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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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des philosophischen Geistes in lebhaftester unmittelbarer Betheiligung, angeregt
und anregend, überall als ein ebenbürtiger Mitstreiter für die Sache der Poesie
gegen die gemeine Wirklichkeit begrüßt.

Steffens kam nach Jena mit vorgefaßten Ansichten in der Poesie wie in
der Philosophie. Die Trennung zwischen Schiller und den Romantikern war
bereits erfolgt. In dem "Athenäum", dem Organ der letzteren, war die Fahne
der absoluten Kunst und deS absoluten Wissens aufgepflanzt, die Fahne Goethes
und Fichtes. Steffens schloß sich sogleich eng an Ang. Will). Schlegel und
dessen geistvolle Frau an, er nahm entschieden Partei, daher auch die dauernde
Abneigung gegen Schiller. Am willkommensten mußte er Schelling sein. Er
war der erste Naturforscher von Fach, der offen zu seiner Fahne übertrat.
Nöschlaub, Eschenmaier, Windischmann und andere Aerzte folgten erst einige
Zeit darauf seinem Beispiel. Auf dem umgekehrten Wege, den sonst gewöhnlich
die Philosophen einschlagen, wandte er sich dem Studium der Philosophie zu.
Erst durch Schelling und das "Athenäum" wurde er auf die "Wissenschafts-
lehre" geführt, erst durch Fichte, dessen Vorlesungen über die Bestimmung deS
Menschen er eifrig anhörte, kam er auf Kant. Beide Systeme haben auf sein
Denken nicht wesentlich eingewirkt. Die spielende Combination der Natur¬
philosophie wav das Einzige, waS ihn innerlich beschäftigte. Er erbot sich, die
"cuc Lehre in dem damals noch immer einflußreichen Organ, der "Jenaer
Literaturzeitung" zu vertreten. Daß man hier seine Mitwirkung ablehnte, war
der erste Grund zum vollständigen Bruch der Romantiker mit der Literatur-
Zeitung. Zum Theil durch ihn wurde auch die nähere Bekanntschaft Schellings
"ut Goethe vermittelt. Die lebensvollen Einblicke des großen Dichters in
das Gebiet der Natur, die ungewöhnlichen und scharfsinnigen Eombinationen
des Philosophen und die Kenntnisse deö jungen Naturforschers ergänzten sich
gegenseitig. Von einer correcten Wissenschaftlichkeit war in diesen Studien
eigentlich nicht die Rede. Die Construction a priori, die, wie Steffens ganz
^uhtig bemerkt, bei den Dichtern damals ebenso vorherrschend war wie bei den
Philosophen, ließ beide in der Welt und in der Natur nur sehen, was sie
sehen wollten. Aber es war in, dieser gemüthvollen Theilnahme an dem wissen¬
schaftlichen Leben doch ein großer jugendlicher Reiz, den wir jetzt bei unsrer
Theilung der Arbeit zuweilen schmerzlich vermissen und den Steffens mit un-
gemeiner Lebhaftigkeit empfunden und sehr glücklich wiedergegeben hat. Für
^'N Fortschritt der Naturphilosophie war es ein günstiges Ereignis;, daß Fichte
durch die bekannte Anklage des Atheismus damals ans Jena entfernt wurde
"ud daß die Schlegel, die ihm eigentlich näher standen als Schelling, sich
gleichfalls zerstreuten. Steffens trat zwar bei jener Veranlassung mit dem halb
glichen, halb anempfundcnen Eifer, der sein ganzes Leben charakterisiert, auf
^eile Fichtes, aber innerlich war er bei dem Streit nicht betheiligt. Die starren


des philosophischen Geistes in lebhaftester unmittelbarer Betheiligung, angeregt
und anregend, überall als ein ebenbürtiger Mitstreiter für die Sache der Poesie
gegen die gemeine Wirklichkeit begrüßt.

Steffens kam nach Jena mit vorgefaßten Ansichten in der Poesie wie in
der Philosophie. Die Trennung zwischen Schiller und den Romantikern war
bereits erfolgt. In dem „Athenäum", dem Organ der letzteren, war die Fahne
der absoluten Kunst und deS absoluten Wissens aufgepflanzt, die Fahne Goethes
und Fichtes. Steffens schloß sich sogleich eng an Ang. Will). Schlegel und
dessen geistvolle Frau an, er nahm entschieden Partei, daher auch die dauernde
Abneigung gegen Schiller. Am willkommensten mußte er Schelling sein. Er
war der erste Naturforscher von Fach, der offen zu seiner Fahne übertrat.
Nöschlaub, Eschenmaier, Windischmann und andere Aerzte folgten erst einige
Zeit darauf seinem Beispiel. Auf dem umgekehrten Wege, den sonst gewöhnlich
die Philosophen einschlagen, wandte er sich dem Studium der Philosophie zu.
Erst durch Schelling und das „Athenäum" wurde er auf die „Wissenschafts-
lehre" geführt, erst durch Fichte, dessen Vorlesungen über die Bestimmung deS
Menschen er eifrig anhörte, kam er auf Kant. Beide Systeme haben auf sein
Denken nicht wesentlich eingewirkt. Die spielende Combination der Natur¬
philosophie wav das Einzige, waS ihn innerlich beschäftigte. Er erbot sich, die
»cuc Lehre in dem damals noch immer einflußreichen Organ, der „Jenaer
Literaturzeitung" zu vertreten. Daß man hier seine Mitwirkung ablehnte, war
der erste Grund zum vollständigen Bruch der Romantiker mit der Literatur-
Zeitung. Zum Theil durch ihn wurde auch die nähere Bekanntschaft Schellings
»ut Goethe vermittelt. Die lebensvollen Einblicke des großen Dichters in
das Gebiet der Natur, die ungewöhnlichen und scharfsinnigen Eombinationen
des Philosophen und die Kenntnisse deö jungen Naturforschers ergänzten sich
gegenseitig. Von einer correcten Wissenschaftlichkeit war in diesen Studien
eigentlich nicht die Rede. Die Construction a priori, die, wie Steffens ganz
^uhtig bemerkt, bei den Dichtern damals ebenso vorherrschend war wie bei den
Philosophen, ließ beide in der Welt und in der Natur nur sehen, was sie
sehen wollten. Aber es war in, dieser gemüthvollen Theilnahme an dem wissen¬
schaftlichen Leben doch ein großer jugendlicher Reiz, den wir jetzt bei unsrer
Theilung der Arbeit zuweilen schmerzlich vermissen und den Steffens mit un-
gemeiner Lebhaftigkeit empfunden und sehr glücklich wiedergegeben hat. Für
^'N Fortschritt der Naturphilosophie war es ein günstiges Ereignis;, daß Fichte
durch die bekannte Anklage des Atheismus damals ans Jena entfernt wurde
"ud daß die Schlegel, die ihm eigentlich näher standen als Schelling, sich
gleichfalls zerstreuten. Steffens trat zwar bei jener Veranlassung mit dem halb
glichen, halb anempfundcnen Eifer, der sein ganzes Leben charakterisiert, auf
^eile Fichtes, aber innerlich war er bei dem Streit nicht betheiligt. Die starren


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[0383] des philosophischen Geistes in lebhaftester unmittelbarer Betheiligung, angeregt und anregend, überall als ein ebenbürtiger Mitstreiter für die Sache der Poesie gegen die gemeine Wirklichkeit begrüßt. Steffens kam nach Jena mit vorgefaßten Ansichten in der Poesie wie in der Philosophie. Die Trennung zwischen Schiller und den Romantikern war bereits erfolgt. In dem „Athenäum", dem Organ der letzteren, war die Fahne der absoluten Kunst und deS absoluten Wissens aufgepflanzt, die Fahne Goethes und Fichtes. Steffens schloß sich sogleich eng an Ang. Will). Schlegel und dessen geistvolle Frau an, er nahm entschieden Partei, daher auch die dauernde Abneigung gegen Schiller. Am willkommensten mußte er Schelling sein. Er war der erste Naturforscher von Fach, der offen zu seiner Fahne übertrat. Nöschlaub, Eschenmaier, Windischmann und andere Aerzte folgten erst einige Zeit darauf seinem Beispiel. Auf dem umgekehrten Wege, den sonst gewöhnlich die Philosophen einschlagen, wandte er sich dem Studium der Philosophie zu. Erst durch Schelling und das „Athenäum" wurde er auf die „Wissenschafts- lehre" geführt, erst durch Fichte, dessen Vorlesungen über die Bestimmung deS Menschen er eifrig anhörte, kam er auf Kant. Beide Systeme haben auf sein Denken nicht wesentlich eingewirkt. Die spielende Combination der Natur¬ philosophie wav das Einzige, waS ihn innerlich beschäftigte. Er erbot sich, die »cuc Lehre in dem damals noch immer einflußreichen Organ, der „Jenaer Literaturzeitung" zu vertreten. Daß man hier seine Mitwirkung ablehnte, war der erste Grund zum vollständigen Bruch der Romantiker mit der Literatur- Zeitung. Zum Theil durch ihn wurde auch die nähere Bekanntschaft Schellings »ut Goethe vermittelt. Die lebensvollen Einblicke des großen Dichters in das Gebiet der Natur, die ungewöhnlichen und scharfsinnigen Eombinationen des Philosophen und die Kenntnisse deö jungen Naturforschers ergänzten sich gegenseitig. Von einer correcten Wissenschaftlichkeit war in diesen Studien eigentlich nicht die Rede. Die Construction a priori, die, wie Steffens ganz ^uhtig bemerkt, bei den Dichtern damals ebenso vorherrschend war wie bei den Philosophen, ließ beide in der Welt und in der Natur nur sehen, was sie sehen wollten. Aber es war in, dieser gemüthvollen Theilnahme an dem wissen¬ schaftlichen Leben doch ein großer jugendlicher Reiz, den wir jetzt bei unsrer Theilung der Arbeit zuweilen schmerzlich vermissen und den Steffens mit un- gemeiner Lebhaftigkeit empfunden und sehr glücklich wiedergegeben hat. Für ^'N Fortschritt der Naturphilosophie war es ein günstiges Ereignis;, daß Fichte durch die bekannte Anklage des Atheismus damals ans Jena entfernt wurde "ud daß die Schlegel, die ihm eigentlich näher standen als Schelling, sich gleichfalls zerstreuten. Steffens trat zwar bei jener Veranlassung mit dem halb glichen, halb anempfundcnen Eifer, der sein ganzes Leben charakterisiert, auf ^eile Fichtes, aber innerlich war er bei dem Streit nicht betheiligt. Die starren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/383>, abgerufen am 01.09.2024.