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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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haben namentlich dem Talent des Herrn Stahl unsre Anerkennung nicht
versagen können. Er ist ein glänzender Anwalt, und was er sagt, hört sich
ganz vortrefflich an. Aber wir sind doch der Ansicht, daß man ihn mit
Plumpen Händen besser bekämpft, als mit gar zu seinen, denn seine Reden
sind mit einer so außerordentlichen Fülle von Sentenzen gespickt, die eine ge¬
wisse Wahrheit, aber eben nur eine halbe Wahrheit enthalten, daß, wenn man
auf das Einzelne eingeht, man nicht leicht ein Ende finden wird. Uns kommt
es mehr darauf an, zu constatiren, wie weit sein wirklicher Einfluß geht, und
diesen scheint der Versasser zu überschätzen. In seiner dialektischen Gewandt¬
heit liegt der Einfluß gewiß nicht. Natürlich ist es seiner Partei sehr angenehm
und schmeichelhaft, ihre Interessen von einem gelehrten Manne in einer ein¬
schmeichelnden, zierlichen und gebildeten Form vertreten zu hören, aber ob der
Redner grade diese oder jene Philosophie zu Hilfe nimmt, das, was bewiesen
werden soll, zu beweisen, das wird der Partei wol ziemlich gleichgültig sein.
Herr Stahl ist ein sehr geschickter Anwalt, der ihre Ansichten vor dem Pu-
blicum auf die feinste denkbare Weise vertritt, aber er ist nicht der schöpferische
Geist der Partei. Die Partei besteht durch sich selbst und in sich selbst. Sie
wurde hervorgerufen durch die Unruhen des Jahres die vor allem den
großen Grundbesitz bedrohten. Zuerst kamen die Revolten, die alle Vermögens-
v-erhältnisse unsicher machten, dann die sogenannte constituirende Versamm¬
lung, in welcher die Kossäten über die Herren Beschlüsse fassen wollten, in
welcher sie den Adel abschafften und die Rittergüter in die Gemeinden auf¬
lösten; endlich das Ministerium Hansemann, welches erklärte, man müsse
der Reaction ins Fleisch schneiden, d. h. die Steuerfreiheit der Rittergüter
aufheben. Sobald nun die Partei von der ersten Betäubung sich wieder
soweit erholt hatte, um sich unter einer neuen Fahne zu sammeln, ging sie
bon dem Grundsatze aus, das Verderben an der Wurzel anzugreifen und
"lief, was irgend mit dem revolutionären Princip zusammenhing, constitutio-
Uelles Regiment, freie Presse, höhere Besoldung der Schullehrer u. s. w. un¬
bedingt und unerbittlich anzugreifen, weil jede Concession an den Liberalismus
"is ein Schnitt in das Fleisch der Reaction anzusehen sei. Hier fanden sich
"un thätige und in ihren Doctrinen fcstgebildete Führer, die jeden einzelnen
^'all, j" Veracht kam, nach diesem einfachen Gesichtspunkte untersuchten:
hängt er mit dem Liberalismus zusammen oder nicht? und im ersten Fall ihn
verneinten, im zweiten bejahten. Unter diesen Führern zeichnete sich vor allen
Herr von Gerlach aus, weitmehr als Herr Stahl; man kann ihm nicht ab¬
brechen, daß er niemals vor irgendeiner Konsequenz seines sehr einfachen und
^'hr handgreiflichen Princips zurückgeschreckt ist. Ein solcher Mann ist für
^Ne Partei, die von einer bestimmten Classe getragen wird "ut deren Leiden¬
schaft im Wachsen ist, ein unberechenbarer Gewinn, denn er bringt Disciplin


haben namentlich dem Talent des Herrn Stahl unsre Anerkennung nicht
versagen können. Er ist ein glänzender Anwalt, und was er sagt, hört sich
ganz vortrefflich an. Aber wir sind doch der Ansicht, daß man ihn mit
Plumpen Händen besser bekämpft, als mit gar zu seinen, denn seine Reden
sind mit einer so außerordentlichen Fülle von Sentenzen gespickt, die eine ge¬
wisse Wahrheit, aber eben nur eine halbe Wahrheit enthalten, daß, wenn man
auf das Einzelne eingeht, man nicht leicht ein Ende finden wird. Uns kommt
es mehr darauf an, zu constatiren, wie weit sein wirklicher Einfluß geht, und
diesen scheint der Versasser zu überschätzen. In seiner dialektischen Gewandt¬
heit liegt der Einfluß gewiß nicht. Natürlich ist es seiner Partei sehr angenehm
und schmeichelhaft, ihre Interessen von einem gelehrten Manne in einer ein¬
schmeichelnden, zierlichen und gebildeten Form vertreten zu hören, aber ob der
Redner grade diese oder jene Philosophie zu Hilfe nimmt, das, was bewiesen
werden soll, zu beweisen, das wird der Partei wol ziemlich gleichgültig sein.
Herr Stahl ist ein sehr geschickter Anwalt, der ihre Ansichten vor dem Pu-
blicum auf die feinste denkbare Weise vertritt, aber er ist nicht der schöpferische
Geist der Partei. Die Partei besteht durch sich selbst und in sich selbst. Sie
wurde hervorgerufen durch die Unruhen des Jahres die vor allem den
großen Grundbesitz bedrohten. Zuerst kamen die Revolten, die alle Vermögens-
v-erhältnisse unsicher machten, dann die sogenannte constituirende Versamm¬
lung, in welcher die Kossäten über die Herren Beschlüsse fassen wollten, in
welcher sie den Adel abschafften und die Rittergüter in die Gemeinden auf¬
lösten; endlich das Ministerium Hansemann, welches erklärte, man müsse
der Reaction ins Fleisch schneiden, d. h. die Steuerfreiheit der Rittergüter
aufheben. Sobald nun die Partei von der ersten Betäubung sich wieder
soweit erholt hatte, um sich unter einer neuen Fahne zu sammeln, ging sie
bon dem Grundsatze aus, das Verderben an der Wurzel anzugreifen und
"lief, was irgend mit dem revolutionären Princip zusammenhing, constitutio-
Uelles Regiment, freie Presse, höhere Besoldung der Schullehrer u. s. w. un¬
bedingt und unerbittlich anzugreifen, weil jede Concession an den Liberalismus
"is ein Schnitt in das Fleisch der Reaction anzusehen sei. Hier fanden sich
"un thätige und in ihren Doctrinen fcstgebildete Führer, die jeden einzelnen
^'all, j„ Veracht kam, nach diesem einfachen Gesichtspunkte untersuchten:
hängt er mit dem Liberalismus zusammen oder nicht? und im ersten Fall ihn
verneinten, im zweiten bejahten. Unter diesen Führern zeichnete sich vor allen
Herr von Gerlach aus, weitmehr als Herr Stahl; man kann ihm nicht ab¬
brechen, daß er niemals vor irgendeiner Konsequenz seines sehr einfachen und
^'hr handgreiflichen Princips zurückgeschreckt ist. Ein solcher Mann ist für
^Ne Partei, die von einer bestimmten Classe getragen wird »ut deren Leiden¬
schaft im Wachsen ist, ein unberechenbarer Gewinn, denn er bringt Disciplin


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[0357] haben namentlich dem Talent des Herrn Stahl unsre Anerkennung nicht versagen können. Er ist ein glänzender Anwalt, und was er sagt, hört sich ganz vortrefflich an. Aber wir sind doch der Ansicht, daß man ihn mit Plumpen Händen besser bekämpft, als mit gar zu seinen, denn seine Reden sind mit einer so außerordentlichen Fülle von Sentenzen gespickt, die eine ge¬ wisse Wahrheit, aber eben nur eine halbe Wahrheit enthalten, daß, wenn man auf das Einzelne eingeht, man nicht leicht ein Ende finden wird. Uns kommt es mehr darauf an, zu constatiren, wie weit sein wirklicher Einfluß geht, und diesen scheint der Versasser zu überschätzen. In seiner dialektischen Gewandt¬ heit liegt der Einfluß gewiß nicht. Natürlich ist es seiner Partei sehr angenehm und schmeichelhaft, ihre Interessen von einem gelehrten Manne in einer ein¬ schmeichelnden, zierlichen und gebildeten Form vertreten zu hören, aber ob der Redner grade diese oder jene Philosophie zu Hilfe nimmt, das, was bewiesen werden soll, zu beweisen, das wird der Partei wol ziemlich gleichgültig sein. Herr Stahl ist ein sehr geschickter Anwalt, der ihre Ansichten vor dem Pu- blicum auf die feinste denkbare Weise vertritt, aber er ist nicht der schöpferische Geist der Partei. Die Partei besteht durch sich selbst und in sich selbst. Sie wurde hervorgerufen durch die Unruhen des Jahres die vor allem den großen Grundbesitz bedrohten. Zuerst kamen die Revolten, die alle Vermögens- v-erhältnisse unsicher machten, dann die sogenannte constituirende Versamm¬ lung, in welcher die Kossäten über die Herren Beschlüsse fassen wollten, in welcher sie den Adel abschafften und die Rittergüter in die Gemeinden auf¬ lösten; endlich das Ministerium Hansemann, welches erklärte, man müsse der Reaction ins Fleisch schneiden, d. h. die Steuerfreiheit der Rittergüter aufheben. Sobald nun die Partei von der ersten Betäubung sich wieder soweit erholt hatte, um sich unter einer neuen Fahne zu sammeln, ging sie bon dem Grundsatze aus, das Verderben an der Wurzel anzugreifen und "lief, was irgend mit dem revolutionären Princip zusammenhing, constitutio- Uelles Regiment, freie Presse, höhere Besoldung der Schullehrer u. s. w. un¬ bedingt und unerbittlich anzugreifen, weil jede Concession an den Liberalismus "is ein Schnitt in das Fleisch der Reaction anzusehen sei. Hier fanden sich "un thätige und in ihren Doctrinen fcstgebildete Führer, die jeden einzelnen ^'all, j„ Veracht kam, nach diesem einfachen Gesichtspunkte untersuchten: hängt er mit dem Liberalismus zusammen oder nicht? und im ersten Fall ihn verneinten, im zweiten bejahten. Unter diesen Führern zeichnete sich vor allen Herr von Gerlach aus, weitmehr als Herr Stahl; man kann ihm nicht ab¬ brechen, daß er niemals vor irgendeiner Konsequenz seines sehr einfachen und ^'hr handgreiflichen Princips zurückgeschreckt ist. Ein solcher Mann ist für ^Ne Partei, die von einer bestimmten Classe getragen wird »ut deren Leiden¬ schaft im Wachsen ist, ein unberechenbarer Gewinn, denn er bringt Disciplin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/357>, abgerufen am 06.10.2024.