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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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trstgt, Weichen Sie auch dem Haufen angetrunkener Matrosen aus: es sind
englische Seeleute, Händelsuchcr und man kommt schlecht mit ihnen aus.
Höflichkeit überhaupt ist auf diesen Gassen nicht an der Tagesordnung. Sehen
Sie, wie der untersetzte Mann dort mit dem Ellenbogen sich Bahn bricht; es
ist ein fränkischer Kaufmann, der sein Comptoir in Stambul hat , und ungern
eine Minute verlieren will, um an seinen Arbeitstisch zu gelangen. Hier ist
ein Kind hingefallen mitten im dichtesten Getümmel; vier, fünf Menschen
schreiten eilig darüber Hinweg, ohne es aufzuheben; es schreit, erst der sechste
steht ihm bei und schiebt es zur Seite. So, nun sind wir am Fuß des Ab¬
hanges angelangt und befinden uns in der großen Straße, welche parallel
mit der die Stadt von dem Ufer abscheidenden Mauer hinläuft. Vergangenes
Jahr und 1852. wütheten hier mehre Brände. Sie ist infolge dessen zum
Theil neu aufgebaut worden. Dieser Theil liegt links, wir wenden uns rechts. -
Die Menschenmenge, welche hier im engsten Raume durcheinanderwogt, hat
kaum anderwärts ihres Gleichen. Und welches Gemisch der Costüme, der
Hautfarbe, der Nationen! Man steht türkische, französische, englische Solda¬
ten, holländische und ^amerikanische Marineinfanterie, türkische Artilleristen --
eine der buntesten militärischen Gruppen, die mir jemals vorgekommen, auf
einem Raum von zehn Schritt im Quadrat beisammen! Hier, wo die fre-
quentcste Passage ist, hat der Kleinverkauf zugleich seinen Mittelpunkt. Vor
dem Laden des Fischhändlers vorüberzukommen, wird ein Problem sein. Halten
Sie ja den Athem.an und beschränken Sie Ihren,Verbrauch von atmosphärischer
Luft auf ein Minimum, wenn Sie nicht Gefahr lausen wollen, bewußtlos in¬
folge des Geruchs einiger tausend eingepökelter Wasserbewohner zu werden,
wie mir dies im heißen Sommer vor drei Jahren beinahe begegnet wäre, als
/ich an der nämlichen Stelle vorüberging. Aber ich süße, schon nicht mehr auf
dem Pflaster, mich trägt der Menschenstrom, welcher sich durch die engste Pforte
hindurch, in welche man jemals eine Straße hineinleitete, der Brücke zuwälzt.
Hier ist es, >"o eine Bevölkerung von zweimalhunderttausend'Menschen dies¬
seits und doppelt soviel jenseits die Hauptverbindungslinie hat. So, nun
sind wir an der Mauth und am Wachhause vorüber und stehen aus der Brücke.
Wir gehen rechts an die Einnehmerbude heran, um das Brückengeld im Be¬
trage von fünf Para per Person zu entrichten, und fühlen uns glücklich, mitten
auf dem breiten, von Pontons über die Flut des goldenen Hornes hinüber¬
getragenen Fußwege wieder frei und frisch athmen zu können. Für alles aber,
was wir bis dahin ausgestanden, entschädigt uns das Panorama, die un¬
vergleichliche Aussicht vor uns, rechts, links und hinter uns. Was sind in
dieser Hinsicht alle andern Brücken der Welt im Vergleich mit dieser! Links
dehnt sich unbegrenzt der äußere oder Handelshafen aus; dreißig Dampfschiffe
im Gehen und Kommen, in dichtem Nebeneinander zur Brücke, den Bord hart


trstgt, Weichen Sie auch dem Haufen angetrunkener Matrosen aus: es sind
englische Seeleute, Händelsuchcr und man kommt schlecht mit ihnen aus.
Höflichkeit überhaupt ist auf diesen Gassen nicht an der Tagesordnung. Sehen
Sie, wie der untersetzte Mann dort mit dem Ellenbogen sich Bahn bricht; es
ist ein fränkischer Kaufmann, der sein Comptoir in Stambul hat , und ungern
eine Minute verlieren will, um an seinen Arbeitstisch zu gelangen. Hier ist
ein Kind hingefallen mitten im dichtesten Getümmel; vier, fünf Menschen
schreiten eilig darüber Hinweg, ohne es aufzuheben; es schreit, erst der sechste
steht ihm bei und schiebt es zur Seite. So, nun sind wir am Fuß des Ab¬
hanges angelangt und befinden uns in der großen Straße, welche parallel
mit der die Stadt von dem Ufer abscheidenden Mauer hinläuft. Vergangenes
Jahr und 1852. wütheten hier mehre Brände. Sie ist infolge dessen zum
Theil neu aufgebaut worden. Dieser Theil liegt links, wir wenden uns rechts. -
Die Menschenmenge, welche hier im engsten Raume durcheinanderwogt, hat
kaum anderwärts ihres Gleichen. Und welches Gemisch der Costüme, der
Hautfarbe, der Nationen! Man steht türkische, französische, englische Solda¬
ten, holländische und ^amerikanische Marineinfanterie, türkische Artilleristen —
eine der buntesten militärischen Gruppen, die mir jemals vorgekommen, auf
einem Raum von zehn Schritt im Quadrat beisammen! Hier, wo die fre-
quentcste Passage ist, hat der Kleinverkauf zugleich seinen Mittelpunkt. Vor
dem Laden des Fischhändlers vorüberzukommen, wird ein Problem sein. Halten
Sie ja den Athem.an und beschränken Sie Ihren,Verbrauch von atmosphärischer
Luft auf ein Minimum, wenn Sie nicht Gefahr lausen wollen, bewußtlos in¬
folge des Geruchs einiger tausend eingepökelter Wasserbewohner zu werden,
wie mir dies im heißen Sommer vor drei Jahren beinahe begegnet wäre, als
/ich an der nämlichen Stelle vorüberging. Aber ich süße, schon nicht mehr auf
dem Pflaster, mich trägt der Menschenstrom, welcher sich durch die engste Pforte
hindurch, in welche man jemals eine Straße hineinleitete, der Brücke zuwälzt.
Hier ist es, >»o eine Bevölkerung von zweimalhunderttausend'Menschen dies¬
seits und doppelt soviel jenseits die Hauptverbindungslinie hat. So, nun
sind wir an der Mauth und am Wachhause vorüber und stehen aus der Brücke.
Wir gehen rechts an die Einnehmerbude heran, um das Brückengeld im Be¬
trage von fünf Para per Person zu entrichten, und fühlen uns glücklich, mitten
auf dem breiten, von Pontons über die Flut des goldenen Hornes hinüber¬
getragenen Fußwege wieder frei und frisch athmen zu können. Für alles aber,
was wir bis dahin ausgestanden, entschädigt uns das Panorama, die un¬
vergleichliche Aussicht vor uns, rechts, links und hinter uns. Was sind in
dieser Hinsicht alle andern Brücken der Welt im Vergleich mit dieser! Links
dehnt sich unbegrenzt der äußere oder Handelshafen aus; dreißig Dampfschiffe
im Gehen und Kommen, in dichtem Nebeneinander zur Brücke, den Bord hart


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/37>, abgerufen am 27.07.2024.