Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen 1802 trat er dort als entschiedener In Halle beginnt jetzt eine Zeit, die gewissermaßen die Weimarsche ergänzt. Grenzbote". III. luui. 48
Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen 1802 trat er dort als entschiedener In Halle beginnt jetzt eine Zeit, die gewissermaßen die Weimarsche ergänzt. Grenzbote». III. luui. 48
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281536"/> <p xml:id="ID_1139"> Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen 1802 trat er dort als entschiedener<lb/> Vertreter der Romantik aus. Er hielt Vorlesungen über speculative Physik,<lb/> die nicht geringes Aufsehen machten, die aber auch nach allen Seiten hin<lb/> Anstoß gaben. Schon als germanistrter Däne wurde er mit scheelen Augen an¬<lb/> gesehen, die Gelehrten sahen in ihm eine Begünstigung des Dilettantismus und<lb/> im Volk verbreitete sich das Gerücht, er arbeite im Stillen für die katholische<lb/> Kirche, welchen letztern Vorwurf er zwar sehr entschieden zurückwies, aber doch<lb/> nicht mit ganz reinem Gewissen. Seine Stellung wurde immer unhaltbarer<lb/> und er betrachtete es als eine Erlösung, als er einen Ruf an die Universität<lb/> Halle erhielt. Er begab sich im September 1804 um so freudiger dahin, da er sich<lb/> eben mit der Tochter des Halleschen Kapellmeisters Reichardt verheirathet hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1140"> In Halle beginnt jetzt eine Zeit, die gewissermaßen die Weimarsche ergänzt.<lb/> Die Anregung, mit welcher Wolf und Schleiermacher auf die studirende Jugend<lb/> wirkten, war ganz unglaublich. An sie schloß sich zunächst der Arzt Reil,<lb/> dann Steffens an. Eine Wissenschaft griff immer der andern unter die Arme,<lb/> weil sie alle geistvoll, nicht in trocknem Mechanismus behandelt wurden.<lb/> Schleiermacber selbst interesstrte sich damals lebhaft für die Naturphilosophie.<lb/> Die Idee des Lcbensorganismus verbreitete sich immer weiter in der Jugend.<lb/> Unter den jüngeren Professoren geHorten Schelrer und Kayßler der Schellingschen<lb/> Schule an. Die alten Kantianer kamen dagegen nicht auf. Unter den jungen<lb/> strebsamen Studenten traten namentlich Karl v. Raumer, der spätere Geolog,<lb/> und Alexander von der Manvitz dem Kreise näher. Von dieser Seite wird<lb/> uns in Varnhagcns „Denkwürdigkeiten" die Stimmung der Zeit anschaulich<lb/> gemacht. Goethe erfreute den Kreis von Zeit zu Zeit mit seinem Besuch, na¬<lb/> mentlich als Gall seine Vorlesungen über Schädellehre hielt und Reil seine<lb/> neuen Forschungen über das Gehirn und das Nervensystem auseinandersetzte.<lb/> Auch mit Berlin blieb der Verkehr ununterbrochen. Bei einem längeren Be¬<lb/> suche in dieser Stadt, im Frühling 180L, trat Steffens in nähere Berührung<lb/> wie Alexander v. Humboldt und mit Johannes v. Müller, der zwar soeben<lb/> gegen die naturphilosophischen Uebergriffe in das Gebiet der Geschichte auf das<lb/> lebhafteste polemisirt hatte, der ihn aber sehr freundlich aufnahm; serner mit<lb/> dem bekannten Kreise geistreicher Frauen, der in Henriette Hertz seinen Mittel¬<lb/> punkt sand. Durch Reichardt und seine Tochter Louise wurde er auch mit<lb/> einer andern Schatrirung der Romantiker, mit Arnim, Brentano und Grimm<lb/> bekannt, von denen der erste sich im Anfang seiner Bildung sehr lebhaft mit<lb/> Physik beschäftigt hatte. Sie wirkten in gegenseitigen Gesprächen über die<lb/> deutsche Literatur sehr lebhaft aufeinander ein. — Das Resultat dieser Phase<lb/> waren die „Grundzüge der Naturphilosophie in Aphorismen", von denen<lb/> Steffens VI. S. 33 selbst gesteht, daß er sich im Enthusiasmus zuweilen zu<lb/> offenbaren Tollheiten habe hinreißen lassen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbote». III. luui. 48</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0385]
Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen 1802 trat er dort als entschiedener
Vertreter der Romantik aus. Er hielt Vorlesungen über speculative Physik,
die nicht geringes Aufsehen machten, die aber auch nach allen Seiten hin
Anstoß gaben. Schon als germanistrter Däne wurde er mit scheelen Augen an¬
gesehen, die Gelehrten sahen in ihm eine Begünstigung des Dilettantismus und
im Volk verbreitete sich das Gerücht, er arbeite im Stillen für die katholische
Kirche, welchen letztern Vorwurf er zwar sehr entschieden zurückwies, aber doch
nicht mit ganz reinem Gewissen. Seine Stellung wurde immer unhaltbarer
und er betrachtete es als eine Erlösung, als er einen Ruf an die Universität
Halle erhielt. Er begab sich im September 1804 um so freudiger dahin, da er sich
eben mit der Tochter des Halleschen Kapellmeisters Reichardt verheirathet hatte.
In Halle beginnt jetzt eine Zeit, die gewissermaßen die Weimarsche ergänzt.
Die Anregung, mit welcher Wolf und Schleiermacher auf die studirende Jugend
wirkten, war ganz unglaublich. An sie schloß sich zunächst der Arzt Reil,
dann Steffens an. Eine Wissenschaft griff immer der andern unter die Arme,
weil sie alle geistvoll, nicht in trocknem Mechanismus behandelt wurden.
Schleiermacber selbst interesstrte sich damals lebhaft für die Naturphilosophie.
Die Idee des Lcbensorganismus verbreitete sich immer weiter in der Jugend.
Unter den jüngeren Professoren geHorten Schelrer und Kayßler der Schellingschen
Schule an. Die alten Kantianer kamen dagegen nicht auf. Unter den jungen
strebsamen Studenten traten namentlich Karl v. Raumer, der spätere Geolog,
und Alexander von der Manvitz dem Kreise näher. Von dieser Seite wird
uns in Varnhagcns „Denkwürdigkeiten" die Stimmung der Zeit anschaulich
gemacht. Goethe erfreute den Kreis von Zeit zu Zeit mit seinem Besuch, na¬
mentlich als Gall seine Vorlesungen über Schädellehre hielt und Reil seine
neuen Forschungen über das Gehirn und das Nervensystem auseinandersetzte.
Auch mit Berlin blieb der Verkehr ununterbrochen. Bei einem längeren Be¬
suche in dieser Stadt, im Frühling 180L, trat Steffens in nähere Berührung
wie Alexander v. Humboldt und mit Johannes v. Müller, der zwar soeben
gegen die naturphilosophischen Uebergriffe in das Gebiet der Geschichte auf das
lebhafteste polemisirt hatte, der ihn aber sehr freundlich aufnahm; serner mit
dem bekannten Kreise geistreicher Frauen, der in Henriette Hertz seinen Mittel¬
punkt sand. Durch Reichardt und seine Tochter Louise wurde er auch mit
einer andern Schatrirung der Romantiker, mit Arnim, Brentano und Grimm
bekannt, von denen der erste sich im Anfang seiner Bildung sehr lebhaft mit
Physik beschäftigt hatte. Sie wirkten in gegenseitigen Gesprächen über die
deutsche Literatur sehr lebhaft aufeinander ein. — Das Resultat dieser Phase
waren die „Grundzüge der Naturphilosophie in Aphorismen", von denen
Steffens VI. S. 33 selbst gesteht, daß er sich im Enthusiasmus zuweilen zu
offenbaren Tollheiten habe hinreißen lassen.
Grenzbote». III. luui. 48
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |