö Jer fermilw." Wir erfahren auch, daß Or. Verons Salon der erste gewesen, den die berühmt gewordene Schauspielerin betreten und wie ihr Graf Mol« Kompli¬ mente darüber gemacht, daß sie die Erhalterin der französischen Sprache sei. Rachel verbeugte sich bescheiden und rief aus: „Kien ani no I'al Mo-us upprisel" Veron fügt hinzu, daß aus beiden Seiten große Uebertreibung liege. Ich alcmbe aber, daß Mlle. Rachel zu jener Zeit bescheiden die Wahrheit gesprochen. George Sand erzählte vor mir einiges aus dem Leben dieser Schauspielerin, das mich in dieser Ansicht bestärkt. Als sie in früherer Zelt mit ihrem Lehrer Samson vom französischen Theater eine Rolle einstudirte, sagte ihr dieser: "Sehen Sie denn nicht, mein Fräulein, daß der Dichter hier vorschrieb: avec, eourroux?" Was ist denu das? fragte Mlle. Rachel. Samson sah sie be¬ soffen an und rief endlich aus: „it lmU disque-r" (gemeiner Ausdruck für er¬ zürnen) und Rachel brachte 'gleich den gehörigen Ausdruck in die Phrase. Seither mag die Tragödin allerdings Fortschritte in der französischen Sprache gemacht haben. Für ein Talent wie Mlle. Rachel ist das kein Wunder und "ach Jacotot müßten die Schauspieler, die so viele Rollen auswendig lernen, ">ehe blos die Sprache gut wissen, sondern auch gute Stücke schreiben können. Fräulein Rachel sich in dramatischen Leistungen versucht, kann ich nicht ^gen, aber ich habe mehre Briefe von ihr gelesen, die ziemlich gut geschrieben ^"d. Fräulein Rachel studirt ihre Rollen auch nicht wie eine gewöhnliche Schauspielerin, sie copirt sie meist mit eigner Hand, macht an jeder wichtigen Stelle Anmerkungen und zieht Sachverständige zu Rathe. Aus dieser Methode

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/397>, abgerufen am 01.09.2024.