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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Stellung die wirklichen Operationen der Forschung beizubehalten. Wir wollen
nur aus ein bestimmtes Beispiel aufmerksam machen. Die ersten 20 Jahre
des peloponnesischen Krieges sind uns in Betreff der militärischen und diplo¬
matischen Begebenheiten von Thucydides so musterhaft erzählt worden, daß
eine Vervollkommnung in der Form nicht mehr gedacht werden kann. Da¬
gegen sind viele Seiten des öffentlichen Lebens, namentlich der kulturhistorischen
Entwicklung jener Zeit, die uns im höchsten Grade interessieren würden, von
Thucydides gar nicht erwähnt. Was hat es nun eigentlich für einen Zweck,
dieselbe Geschichte, die wir im Thucydides finden können, noch einmal in aus -
führlicher epischer Form zu berichten? Würde es nicht viel angemessener sein,
einen übersichtliche" Auszug zu geben und im übrigen auf den Geschichtschreiber,
auf den man verweist, zu reflectiren? Die Grundsätze seiner Geschichtschreibung
zu prüfen, sein Verhältniß zu anderweitigen Berichterstattern zu erörtern und
diejenigen Seiten des Lebens zu ergänzen, die er nicht berührt, von denen wir
aber anderwärtSher Kenntniß haben? -- Wir stellen das, wie gesagt, nur
als Frage auf, denn wir verkennen auch das Bedenkliche nicht, welches darin
liegt, aus dem Umfange eines Kunstwerks hinaus auf ein anderes hinzu¬
weisen. Außerdem kommt ein so eelatanter Fall, wie der mit Thucydides,
nicht leicht wieder vor. Indessen darüber würden wol alle einig sein, daß
eine mäßige Verkürzung auch nach dieser Seite hin statthaft sein würde. --
Wenn eine Bearbeitung, wie wir sie vorschlagen, ihren Zweck erfüllen sollte,
so müßte sie von einem Manne ausgehen, der auf der Höhe der Wissenschaft
stände und der den englischen Historiker zugleich controliren könnte; denn eine
solche Controle wäre in vielen Beziehungen nicht überflüssig und das Werk
würde dadurch einen neuen Werth erhalten. Man hat die Deutschen häufig
und nicht mit Unrecht getadelt, daß sie immer nur bei Studien stehen bleiben
und nie zu der wirklichen Darstellung übergehen. Es wäre uns allerdings
lieber gewesen, daß ein Deutscher diese große Aufgabe über sich genommen
hätte; allein da es nun einmal nicht geschehen ist, so würde es uns zweckmä¬
ßiger erscheinen, das Vorhandene zu benutzen und aus eine zweckmäßige We>>e
zu berichtigen, anstatt wieder ein neues Werk zu unternehmen; summarische
Darstellung der griechischen Geschichte wird noch immer ein Bedürfniß blei¬
ben, aber für eine ausführliche Geschichte wird nach unsrer Ansicht das Werk
Grotes schon darum die beste Unterlage bilden, weil der Geist, in dem es ab¬
gefaßt ist, grade auf uns Deutsche eine segensreiche Wirkung ausüben muß-
Herr Professor Lehrs bemerkt in der von uns mitgetheilten Beurtheilung Grotes.
daß den Engländern im Vollgefühl ihres eignen historischen Lebens die Ein¬
heit und der innere'sittliche Zusammenhang der Geschichte etwas Gegebenes und
Unzweifelhaftes ist, während wir uns denselben erst künstlich vermitteln müssen-
So haben wir uns auch, namentlich in Beziehung auf die alte Geschichte, theils


Stellung die wirklichen Operationen der Forschung beizubehalten. Wir wollen
nur aus ein bestimmtes Beispiel aufmerksam machen. Die ersten 20 Jahre
des peloponnesischen Krieges sind uns in Betreff der militärischen und diplo¬
matischen Begebenheiten von Thucydides so musterhaft erzählt worden, daß
eine Vervollkommnung in der Form nicht mehr gedacht werden kann. Da¬
gegen sind viele Seiten des öffentlichen Lebens, namentlich der kulturhistorischen
Entwicklung jener Zeit, die uns im höchsten Grade interessieren würden, von
Thucydides gar nicht erwähnt. Was hat es nun eigentlich für einen Zweck,
dieselbe Geschichte, die wir im Thucydides finden können, noch einmal in aus -
führlicher epischer Form zu berichten? Würde es nicht viel angemessener sein,
einen übersichtliche« Auszug zu geben und im übrigen auf den Geschichtschreiber,
auf den man verweist, zu reflectiren? Die Grundsätze seiner Geschichtschreibung
zu prüfen, sein Verhältniß zu anderweitigen Berichterstattern zu erörtern und
diejenigen Seiten des Lebens zu ergänzen, die er nicht berührt, von denen wir
aber anderwärtSher Kenntniß haben? — Wir stellen das, wie gesagt, nur
als Frage auf, denn wir verkennen auch das Bedenkliche nicht, welches darin
liegt, aus dem Umfange eines Kunstwerks hinaus auf ein anderes hinzu¬
weisen. Außerdem kommt ein so eelatanter Fall, wie der mit Thucydides,
nicht leicht wieder vor. Indessen darüber würden wol alle einig sein, daß
eine mäßige Verkürzung auch nach dieser Seite hin statthaft sein würde. —
Wenn eine Bearbeitung, wie wir sie vorschlagen, ihren Zweck erfüllen sollte,
so müßte sie von einem Manne ausgehen, der auf der Höhe der Wissenschaft
stände und der den englischen Historiker zugleich controliren könnte; denn eine
solche Controle wäre in vielen Beziehungen nicht überflüssig und das Werk
würde dadurch einen neuen Werth erhalten. Man hat die Deutschen häufig
und nicht mit Unrecht getadelt, daß sie immer nur bei Studien stehen bleiben
und nie zu der wirklichen Darstellung übergehen. Es wäre uns allerdings
lieber gewesen, daß ein Deutscher diese große Aufgabe über sich genommen
hätte; allein da es nun einmal nicht geschehen ist, so würde es uns zweckmä¬
ßiger erscheinen, das Vorhandene zu benutzen und aus eine zweckmäßige We>>e
zu berichtigen, anstatt wieder ein neues Werk zu unternehmen; summarische
Darstellung der griechischen Geschichte wird noch immer ein Bedürfniß blei¬
ben, aber für eine ausführliche Geschichte wird nach unsrer Ansicht das Werk
Grotes schon darum die beste Unterlage bilden, weil der Geist, in dem es ab¬
gefaßt ist, grade auf uns Deutsche eine segensreiche Wirkung ausüben muß-
Herr Professor Lehrs bemerkt in der von uns mitgetheilten Beurtheilung Grotes.
daß den Engländern im Vollgefühl ihres eignen historischen Lebens die Ein¬
heit und der innere'sittliche Zusammenhang der Geschichte etwas Gegebenes und
Unzweifelhaftes ist, während wir uns denselben erst künstlich vermitteln müssen-
So haben wir uns auch, namentlich in Beziehung auf die alte Geschichte, theils


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/378>, abgerufen am 01.09.2024.