Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

leere Namen sind, ist seiner unfähig; aber auch er ist lediglich dazu da, um
zu Besinnung, Entschluß und That uns anzuspornen; dieses Endzwecks ver¬
fehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen
Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies als Zeugniß von
unsrer Trägheit und Feigheit den sichtbaren Beweis gibt, daß wir unser Elend
verdienen."

Dann macht er auf die Eitelkeit jeder Hoffnung auf fremde Hilfe auf¬
merksam, wobei es ihm freilich einmal wieder begegnet, daß er sich anheischig
macht, die Unmöglichkeit derselben metaphysisch zu erweisen, während bereits
die nächsten vier Jahre ihn widerlegten. --

Vortrefflich und für seinen Charakter höchst ehrenwert!) ist auch die drei¬
zehnte Rede, in der bei ihrem Erscheinen von der Censur sehr stark gestrichen
wurde. Sie enthält eine sehr bittere Anklage gegen Frankreich, welches dem
deutschen Volke gegenüber stets die boshafteste und treuloseste Politik verfolgt
habe, sie spricht mit der größten Verachtung von dem Traumbild einer Universal¬
monarchie, welche freilich Fichte selbst nur drei Jahre vorher empfohlen hatte,
und geißelt die schändlichen deutschen Schriftsteller, welche dem Genie des
Eroberers huldigten, ein Tadel, von dem auch Goethe zum Theil berührt wird.
Wir sollten diese Worte in Erztafeln eingraben.


"Nein, biedre, ernste, geselle, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher
Unverstand von unsrem Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des
Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung
Mit Erstaunen aufzujauchze"; in jedem Jahrzehent sich einen neuen Maßstab der Größe zu
erzeugen und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu
preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen,
die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die
lebenden Menschen aber laßt uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!"

Aber dieser hohe patriotische Schwung der Reden und ihre wahrhaft sitt¬
liche Größe kann uns doch nicht darüber täuschen, daß ihr eigentlicher positiver
Gehalt wieder inS Romantische, oder wenn wir den andern Kunstausdruck vor¬
gehen, ins Transscendentale fällt. Fichte geht nämlich von dem ganz richtigen
Gedanken aus, daß das gegenwärtige Elend eine Folge der frühern Unsittlich-
keit sei. Um nun aber Buße dafür zu thun, schlägt er ein Mittel vor, das
so aussieht, wie die Appellation an ein Wunder. Er gibt nämlich die gegen¬
wärtige Generation als eine durch und durch verderbte vollständig auf und will
r>n neues Geschlecht künstlich heranziehen, welches dann im Laufe von andert¬
halb Jahrzehnten im Stande sein werde, die Freiheit wiederzuerobern, die
der Gegenwart versagt bleiben müsse. Zu diesem Zweck soll ein Erziehungs¬
system eingeführt werden, welches die Jugend vollständig von ihren Eltern
trennt. Wir gehen auf dieses Erziehungssystem, welches er mit Zugrund-
legung der Pestalozzischen Ideen sehr im Detail entwickelt, nicht weiter ein,


Grenzboten. III. 18si. Z9

leere Namen sind, ist seiner unfähig; aber auch er ist lediglich dazu da, um
zu Besinnung, Entschluß und That uns anzuspornen; dieses Endzwecks ver¬
fehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen
Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies als Zeugniß von
unsrer Trägheit und Feigheit den sichtbaren Beweis gibt, daß wir unser Elend
verdienen."

Dann macht er auf die Eitelkeit jeder Hoffnung auf fremde Hilfe auf¬
merksam, wobei es ihm freilich einmal wieder begegnet, daß er sich anheischig
macht, die Unmöglichkeit derselben metaphysisch zu erweisen, während bereits
die nächsten vier Jahre ihn widerlegten. —

Vortrefflich und für seinen Charakter höchst ehrenwert!) ist auch die drei¬
zehnte Rede, in der bei ihrem Erscheinen von der Censur sehr stark gestrichen
wurde. Sie enthält eine sehr bittere Anklage gegen Frankreich, welches dem
deutschen Volke gegenüber stets die boshafteste und treuloseste Politik verfolgt
habe, sie spricht mit der größten Verachtung von dem Traumbild einer Universal¬
monarchie, welche freilich Fichte selbst nur drei Jahre vorher empfohlen hatte,
und geißelt die schändlichen deutschen Schriftsteller, welche dem Genie des
Eroberers huldigten, ein Tadel, von dem auch Goethe zum Theil berührt wird.
Wir sollten diese Worte in Erztafeln eingraben.


„Nein, biedre, ernste, geselle, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher
Unverstand von unsrem Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des
Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung
Mit Erstaunen aufzujauchze»; in jedem Jahrzehent sich einen neuen Maßstab der Größe zu
erzeugen und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu
preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen,
die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die
lebenden Menschen aber laßt uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!"

Aber dieser hohe patriotische Schwung der Reden und ihre wahrhaft sitt¬
liche Größe kann uns doch nicht darüber täuschen, daß ihr eigentlicher positiver
Gehalt wieder inS Romantische, oder wenn wir den andern Kunstausdruck vor¬
gehen, ins Transscendentale fällt. Fichte geht nämlich von dem ganz richtigen
Gedanken aus, daß das gegenwärtige Elend eine Folge der frühern Unsittlich-
keit sei. Um nun aber Buße dafür zu thun, schlägt er ein Mittel vor, das
so aussieht, wie die Appellation an ein Wunder. Er gibt nämlich die gegen¬
wärtige Generation als eine durch und durch verderbte vollständig auf und will
r>n neues Geschlecht künstlich heranziehen, welches dann im Laufe von andert¬
halb Jahrzehnten im Stande sein werde, die Freiheit wiederzuerobern, die
der Gegenwart versagt bleiben müsse. Zu diesem Zweck soll ein Erziehungs¬
system eingeführt werden, welches die Jugend vollständig von ihren Eltern
trennt. Wir gehen auf dieses Erziehungssystem, welches er mit Zugrund-
legung der Pestalozzischen Ideen sehr im Detail entwickelt, nicht weiter ein,


Grenzboten. III. 18si. Z9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281464"/>
            <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> leere Namen sind, ist seiner unfähig; aber auch er ist lediglich dazu da, um<lb/>
zu Besinnung, Entschluß und That uns anzuspornen; dieses Endzwecks ver¬<lb/>
fehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen<lb/>
Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies als Zeugniß von<lb/>
unsrer Trägheit und Feigheit den sichtbaren Beweis gibt, daß wir unser Elend<lb/>
verdienen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_939"> Dann macht er auf die Eitelkeit jeder Hoffnung auf fremde Hilfe auf¬<lb/>
merksam, wobei es ihm freilich einmal wieder begegnet, daß er sich anheischig<lb/>
macht, die Unmöglichkeit derselben metaphysisch zu erweisen, während bereits<lb/>
die nächsten vier Jahre ihn widerlegten. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_940"> Vortrefflich und für seinen Charakter höchst ehrenwert!) ist auch die drei¬<lb/>
zehnte Rede, in der bei ihrem Erscheinen von der Censur sehr stark gestrichen<lb/>
wurde. Sie enthält eine sehr bittere Anklage gegen Frankreich, welches dem<lb/>
deutschen Volke gegenüber stets die boshafteste und treuloseste Politik verfolgt<lb/>
habe, sie spricht mit der größten Verachtung von dem Traumbild einer Universal¬<lb/>
monarchie, welche freilich Fichte selbst nur drei Jahre vorher empfohlen hatte,<lb/>
und geißelt die schändlichen deutschen Schriftsteller, welche dem Genie des<lb/>
Eroberers huldigten, ein Tadel, von dem auch Goethe zum Theil berührt wird.<lb/>
Wir sollten diese Worte in Erztafeln eingraben.</p><lb/>
            <quote> &#x201E;Nein, biedre, ernste, geselle, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher<lb/>
Unverstand von unsrem Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des<lb/>
Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung<lb/>
Mit Erstaunen aufzujauchze»; in jedem Jahrzehent sich einen neuen Maßstab der Größe zu<lb/>
erzeugen und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu<lb/>
preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen,<lb/>
die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die<lb/>
lebenden Menschen aber laßt uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!"</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_941" next="#ID_942"> Aber dieser hohe patriotische Schwung der Reden und ihre wahrhaft sitt¬<lb/>
liche Größe kann uns doch nicht darüber täuschen, daß ihr eigentlicher positiver<lb/>
Gehalt wieder inS Romantische, oder wenn wir den andern Kunstausdruck vor¬<lb/>
gehen, ins Transscendentale fällt. Fichte geht nämlich von dem ganz richtigen<lb/>
Gedanken aus, daß das gegenwärtige Elend eine Folge der frühern Unsittlich-<lb/>
keit sei. Um nun aber Buße dafür zu thun, schlägt er ein Mittel vor, das<lb/>
so aussieht, wie die Appellation an ein Wunder. Er gibt nämlich die gegen¬<lb/>
wärtige Generation als eine durch und durch verderbte vollständig auf und will<lb/>
r&gt;n neues Geschlecht künstlich heranziehen, welches dann im Laufe von andert¬<lb/>
halb Jahrzehnten im Stande sein werde, die Freiheit wiederzuerobern, die<lb/>
der Gegenwart versagt bleiben müsse. Zu diesem Zweck soll ein Erziehungs¬<lb/>
system eingeführt werden, welches die Jugend vollständig von ihren Eltern<lb/>
trennt. Wir gehen auf dieses Erziehungssystem, welches er mit Zugrund-<lb/>
legung der Pestalozzischen Ideen sehr im Detail entwickelt, nicht weiter ein,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18si. Z9</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] leere Namen sind, ist seiner unfähig; aber auch er ist lediglich dazu da, um zu Besinnung, Entschluß und That uns anzuspornen; dieses Endzwecks ver¬ fehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies als Zeugniß von unsrer Trägheit und Feigheit den sichtbaren Beweis gibt, daß wir unser Elend verdienen." Dann macht er auf die Eitelkeit jeder Hoffnung auf fremde Hilfe auf¬ merksam, wobei es ihm freilich einmal wieder begegnet, daß er sich anheischig macht, die Unmöglichkeit derselben metaphysisch zu erweisen, während bereits die nächsten vier Jahre ihn widerlegten. — Vortrefflich und für seinen Charakter höchst ehrenwert!) ist auch die drei¬ zehnte Rede, in der bei ihrem Erscheinen von der Censur sehr stark gestrichen wurde. Sie enthält eine sehr bittere Anklage gegen Frankreich, welches dem deutschen Volke gegenüber stets die boshafteste und treuloseste Politik verfolgt habe, sie spricht mit der größten Verachtung von dem Traumbild einer Universal¬ monarchie, welche freilich Fichte selbst nur drei Jahre vorher empfohlen hatte, und geißelt die schändlichen deutschen Schriftsteller, welche dem Genie des Eroberers huldigten, ein Tadel, von dem auch Goethe zum Theil berührt wird. Wir sollten diese Worte in Erztafeln eingraben. „Nein, biedre, ernste, geselle, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher Unverstand von unsrem Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer, zum Ausdrucke des Wahren gebildeten Sprache! Ueberlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung Mit Erstaunen aufzujauchze»; in jedem Jahrzehent sich einen neuen Maßstab der Größe zu erzeugen und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die lebenden Menschen aber laßt uns das Urtheil der richtenden Nachwelt überlassen!" Aber dieser hohe patriotische Schwung der Reden und ihre wahrhaft sitt¬ liche Größe kann uns doch nicht darüber täuschen, daß ihr eigentlicher positiver Gehalt wieder inS Romantische, oder wenn wir den andern Kunstausdruck vor¬ gehen, ins Transscendentale fällt. Fichte geht nämlich von dem ganz richtigen Gedanken aus, daß das gegenwärtige Elend eine Folge der frühern Unsittlich- keit sei. Um nun aber Buße dafür zu thun, schlägt er ein Mittel vor, das so aussieht, wie die Appellation an ein Wunder. Er gibt nämlich die gegen¬ wärtige Generation als eine durch und durch verderbte vollständig auf und will r>n neues Geschlecht künstlich heranziehen, welches dann im Laufe von andert¬ halb Jahrzehnten im Stande sein werde, die Freiheit wiederzuerobern, die der Gegenwart versagt bleiben müsse. Zu diesem Zweck soll ein Erziehungs¬ system eingeführt werden, welches die Jugend vollständig von ihren Eltern trennt. Wir gehen auf dieses Erziehungssystem, welches er mit Zugrund- legung der Pestalozzischen Ideen sehr im Detail entwickelt, nicht weiter ein, Grenzboten. III. 18si. Z9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/313>, abgerufen am 01.09.2024.