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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Verstimmung war für seine politische Ueberzeugung entscheidend. Die erste
Schrift, mit der er sich der politischen Dinge annahm, war: "die gegen¬
wärtige Zeit und wie sie geworden," ausgearbeitet 1815--16, ge¬
druckt 1817. Sie war in jenem verwilderten, blumenreichen und ausschwei¬
fenden Stil geschrieben, den wir in den meisten politischen Schriften jener
Zeit, namentlich bei Görres, wiederfinden.

Die Grundidee hat er unbewußterweise aus Fichte entlehnt. Er leitete
nämlich die Verderbniß der Zeit aus dem Paulinischen Christenthum her, wel¬
ches das religiöse Gefühl in Räsonnements aufgelöst und abgeschwächt habe.
In seiner zweiten Schrift "die Carricaturen des Heiligsten" (1819--21)
finden wir jene Ncrglcichung des organischen Staatslebens mit dem Natur¬
wuchs der Pflanze, dje zum Theil auch auf die historische Schule übergegangen
ist, (mit Savigny war er schon seit 1811 genauer bekannt, Ottfried Müller
war sein bevorzugter Schüler) auf eine zum Theil artige, aber auch breite
und pedantische Weise durchgeführt. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen
alle politischen Abstractionen, und der Versuch, aus den natürlichen Gliederun¬
gen des Lebens, aus der religiösen Gemeinschaft und aus der Familie die
Totalität des Staats herzuleiten. Die Caricaturen, gegen die er vorzugsweise zu
Felde zog, waren das System des contra social, Hallers Restauration der
Staatswissenschaft und der herrschende Beamtenmechanismus. In allen dreien,
so entgegengesetzt sie einander zu sein schienen, fand er ganz mit Recht den Aus¬
druck des nämlichen mechanischen Gedankens, der das Leben aus dem Tode,
den Organismus aus dem Mechanismus herzuleiten sich vermißt. Insoweit
können wir seiner Polemik vollkommen beipflichten, aber was er an die Stelle
setzte, war durchaus unklar und ungenügend.

Der fortdauernde Kampf gegen die Turner erregte den heftigsten Unwillen
seiner ehemaligen Freunde, z. B. Schleiermachers, und zugleich die Aufmerk¬
samkeit der Behörden. Im Anfang, wo man noch suchte den Staat in der
liberalen Richtung zu erhalten und wo man in dem neuen Mysticismus einen
Feind empfand, wurde er höhern Orts gewarnt. Endlich aber glaubte man,
er könne nähere Enthüllungen machen und Hardenberg ließ ihn in der Stille
nach Berlin kommen. Die Unterredung zwischen den beiden Männern, d>e
er Band IX. S. i l erzählt, ist sehr charakteristisch. Zunächst war Steffens auf
das heftigste erschrocken über die Auslegung, die man seinen Kapuzinaden gab-
'er hatte die geistige Richtung im allgemeinen angefochten, und man glaubte,
er sei mit einer geheimen Verschwörung bekannt. Hardenberg sah bald, daß er es
mit einem Träumer zu thun hatte. Sie tauschten nun weiter ihre Meinungen
über den Staat aus und Steffens machte den Staatskanzler darauf aufmerk¬
sam, daß man, um mit guten Gewissen den Liberalismus zu^ bekämpfen', eM
neues konservatives Staatsprincip an seine Stelle setzen müsse. Hardenberg


Verstimmung war für seine politische Ueberzeugung entscheidend. Die erste
Schrift, mit der er sich der politischen Dinge annahm, war: „die gegen¬
wärtige Zeit und wie sie geworden," ausgearbeitet 1815—16, ge¬
druckt 1817. Sie war in jenem verwilderten, blumenreichen und ausschwei¬
fenden Stil geschrieben, den wir in den meisten politischen Schriften jener
Zeit, namentlich bei Görres, wiederfinden.

Die Grundidee hat er unbewußterweise aus Fichte entlehnt. Er leitete
nämlich die Verderbniß der Zeit aus dem Paulinischen Christenthum her, wel¬
ches das religiöse Gefühl in Räsonnements aufgelöst und abgeschwächt habe.
In seiner zweiten Schrift „die Carricaturen des Heiligsten" (1819—21)
finden wir jene Ncrglcichung des organischen Staatslebens mit dem Natur¬
wuchs der Pflanze, dje zum Theil auch auf die historische Schule übergegangen
ist, (mit Savigny war er schon seit 1811 genauer bekannt, Ottfried Müller
war sein bevorzugter Schüler) auf eine zum Theil artige, aber auch breite
und pedantische Weise durchgeführt. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen
alle politischen Abstractionen, und der Versuch, aus den natürlichen Gliederun¬
gen des Lebens, aus der religiösen Gemeinschaft und aus der Familie die
Totalität des Staats herzuleiten. Die Caricaturen, gegen die er vorzugsweise zu
Felde zog, waren das System des contra social, Hallers Restauration der
Staatswissenschaft und der herrschende Beamtenmechanismus. In allen dreien,
so entgegengesetzt sie einander zu sein schienen, fand er ganz mit Recht den Aus¬
druck des nämlichen mechanischen Gedankens, der das Leben aus dem Tode,
den Organismus aus dem Mechanismus herzuleiten sich vermißt. Insoweit
können wir seiner Polemik vollkommen beipflichten, aber was er an die Stelle
setzte, war durchaus unklar und ungenügend.

Der fortdauernde Kampf gegen die Turner erregte den heftigsten Unwillen
seiner ehemaligen Freunde, z. B. Schleiermachers, und zugleich die Aufmerk¬
samkeit der Behörden. Im Anfang, wo man noch suchte den Staat in der
liberalen Richtung zu erhalten und wo man in dem neuen Mysticismus einen
Feind empfand, wurde er höhern Orts gewarnt. Endlich aber glaubte man,
er könne nähere Enthüllungen machen und Hardenberg ließ ihn in der Stille
nach Berlin kommen. Die Unterredung zwischen den beiden Männern, d>e
er Band IX. S. i l erzählt, ist sehr charakteristisch. Zunächst war Steffens auf
das heftigste erschrocken über die Auslegung, die man seinen Kapuzinaden gab-
'er hatte die geistige Richtung im allgemeinen angefochten, und man glaubte,
er sei mit einer geheimen Verschwörung bekannt. Hardenberg sah bald, daß er es
mit einem Träumer zu thun hatte. Sie tauschten nun weiter ihre Meinungen
über den Staat aus und Steffens machte den Staatskanzler darauf aufmerk¬
sam, daß man, um mit guten Gewissen den Liberalismus zu^ bekämpfen', eM
neues konservatives Staatsprincip an seine Stelle setzen müsse. Hardenberg


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[0390] Verstimmung war für seine politische Ueberzeugung entscheidend. Die erste Schrift, mit der er sich der politischen Dinge annahm, war: „die gegen¬ wärtige Zeit und wie sie geworden," ausgearbeitet 1815—16, ge¬ druckt 1817. Sie war in jenem verwilderten, blumenreichen und ausschwei¬ fenden Stil geschrieben, den wir in den meisten politischen Schriften jener Zeit, namentlich bei Görres, wiederfinden. Die Grundidee hat er unbewußterweise aus Fichte entlehnt. Er leitete nämlich die Verderbniß der Zeit aus dem Paulinischen Christenthum her, wel¬ ches das religiöse Gefühl in Räsonnements aufgelöst und abgeschwächt habe. In seiner zweiten Schrift „die Carricaturen des Heiligsten" (1819—21) finden wir jene Ncrglcichung des organischen Staatslebens mit dem Natur¬ wuchs der Pflanze, dje zum Theil auch auf die historische Schule übergegangen ist, (mit Savigny war er schon seit 1811 genauer bekannt, Ottfried Müller war sein bevorzugter Schüler) auf eine zum Theil artige, aber auch breite und pedantische Weise durchgeführt. Es war ein leidenschaftlicher Kampf gegen alle politischen Abstractionen, und der Versuch, aus den natürlichen Gliederun¬ gen des Lebens, aus der religiösen Gemeinschaft und aus der Familie die Totalität des Staats herzuleiten. Die Caricaturen, gegen die er vorzugsweise zu Felde zog, waren das System des contra social, Hallers Restauration der Staatswissenschaft und der herrschende Beamtenmechanismus. In allen dreien, so entgegengesetzt sie einander zu sein schienen, fand er ganz mit Recht den Aus¬ druck des nämlichen mechanischen Gedankens, der das Leben aus dem Tode, den Organismus aus dem Mechanismus herzuleiten sich vermißt. Insoweit können wir seiner Polemik vollkommen beipflichten, aber was er an die Stelle setzte, war durchaus unklar und ungenügend. Der fortdauernde Kampf gegen die Turner erregte den heftigsten Unwillen seiner ehemaligen Freunde, z. B. Schleiermachers, und zugleich die Aufmerk¬ samkeit der Behörden. Im Anfang, wo man noch suchte den Staat in der liberalen Richtung zu erhalten und wo man in dem neuen Mysticismus einen Feind empfand, wurde er höhern Orts gewarnt. Endlich aber glaubte man, er könne nähere Enthüllungen machen und Hardenberg ließ ihn in der Stille nach Berlin kommen. Die Unterredung zwischen den beiden Männern, d>e er Band IX. S. i l erzählt, ist sehr charakteristisch. Zunächst war Steffens auf das heftigste erschrocken über die Auslegung, die man seinen Kapuzinaden gab- 'er hatte die geistige Richtung im allgemeinen angefochten, und man glaubte, er sei mit einer geheimen Verschwörung bekannt. Hardenberg sah bald, daß er es mit einem Träumer zu thun hatte. Sie tauschten nun weiter ihre Meinungen über den Staat aus und Steffens machte den Staatskanzler darauf aufmerk¬ sam, daß man, um mit guten Gewissen den Liberalismus zu^ bekämpfen', eM neues konservatives Staatsprincip an seine Stelle setzen müsse. Hardenberg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/390>, abgerufen am 01.09.2024.