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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zunächst gehört, d. h. der Nation voraus. Der Glaube des Menschen an
seine Fortdauer auf Erden gründe sich auf den Glauben an die Fortdauer
seiner Nation. -- Unter allen Nationen habe aber keine eine so große Ursache,
schon um des allgemeinen Weltplans willen für ihre eigne Erhaltung zu sorgen,
als die deutsche. Der Untergang des deutschen Volkes würde der Untergang
der Cultur sein. Freilich ein sehr schlimmer Rechnungsfehler, den der Fichtesche
Gott in diesem Fall begangen haben würde! Die Deutschen seien das Volk
der Ideen, der Gesichte, des Uebersinnlichen, sie hätten noch den ursprünglichen
Schatz ihres Geistes in lebendiger Tradition bewahrt und wären daher lebens-
und bildungsfähig, während alle romanischen Völker diesen Schatz verloren
hätten und daher das Heilige und Uebersinnliche in einer ihnen ursprünglich
fremden und unverständlichen Sprache suchen müßten. DaS Leben der romani¬
schen Völker sei also ein unfruchtbares und todtes. Die weitere Entwicklung
dieses Gegensatzes, der beiläufig in unsren Tagen wieder sehr in die Mode
gekommen ist, enthält zwar viele sehr geistreiche, aber doch nur halb wahre
Bemerkungen. Es ist aber erfreulich, wie diesmal der bedeutendste Ausdruck
des deutschen Geistes die Reformation, in ihrer tieferen Bedeutung aufgefaßt wird.*)
Wie in den Grundzügen ist auch diesmal die metaphysische Einkleidung
für uns nur Zierrath. Die Hauptsache ist die kühne, warme und seelenvolle
Auffassung der augenblicklichen Lage. Schon der Anfang ist hinreißend, na¬
mentlich wenn man die äußern Umstände, unter denen diese Reden gehalten
wurden, in Erwägung zieht. Fichte erklärt, sich an die gesammte Nation
wenden zu wollen, die er bereits als ein Ganzes betrachtet. "Ich setze ferner
solche deutsche Zuhörn voraus," fährt er dann fort, "welche nicht etwa mit
allem, was sie sind, rein aufgehen in dem Gefühle des Schmerzes über den
erlittenen Verlust, und in diesem Schmerze sich Wohlgefallen und an ihrer Un¬
tröstlichkeit sich weiden, und durch dieses Gefühl sich abzufinden gedenken mit
der an sie ergehenden Aufforderung zur That; sondern solche, die selbst über
diesen gerechten Schmerz zu klarer Besonnenheit und Betrachtung sich hat>o"
erhoben haben, oder wenigstens fähig sind, sich dazu zu erheben. Ich kenne
jenen Schmerz, ich habe ihn gefühlt wie einer, ich ehre ihn; die Dumpfheit,
welche zufrieden ist, wenn sie Speise und Trank findet und kein körperlicher
Schmerz ihr zugefügt wird, und für welche Ehre, Freiheit, Selbstständigkeit



"> "Aber Luther ergriff el" allmächtiger Alttrieb , die Angst um das ewige Heil, "ut
dieser ward das Leben i" seinem Leben, nud setzte immerfort das Letzte i" die Wage, und ga
ihm die Kraft und die Gaben, die die Nachwelt bewundert. Mögen andere bei der Reformation
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gestanden, der durch das Ewige begeistert wurde; daß dieser, der üumcrfvrt das Heil aller M>^
sterbliche" Seelen auf dem Spiel stehe" sah, allen Ernstes allen Teufeln in der Hölle furcht
los entgegenging, ist natürlich und durchaus kein Wunder. Dies ist nun ein Beleg vom deutsche"
Ernst und deutschen Gemüth." --,

zunächst gehört, d. h. der Nation voraus. Der Glaube des Menschen an
seine Fortdauer auf Erden gründe sich auf den Glauben an die Fortdauer
seiner Nation. — Unter allen Nationen habe aber keine eine so große Ursache,
schon um des allgemeinen Weltplans willen für ihre eigne Erhaltung zu sorgen,
als die deutsche. Der Untergang des deutschen Volkes würde der Untergang
der Cultur sein. Freilich ein sehr schlimmer Rechnungsfehler, den der Fichtesche
Gott in diesem Fall begangen haben würde! Die Deutschen seien das Volk
der Ideen, der Gesichte, des Uebersinnlichen, sie hätten noch den ursprünglichen
Schatz ihres Geistes in lebendiger Tradition bewahrt und wären daher lebens-
und bildungsfähig, während alle romanischen Völker diesen Schatz verloren
hätten und daher das Heilige und Uebersinnliche in einer ihnen ursprünglich
fremden und unverständlichen Sprache suchen müßten. DaS Leben der romani¬
schen Völker sei also ein unfruchtbares und todtes. Die weitere Entwicklung
dieses Gegensatzes, der beiläufig in unsren Tagen wieder sehr in die Mode
gekommen ist, enthält zwar viele sehr geistreiche, aber doch nur halb wahre
Bemerkungen. Es ist aber erfreulich, wie diesmal der bedeutendste Ausdruck
des deutschen Geistes die Reformation, in ihrer tieferen Bedeutung aufgefaßt wird.*)
Wie in den Grundzügen ist auch diesmal die metaphysische Einkleidung
für uns nur Zierrath. Die Hauptsache ist die kühne, warme und seelenvolle
Auffassung der augenblicklichen Lage. Schon der Anfang ist hinreißend, na¬
mentlich wenn man die äußern Umstände, unter denen diese Reden gehalten
wurden, in Erwägung zieht. Fichte erklärt, sich an die gesammte Nation
wenden zu wollen, die er bereits als ein Ganzes betrachtet. „Ich setze ferner
solche deutsche Zuhörn voraus," fährt er dann fort, „welche nicht etwa mit
allem, was sie sind, rein aufgehen in dem Gefühle des Schmerzes über den
erlittenen Verlust, und in diesem Schmerze sich Wohlgefallen und an ihrer Un¬
tröstlichkeit sich weiden, und durch dieses Gefühl sich abzufinden gedenken mit
der an sie ergehenden Aufforderung zur That; sondern solche, die selbst über
diesen gerechten Schmerz zu klarer Besonnenheit und Betrachtung sich hat>o"
erhoben haben, oder wenigstens fähig sind, sich dazu zu erheben. Ich kenne
jenen Schmerz, ich habe ihn gefühlt wie einer, ich ehre ihn; die Dumpfheit,
welche zufrieden ist, wenn sie Speise und Trank findet und kein körperlicher
Schmerz ihr zugefügt wird, und für welche Ehre, Freiheit, Selbstständigkeit



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los entgegenging, ist natürlich und durchaus kein Wunder. Dies ist nun ein Beleg vom deutsche»
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/312>, abgerufen am 01.09.2024.