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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Untersuchung des russischen Militärsystems beschäftigten, weil dasselbe, wie es
in letzter Zeit sich gestaltete, insbesondere aber die Methode der Zarischen Krieg¬
führung ihren, ich möchte sagen typischen Ausdruck in ihm findet. So laug¬
sam und ängstlich, wie er selbst, so vorsichtig tastend, zu nichts Rechtem ent¬
schlossen, zuerst und zu aller Zeit an die Basis denkend, wie er selbst im Kriegsrathc
sich erwies, war sein ganzes System. ' "Eine große Macht wie Nußland,"
hörte man ihn oft sagen, "kann ausgiebig sein mit der Zeit, denn ihre Eristenz
mißt sich, in die Zukunft hinein, nach Jahrtausenden; was sie zu fürchten hat,
das ist ein Fehlschlagen, und wenn es das kleinste wäre. Darum vor allen
Dingen kein Wagniß! Schließlich wird es immer nur der Erfolg sein, den
man in Rechnung ziehen wird, und eS wird nicht viel ausmachen, ob man
denselben auf kürzerem oder weiterem Wege erreichte."

Nicht zu leugnen ist es, >daß dieses System einen gewissen Schein für sich
hatte. Aber es reichte eben nur gegen die vor fünfundzwanzig Jahren noch
unorganisirte türkische Militärmacht, gegen' das vereinzelte und einer festen,
innern, dauernden Leitung entbehrende Polen und gegen das von zwei Seiten
her gefaßte, sonst aber nirgends unterstützte Ungarn aus. Gegen den neu
formirter osmanischen Kriegsstaat hat es sich als ohnmächtig erwiesen.

Auch wir theilen zwar die Ansicht, daß der Rückgang der Russen aus der
Dobrudscha, aus Bulgarien und der Westhälfte der Walachei, theils eine
Rückwirkung des Auftretens der englisch-französischen Heeresmacht bei Varna,
theils der drohenden Stellung gewesen ist, die Oestreich im Monat Juni ein¬
zunehmen begann. Aber auch ohnedem erscheint es uns als gewiß, daß die
Zarischen Truppen in diesem Jahre nicht den Balkan überschritten, und im
darauffolgenden nicht nach Konstantinopel gelangt sein würden. Es sind das
Behauptungen, die sich nicht apodiktisch beweisen lassen, und die Zustimmung
oder Widerspruch finden werden, je nach den Ansichten, welche der Urtheilende
über den relativen Werth der Streitkräfte der widereinander engagirten Parteien
hegt. Ich stelle sie darum hier eben nur hin, ohne eine weitere Erörterung
damit zu verbinden.

Das, worauf es uns hier allein ankommt, ist dies: den Unterschied zwischen
der russisch-Schulgerechtem Operationsmethodc des Fürsten von Warschau und
einer genialen, allerdings auf Wagnisse gestellten, aber ebendarum nach großen
und entscheidenden Erfolgen zielenden Kriegführung für den Laien im Militär¬
wesen handgreiflich zu machen.

Der letzte erwähnenswerthe Führer der Schleswig - holsteinischen Armee,'
Generallieutenant von Willisen, hat sich als praktischer Soldat keinen hohen
Ruf im Felde zu erwerben gewußt. Aber als Theoretiker gebührt ihm das
Verdienst, gewisse Verhältnisse, die vom Genie von jeher durchschaut wurden,
aber den weniger Begabten sich, wie dies Regel zu sein pflegt, verbergen, ein


Untersuchung des russischen Militärsystems beschäftigten, weil dasselbe, wie es
in letzter Zeit sich gestaltete, insbesondere aber die Methode der Zarischen Krieg¬
führung ihren, ich möchte sagen typischen Ausdruck in ihm findet. So laug¬
sam und ängstlich, wie er selbst, so vorsichtig tastend, zu nichts Rechtem ent¬
schlossen, zuerst und zu aller Zeit an die Basis denkend, wie er selbst im Kriegsrathc
sich erwies, war sein ganzes System. ' „Eine große Macht wie Nußland,"
hörte man ihn oft sagen, „kann ausgiebig sein mit der Zeit, denn ihre Eristenz
mißt sich, in die Zukunft hinein, nach Jahrtausenden; was sie zu fürchten hat,
das ist ein Fehlschlagen, und wenn es das kleinste wäre. Darum vor allen
Dingen kein Wagniß! Schließlich wird es immer nur der Erfolg sein, den
man in Rechnung ziehen wird, und eS wird nicht viel ausmachen, ob man
denselben auf kürzerem oder weiterem Wege erreichte."

Nicht zu leugnen ist es, >daß dieses System einen gewissen Schein für sich
hatte. Aber es reichte eben nur gegen die vor fünfundzwanzig Jahren noch
unorganisirte türkische Militärmacht, gegen' das vereinzelte und einer festen,
innern, dauernden Leitung entbehrende Polen und gegen das von zwei Seiten
her gefaßte, sonst aber nirgends unterstützte Ungarn aus. Gegen den neu
formirter osmanischen Kriegsstaat hat es sich als ohnmächtig erwiesen.

Auch wir theilen zwar die Ansicht, daß der Rückgang der Russen aus der
Dobrudscha, aus Bulgarien und der Westhälfte der Walachei, theils eine
Rückwirkung des Auftretens der englisch-französischen Heeresmacht bei Varna,
theils der drohenden Stellung gewesen ist, die Oestreich im Monat Juni ein¬
zunehmen begann. Aber auch ohnedem erscheint es uns als gewiß, daß die
Zarischen Truppen in diesem Jahre nicht den Balkan überschritten, und im
darauffolgenden nicht nach Konstantinopel gelangt sein würden. Es sind das
Behauptungen, die sich nicht apodiktisch beweisen lassen, und die Zustimmung
oder Widerspruch finden werden, je nach den Ansichten, welche der Urtheilende
über den relativen Werth der Streitkräfte der widereinander engagirten Parteien
hegt. Ich stelle sie darum hier eben nur hin, ohne eine weitere Erörterung
damit zu verbinden.

Das, worauf es uns hier allein ankommt, ist dies: den Unterschied zwischen
der russisch-Schulgerechtem Operationsmethodc des Fürsten von Warschau und
einer genialen, allerdings auf Wagnisse gestellten, aber ebendarum nach großen
und entscheidenden Erfolgen zielenden Kriegführung für den Laien im Militär¬
wesen handgreiflich zu machen.

Der letzte erwähnenswerthe Führer der Schleswig - holsteinischen Armee,'
Generallieutenant von Willisen, hat sich als praktischer Soldat keinen hohen
Ruf im Felde zu erwerben gewußt. Aber als Theoretiker gebührt ihm das
Verdienst, gewisse Verhältnisse, die vom Genie von jeher durchschaut wurden,
aber den weniger Begabten sich, wie dies Regel zu sein pflegt, verbergen, ein


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[0332] Untersuchung des russischen Militärsystems beschäftigten, weil dasselbe, wie es in letzter Zeit sich gestaltete, insbesondere aber die Methode der Zarischen Krieg¬ führung ihren, ich möchte sagen typischen Ausdruck in ihm findet. So laug¬ sam und ängstlich, wie er selbst, so vorsichtig tastend, zu nichts Rechtem ent¬ schlossen, zuerst und zu aller Zeit an die Basis denkend, wie er selbst im Kriegsrathc sich erwies, war sein ganzes System. ' „Eine große Macht wie Nußland," hörte man ihn oft sagen, „kann ausgiebig sein mit der Zeit, denn ihre Eristenz mißt sich, in die Zukunft hinein, nach Jahrtausenden; was sie zu fürchten hat, das ist ein Fehlschlagen, und wenn es das kleinste wäre. Darum vor allen Dingen kein Wagniß! Schließlich wird es immer nur der Erfolg sein, den man in Rechnung ziehen wird, und eS wird nicht viel ausmachen, ob man denselben auf kürzerem oder weiterem Wege erreichte." Nicht zu leugnen ist es, >daß dieses System einen gewissen Schein für sich hatte. Aber es reichte eben nur gegen die vor fünfundzwanzig Jahren noch unorganisirte türkische Militärmacht, gegen' das vereinzelte und einer festen, innern, dauernden Leitung entbehrende Polen und gegen das von zwei Seiten her gefaßte, sonst aber nirgends unterstützte Ungarn aus. Gegen den neu formirter osmanischen Kriegsstaat hat es sich als ohnmächtig erwiesen. Auch wir theilen zwar die Ansicht, daß der Rückgang der Russen aus der Dobrudscha, aus Bulgarien und der Westhälfte der Walachei, theils eine Rückwirkung des Auftretens der englisch-französischen Heeresmacht bei Varna, theils der drohenden Stellung gewesen ist, die Oestreich im Monat Juni ein¬ zunehmen begann. Aber auch ohnedem erscheint es uns als gewiß, daß die Zarischen Truppen in diesem Jahre nicht den Balkan überschritten, und im darauffolgenden nicht nach Konstantinopel gelangt sein würden. Es sind das Behauptungen, die sich nicht apodiktisch beweisen lassen, und die Zustimmung oder Widerspruch finden werden, je nach den Ansichten, welche der Urtheilende über den relativen Werth der Streitkräfte der widereinander engagirten Parteien hegt. Ich stelle sie darum hier eben nur hin, ohne eine weitere Erörterung damit zu verbinden. Das, worauf es uns hier allein ankommt, ist dies: den Unterschied zwischen der russisch-Schulgerechtem Operationsmethodc des Fürsten von Warschau und einer genialen, allerdings auf Wagnisse gestellten, aber ebendarum nach großen und entscheidenden Erfolgen zielenden Kriegführung für den Laien im Militär¬ wesen handgreiflich zu machen. Der letzte erwähnenswerthe Führer der Schleswig - holsteinischen Armee,' Generallieutenant von Willisen, hat sich als praktischer Soldat keinen hohen Ruf im Felde zu erwerben gewußt. Aber als Theoretiker gebührt ihm das Verdienst, gewisse Verhältnisse, die vom Genie von jeher durchschaut wurden, aber den weniger Begabten sich, wie dies Regel zu sein pflegt, verbergen, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/332>, abgerufen am 01.09.2024.