Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Beschaulichkeit dieses wissenschaftlich-poetischen Stilllebens wurde auf
eine schneidende Weise durch den Krieg unterbrochen. Von diesen kriegerischen
Zuständen hat uns Steffens sehr anschauliche und interessante Schilderungen
gegeben. Nach der Aufhebung der Universität irrte er eine Zeitlang unstät
in Norddeutschland umher und ließ sich in zahlreiche Verbindungen ein, die er
nachher nicht wieder abbrechen konnte, die seinem patriotischen Gefühl alle
Ehre machen, die aber auf der einen Seite fruchtlos, auf der anderen schäd¬
lich waren.

Nach seiner Rückkehr nach Halle 1808 konnte er die alte Stimmung nicht
wiederfinden. Die meisten seiner Bekannten waren fort, der Eifer der wissen¬
schaftlichen Universalität hatte sich gelegt, und mit ihm auch das Interesse an
der Naturphilosophie. Die Physiker wurden durch die Entdeckungen Darys
und Seebecks beschäftigt, sie waren es müde, durch Combinationen und phan¬
tastisches Spiel die Wissenschaft zu ergänzen. Unter den Philosophen selbst
hob sich immer eine Hand gegen die andere aus. Schelling hatte sich seit 1808
von der Naturphilosophie gänzlich abgewandt, Oken einen eignen Weg ein¬
geschlagen, der mit der bisherigen Speculation nicht zusammenhing. Ueberall
warf man sich wieder auf die empirischen Studien. So fühlte sich Steffens
in Halle sehr vereinsamt und wurde noch mehr verstimmt durch die beständigen
Verschwörungen und Complote, denen er sich zu entziehen nicht die Ent¬
schlossenheit besaß und in denen er doch nichts Zweckmäßiges wirken konnte.
Seine Hoffnung, mit den übrigen Freunden bei der Gründung der Universität
Berlin berücksichtigt zu werden, schlug fehl, weil Wilhelm v. Humboldt die
speculative Physik nicht begünstigte. Seine Lage in Halle wurde immer mi߬
licher, seine demagogischen Freunde wurden plötzlich eingezogen, und er war in
einer ganz seltsamen Reihe von Gewissensconflicten verwickelt, bis ein Ruf nach
Breslau 18-1-I ihn davon befreite. Karl v. Raumer, sein Freund, später sein
Schwager, wurde gleichzeitig mit ihm dahin versetzt, -- Ehe wir auf diese Zeit
übergehen, wollen wir einige Hindeutungen auf den Inhalt seiner Natur¬
philosophie geben, soweit dies in unsern Zweck gehört.

Das Grundbestreben seiner Naturphilosophie war, in der Natur die To¬
talität des Lebens nachzuweisen. Zu der Erreichung dieses Strebens wandte
er zwei Mittel an. Einmal löste er alle scheinbar isolirte Individualität in
jenen gewaltigen Proceß auf, der wie ein Pulsschlag durch das ganze Natur¬
leben geht, sodann suchte er diesen Zersetzungsproceß überall zu neuen In¬
dividualitäten zu krystallisiren. Wir wollen nicht leugnen, daß wir dieser An¬
schauung, wenn man sie ganz im allgemeinen betrachtet, eine erhöhtere Auffassung
des Lebens verdanken; aber die Methode, wie er im einzelnen zu Werke ging,
war durchaus verwerflich. Mit seiner reichen Phantasie faßte er überall die
Aehnlichkeiten der Erscheinungen auf und warf in einem sinnigen Spiel die


Die Beschaulichkeit dieses wissenschaftlich-poetischen Stilllebens wurde auf
eine schneidende Weise durch den Krieg unterbrochen. Von diesen kriegerischen
Zuständen hat uns Steffens sehr anschauliche und interessante Schilderungen
gegeben. Nach der Aufhebung der Universität irrte er eine Zeitlang unstät
in Norddeutschland umher und ließ sich in zahlreiche Verbindungen ein, die er
nachher nicht wieder abbrechen konnte, die seinem patriotischen Gefühl alle
Ehre machen, die aber auf der einen Seite fruchtlos, auf der anderen schäd¬
lich waren.

Nach seiner Rückkehr nach Halle 1808 konnte er die alte Stimmung nicht
wiederfinden. Die meisten seiner Bekannten waren fort, der Eifer der wissen¬
schaftlichen Universalität hatte sich gelegt, und mit ihm auch das Interesse an
der Naturphilosophie. Die Physiker wurden durch die Entdeckungen Darys
und Seebecks beschäftigt, sie waren es müde, durch Combinationen und phan¬
tastisches Spiel die Wissenschaft zu ergänzen. Unter den Philosophen selbst
hob sich immer eine Hand gegen die andere aus. Schelling hatte sich seit 1808
von der Naturphilosophie gänzlich abgewandt, Oken einen eignen Weg ein¬
geschlagen, der mit der bisherigen Speculation nicht zusammenhing. Ueberall
warf man sich wieder auf die empirischen Studien. So fühlte sich Steffens
in Halle sehr vereinsamt und wurde noch mehr verstimmt durch die beständigen
Verschwörungen und Complote, denen er sich zu entziehen nicht die Ent¬
schlossenheit besaß und in denen er doch nichts Zweckmäßiges wirken konnte.
Seine Hoffnung, mit den übrigen Freunden bei der Gründung der Universität
Berlin berücksichtigt zu werden, schlug fehl, weil Wilhelm v. Humboldt die
speculative Physik nicht begünstigte. Seine Lage in Halle wurde immer mi߬
licher, seine demagogischen Freunde wurden plötzlich eingezogen, und er war in
einer ganz seltsamen Reihe von Gewissensconflicten verwickelt, bis ein Ruf nach
Breslau 18-1-I ihn davon befreite. Karl v. Raumer, sein Freund, später sein
Schwager, wurde gleichzeitig mit ihm dahin versetzt, — Ehe wir auf diese Zeit
übergehen, wollen wir einige Hindeutungen auf den Inhalt seiner Natur¬
philosophie geben, soweit dies in unsern Zweck gehört.

Das Grundbestreben seiner Naturphilosophie war, in der Natur die To¬
talität des Lebens nachzuweisen. Zu der Erreichung dieses Strebens wandte
er zwei Mittel an. Einmal löste er alle scheinbar isolirte Individualität in
jenen gewaltigen Proceß auf, der wie ein Pulsschlag durch das ganze Natur¬
leben geht, sodann suchte er diesen Zersetzungsproceß überall zu neuen In¬
dividualitäten zu krystallisiren. Wir wollen nicht leugnen, daß wir dieser An¬
schauung, wenn man sie ganz im allgemeinen betrachtet, eine erhöhtere Auffassung
des Lebens verdanken; aber die Methode, wie er im einzelnen zu Werke ging,
war durchaus verwerflich. Mit seiner reichen Phantasie faßte er überall die
Aehnlichkeiten der Erscheinungen auf und warf in einem sinnigen Spiel die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281537"/>
          <p xml:id="ID_1141"> Die Beschaulichkeit dieses wissenschaftlich-poetischen Stilllebens wurde auf<lb/>
eine schneidende Weise durch den Krieg unterbrochen. Von diesen kriegerischen<lb/>
Zuständen hat uns Steffens sehr anschauliche und interessante Schilderungen<lb/>
gegeben. Nach der Aufhebung der Universität irrte er eine Zeitlang unstät<lb/>
in Norddeutschland umher und ließ sich in zahlreiche Verbindungen ein, die er<lb/>
nachher nicht wieder abbrechen konnte, die seinem patriotischen Gefühl alle<lb/>
Ehre machen, die aber auf der einen Seite fruchtlos, auf der anderen schäd¬<lb/>
lich waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1142"> Nach seiner Rückkehr nach Halle 1808 konnte er die alte Stimmung nicht<lb/>
wiederfinden. Die meisten seiner Bekannten waren fort, der Eifer der wissen¬<lb/>
schaftlichen Universalität hatte sich gelegt, und mit ihm auch das Interesse an<lb/>
der Naturphilosophie. Die Physiker wurden durch die Entdeckungen Darys<lb/>
und Seebecks beschäftigt, sie waren es müde, durch Combinationen und phan¬<lb/>
tastisches Spiel die Wissenschaft zu ergänzen. Unter den Philosophen selbst<lb/>
hob sich immer eine Hand gegen die andere aus. Schelling hatte sich seit 1808<lb/>
von der Naturphilosophie gänzlich abgewandt, Oken einen eignen Weg ein¬<lb/>
geschlagen, der mit der bisherigen Speculation nicht zusammenhing. Ueberall<lb/>
warf man sich wieder auf die empirischen Studien. So fühlte sich Steffens<lb/>
in Halle sehr vereinsamt und wurde noch mehr verstimmt durch die beständigen<lb/>
Verschwörungen und Complote, denen er sich zu entziehen nicht die Ent¬<lb/>
schlossenheit besaß und in denen er doch nichts Zweckmäßiges wirken konnte.<lb/>
Seine Hoffnung, mit den übrigen Freunden bei der Gründung der Universität<lb/>
Berlin berücksichtigt zu werden, schlug fehl, weil Wilhelm v. Humboldt die<lb/>
speculative Physik nicht begünstigte. Seine Lage in Halle wurde immer mi߬<lb/>
licher, seine demagogischen Freunde wurden plötzlich eingezogen, und er war in<lb/>
einer ganz seltsamen Reihe von Gewissensconflicten verwickelt, bis ein Ruf nach<lb/>
Breslau 18-1-I ihn davon befreite. Karl v. Raumer, sein Freund, später sein<lb/>
Schwager, wurde gleichzeitig mit ihm dahin versetzt, &#x2014; Ehe wir auf diese Zeit<lb/>
übergehen, wollen wir einige Hindeutungen auf den Inhalt seiner Natur¬<lb/>
philosophie geben, soweit dies in unsern Zweck gehört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1143" next="#ID_1144"> Das Grundbestreben seiner Naturphilosophie war, in der Natur die To¬<lb/>
talität des Lebens nachzuweisen. Zu der Erreichung dieses Strebens wandte<lb/>
er zwei Mittel an. Einmal löste er alle scheinbar isolirte Individualität in<lb/>
jenen gewaltigen Proceß auf, der wie ein Pulsschlag durch das ganze Natur¬<lb/>
leben geht, sodann suchte er diesen Zersetzungsproceß überall zu neuen In¬<lb/>
dividualitäten zu krystallisiren. Wir wollen nicht leugnen, daß wir dieser An¬<lb/>
schauung, wenn man sie ganz im allgemeinen betrachtet, eine erhöhtere Auffassung<lb/>
des Lebens verdanken; aber die Methode, wie er im einzelnen zu Werke ging,<lb/>
war durchaus verwerflich. Mit seiner reichen Phantasie faßte er überall die<lb/>
Aehnlichkeiten der Erscheinungen auf und warf in einem sinnigen Spiel die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] Die Beschaulichkeit dieses wissenschaftlich-poetischen Stilllebens wurde auf eine schneidende Weise durch den Krieg unterbrochen. Von diesen kriegerischen Zuständen hat uns Steffens sehr anschauliche und interessante Schilderungen gegeben. Nach der Aufhebung der Universität irrte er eine Zeitlang unstät in Norddeutschland umher und ließ sich in zahlreiche Verbindungen ein, die er nachher nicht wieder abbrechen konnte, die seinem patriotischen Gefühl alle Ehre machen, die aber auf der einen Seite fruchtlos, auf der anderen schäd¬ lich waren. Nach seiner Rückkehr nach Halle 1808 konnte er die alte Stimmung nicht wiederfinden. Die meisten seiner Bekannten waren fort, der Eifer der wissen¬ schaftlichen Universalität hatte sich gelegt, und mit ihm auch das Interesse an der Naturphilosophie. Die Physiker wurden durch die Entdeckungen Darys und Seebecks beschäftigt, sie waren es müde, durch Combinationen und phan¬ tastisches Spiel die Wissenschaft zu ergänzen. Unter den Philosophen selbst hob sich immer eine Hand gegen die andere aus. Schelling hatte sich seit 1808 von der Naturphilosophie gänzlich abgewandt, Oken einen eignen Weg ein¬ geschlagen, der mit der bisherigen Speculation nicht zusammenhing. Ueberall warf man sich wieder auf die empirischen Studien. So fühlte sich Steffens in Halle sehr vereinsamt und wurde noch mehr verstimmt durch die beständigen Verschwörungen und Complote, denen er sich zu entziehen nicht die Ent¬ schlossenheit besaß und in denen er doch nichts Zweckmäßiges wirken konnte. Seine Hoffnung, mit den übrigen Freunden bei der Gründung der Universität Berlin berücksichtigt zu werden, schlug fehl, weil Wilhelm v. Humboldt die speculative Physik nicht begünstigte. Seine Lage in Halle wurde immer mi߬ licher, seine demagogischen Freunde wurden plötzlich eingezogen, und er war in einer ganz seltsamen Reihe von Gewissensconflicten verwickelt, bis ein Ruf nach Breslau 18-1-I ihn davon befreite. Karl v. Raumer, sein Freund, später sein Schwager, wurde gleichzeitig mit ihm dahin versetzt, — Ehe wir auf diese Zeit übergehen, wollen wir einige Hindeutungen auf den Inhalt seiner Natur¬ philosophie geben, soweit dies in unsern Zweck gehört. Das Grundbestreben seiner Naturphilosophie war, in der Natur die To¬ talität des Lebens nachzuweisen. Zu der Erreichung dieses Strebens wandte er zwei Mittel an. Einmal löste er alle scheinbar isolirte Individualität in jenen gewaltigen Proceß auf, der wie ein Pulsschlag durch das ganze Natur¬ leben geht, sodann suchte er diesen Zersetzungsproceß überall zu neuen In¬ dividualitäten zu krystallisiren. Wir wollen nicht leugnen, daß wir dieser An¬ schauung, wenn man sie ganz im allgemeinen betrachtet, eine erhöhtere Auffassung des Lebens verdanken; aber die Methode, wie er im einzelnen zu Werke ging, war durchaus verwerflich. Mit seiner reichen Phantasie faßte er überall die Aehnlichkeiten der Erscheinungen auf und warf in einem sinnigen Spiel die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/386>, abgerufen am 01.09.2024.