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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Sodann wäre sein Einfluß auf die Naturwissenschaft und auf die Alter¬
thumsforschung, namentlich in mythologischen Dingen, zu erwägen. Man
thut ihm zwar Unrecht, wenn man den Gesammtinhalt seiner Spekulation als
Naturphilosophie bezeichnet, da doch nur ein kleiner Theil seiner Schriften in
diese Gattung gehört, aber ohne Zweifel waren diese die einflußreichsten. Ge¬
wiß haben seine Schüler, die halb Philosophen, halb Naturforscher waren,
viel Unheil in der Wissenschaft angerichtet; und wir können nur froh sein,
diese Mystik überwunden zu haben. Wenn aber von Seiten der Empiriker
die Speculation über die Natur überhaupt verspottet wurde, so war das ge¬
wiß sehr einseitig, und es zeigt sich auch jetzt schon eine Rückwirkung, da
grade die Geistvollsten unter den Empirikern sehr lebhaft zu speculiren an¬
fangen. Daß dies an einem sehr entgegengesetzten Princip unternommen
Wird, ändert von der Sache nichts. Soviel hat sich jetzt festgestellt, daß zu
^ner geistvollen Beobachtung der Natur noch etwas Anderes gehört, als die
bloße Aufspeicherung von Thatsachen. -- Die mythologischen Forschungen der
Schule waren durch Mystik und Unklarheit ebenso entstellt wie die naturphilo-
WPhischen. Man hatte bereits festgestellt, was man finden wollte, ehe man
Zu suchen begann, und das Bild, das man suchte, war noch dazu ein ziemlich
er'ibeö. Darum trat auch hier zunächst eine lebhafte Reaction der Empirie
ein. -- Auch hier hat man neuerdings eingesehn, daß man etwas zu weit ge¬
gangen ist, daß die mythologische Forschung der Speculation nicht entbehren
^Um, und daß eS nur darauf ankommt, nach einer richtigen Methode zu spe¬
culiren. -- Nebenbei haben diese übereilten Versuche auf die wirkliche Er¬
weiterung der Wissenschaft, namentlich auf die vergleichende Sprachforschung,
in>n Theil aber auch auf das deutsche Alterthum, mächtig eingewirkt. -- Daß
^'iläufig diese zweite Richtung mit der ersten eng verwandt war, ist wol kaum
"üthig hinzuzusetzen. Die Beziehung zu Göthes Arbeiten, nicht blos in der
Naturwissenschaft, dürfte hier die Vermittlung bilden.

Wenn nun ein gründlicher Gelehrter, der zuerst gewissermaßen als
^'u Gläubiger die Schellingsche Entwicklung durchgemacht und sich dann
darüber erhoben hätte, die Bedeutung Schellings für die deutsche Literatur
Aaas diesen beiden Richtungen hin darzustellen unternähme, so könnte das ein
^hr bedeutendes Buch werden. Es ist allerdings die Frage, ob sich jemand
senden wird, der alle Anforderungen dazu vereinigte, denn um ein freies und
Anfassendes Urtheil über Schelling zu fällen, ist eine eindringende Einsicht in
°'e Naiurwissenschaft, in die Alterthumskunde und in die Geschichte der Philo-
'M)in zugleich nöthig, und nebenbei noch poetischer Sinn. Soviel wir wissen,
^ bis jetzt nur von geschulten Hegelianern, welche in der Geschichte von be-
Ummten Kategorien ausgingen, oder von leidenschaftlichen Gegnern der Ver-
'"es gemacht worden. -- Die dritte Periode, die Offenbarungsphilosophie, die


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Sodann wäre sein Einfluß auf die Naturwissenschaft und auf die Alter¬
thumsforschung, namentlich in mythologischen Dingen, zu erwägen. Man
thut ihm zwar Unrecht, wenn man den Gesammtinhalt seiner Spekulation als
Naturphilosophie bezeichnet, da doch nur ein kleiner Theil seiner Schriften in
diese Gattung gehört, aber ohne Zweifel waren diese die einflußreichsten. Ge¬
wiß haben seine Schüler, die halb Philosophen, halb Naturforscher waren,
viel Unheil in der Wissenschaft angerichtet; und wir können nur froh sein,
diese Mystik überwunden zu haben. Wenn aber von Seiten der Empiriker
die Speculation über die Natur überhaupt verspottet wurde, so war das ge¬
wiß sehr einseitig, und es zeigt sich auch jetzt schon eine Rückwirkung, da
grade die Geistvollsten unter den Empirikern sehr lebhaft zu speculiren an¬
fangen. Daß dies an einem sehr entgegengesetzten Princip unternommen
Wird, ändert von der Sache nichts. Soviel hat sich jetzt festgestellt, daß zu
^ner geistvollen Beobachtung der Natur noch etwas Anderes gehört, als die
bloße Aufspeicherung von Thatsachen. — Die mythologischen Forschungen der
Schule waren durch Mystik und Unklarheit ebenso entstellt wie die naturphilo-
WPhischen. Man hatte bereits festgestellt, was man finden wollte, ehe man
Zu suchen begann, und das Bild, das man suchte, war noch dazu ein ziemlich
er'ibeö. Darum trat auch hier zunächst eine lebhafte Reaction der Empirie
ein. — Auch hier hat man neuerdings eingesehn, daß man etwas zu weit ge¬
gangen ist, daß die mythologische Forschung der Speculation nicht entbehren
^Um, und daß eS nur darauf ankommt, nach einer richtigen Methode zu spe¬
culiren. — Nebenbei haben diese übereilten Versuche auf die wirkliche Er¬
weiterung der Wissenschaft, namentlich auf die vergleichende Sprachforschung,
in>n Theil aber auch auf das deutsche Alterthum, mächtig eingewirkt. — Daß
^'iläufig diese zweite Richtung mit der ersten eng verwandt war, ist wol kaum
"üthig hinzuzusetzen. Die Beziehung zu Göthes Arbeiten, nicht blos in der
Naturwissenschaft, dürfte hier die Vermittlung bilden.

Wenn nun ein gründlicher Gelehrter, der zuerst gewissermaßen als
^'u Gläubiger die Schellingsche Entwicklung durchgemacht und sich dann
darüber erhoben hätte, die Bedeutung Schellings für die deutsche Literatur
Aaas diesen beiden Richtungen hin darzustellen unternähme, so könnte das ein
^hr bedeutendes Buch werden. Es ist allerdings die Frage, ob sich jemand
senden wird, der alle Anforderungen dazu vereinigte, denn um ein freies und
Anfassendes Urtheil über Schelling zu fällen, ist eine eindringende Einsicht in
°'e Naiurwissenschaft, in die Alterthumskunde und in die Geschichte der Philo-
'M)in zugleich nöthig, und nebenbei noch poetischer Sinn. Soviel wir wissen,
^ bis jetzt nur von geschulten Hegelianern, welche in der Geschichte von be-
Ummten Kategorien ausgingen, oder von leidenschaftlichen Gegnern der Ver-
'"es gemacht worden. — Die dritte Periode, die Offenbarungsphilosophie, die


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[0395] Sodann wäre sein Einfluß auf die Naturwissenschaft und auf die Alter¬ thumsforschung, namentlich in mythologischen Dingen, zu erwägen. Man thut ihm zwar Unrecht, wenn man den Gesammtinhalt seiner Spekulation als Naturphilosophie bezeichnet, da doch nur ein kleiner Theil seiner Schriften in diese Gattung gehört, aber ohne Zweifel waren diese die einflußreichsten. Ge¬ wiß haben seine Schüler, die halb Philosophen, halb Naturforscher waren, viel Unheil in der Wissenschaft angerichtet; und wir können nur froh sein, diese Mystik überwunden zu haben. Wenn aber von Seiten der Empiriker die Speculation über die Natur überhaupt verspottet wurde, so war das ge¬ wiß sehr einseitig, und es zeigt sich auch jetzt schon eine Rückwirkung, da grade die Geistvollsten unter den Empirikern sehr lebhaft zu speculiren an¬ fangen. Daß dies an einem sehr entgegengesetzten Princip unternommen Wird, ändert von der Sache nichts. Soviel hat sich jetzt festgestellt, daß zu ^ner geistvollen Beobachtung der Natur noch etwas Anderes gehört, als die bloße Aufspeicherung von Thatsachen. — Die mythologischen Forschungen der Schule waren durch Mystik und Unklarheit ebenso entstellt wie die naturphilo- WPhischen. Man hatte bereits festgestellt, was man finden wollte, ehe man Zu suchen begann, und das Bild, das man suchte, war noch dazu ein ziemlich er'ibeö. Darum trat auch hier zunächst eine lebhafte Reaction der Empirie ein. — Auch hier hat man neuerdings eingesehn, daß man etwas zu weit ge¬ gangen ist, daß die mythologische Forschung der Speculation nicht entbehren ^Um, und daß eS nur darauf ankommt, nach einer richtigen Methode zu spe¬ culiren. — Nebenbei haben diese übereilten Versuche auf die wirkliche Er¬ weiterung der Wissenschaft, namentlich auf die vergleichende Sprachforschung, in>n Theil aber auch auf das deutsche Alterthum, mächtig eingewirkt. — Daß ^'iläufig diese zweite Richtung mit der ersten eng verwandt war, ist wol kaum "üthig hinzuzusetzen. Die Beziehung zu Göthes Arbeiten, nicht blos in der Naturwissenschaft, dürfte hier die Vermittlung bilden. Wenn nun ein gründlicher Gelehrter, der zuerst gewissermaßen als ^'u Gläubiger die Schellingsche Entwicklung durchgemacht und sich dann darüber erhoben hätte, die Bedeutung Schellings für die deutsche Literatur Aaas diesen beiden Richtungen hin darzustellen unternähme, so könnte das ein ^hr bedeutendes Buch werden. Es ist allerdings die Frage, ob sich jemand senden wird, der alle Anforderungen dazu vereinigte, denn um ein freies und Anfassendes Urtheil über Schelling zu fällen, ist eine eindringende Einsicht in °'e Naiurwissenschaft, in die Alterthumskunde und in die Geschichte der Philo- 'M)in zugleich nöthig, und nebenbei noch poetischer Sinn. Soviel wir wissen, ^ bis jetzt nur von geschulten Hegelianern, welche in der Geschichte von be- Ummten Kategorien ausgingen, oder von leidenschaftlichen Gegnern der Ver- '"es gemacht worden. — Die dritte Periode, die Offenbarungsphilosophie, die 49"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/395>, abgerufen am 01.09.2024.