Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gebunden. Er folgte dem Hofe nach Königsberg, wo er namentlich von dem
Minister Schroeter sehr warm aufgenommen wurde und wo er mit Scheffner,
Fouqui, Schenkenvorf, also einer neuen Phase der Romantik, in intime Ver¬
hältnisse trat. In die "Vesta" des letzteren schrieb er 1807, seinen Aussatz
über Macchiavelli, Er suchte die räthselhaften Widersprüche in den Reden
und in dein Leben dieses Staatsmannes dadurch zu erklären, daß er in seiner
Seele ein leitendes Princip fand, die Idee der Befreiung Italiens von den
Barbaren, welche auch durch die entsetzlichsten Mittel, durch den raffinirtesten
Despotismus einheimischer Fürsten angestrebt werden müsse. Es liegt aus
der Hand, daß Fichte mit diesem Aufsatz nicht grade eine historische Kritik
beabsichtigte, daß er vielmehr eine politische Parallele aufstellen wollte. Der
Aufsatz erinnert an die "Hermannsschlacht" Heinrichs von Kleist.

Nach Abschluß des Friedens kehrte er über Kopenhagen nach Berlin zu¬
rück, wo man die Idee einer neu zu errichtenden Universität wieder lebhaft
aufnahm. Hier finden wir ihn zuerst, wenn auch nur kurze Zeit, in einem
genauen Verkehr mit Johannes von Müller, den er dem preußischen Staate
Zu erhalten sich vergebens bemühte. Die Charakterschwäche und Haltlosigkeit dieses
geistvollen Mannes, die ein ruhmvolles Leben zu einem so traurigen Ende
führte, scheint er nicht durchschaut zu haben. Er hielt ihn für einen wahren
Patrioten, wie denn überhaupt der Patriotismus jetzt das herrschende Moment
seiner Gesinnung wurde. Das glänzendste, wenn auch seltsame Product dieses
Patriotismus, das in der gesammten Literatur der Freiheitskriege nicht seines
Gleichen hat, waren seine Reden an die deutsche Nation, die er im
Winter 1807--8 vor einem zahlreichen und auserlesenen Publicum hielt, in einer
Zeit, wo die französischen Behörden alle Versuche, dem öffentlichen Geiste eine
Neue Anregung zu geben, auf das ängstlichste überwachten.

Die Reden knüpfen unmittelbar an die "Grundzüge" an, und es macht
e>nen halb komischen, halb rührenden Eindruck, daß Fichte den wahren Sinn
derselben vergessen hat. Er erklärt, daß die Zeit mit Riesenschritten weiter¬
gehe. In den wenig Jahren, die seitdem verflossen, sei die Menschheit aus
dem dritten in das vierte Zeitalter getreten. Man habe die Uuseligkeit und
^nsittlichkeit des egoistischen Princips eingesehen und sich überzeugt, daß man
Nach Ideen leben müsse. Soweit würde alles übereinstimmen. Aber alö die
"lächtuiste Idee für die Erhebung des Menschengeschlechts stellt er diesmal das
Gegentheil von dem dar, was er in den Grundzügen gepredigt hatte, nämlich
die Vaterlandsliebe. Dies ist der Inhalt der achten Rede, unzweifelhaft eines
der größten Meisterstücke der deutschen Beredsamkeit. Als den wesentlichen
Trieb des Menschen stellt er dar, den Himmel auf Erden zu finden, das Un¬
vergängliche im Zeitlichen zu pflanzen und zu erziehen. Dieser Trieb setzt aber
den Glauben an das wirkliche Leben des individuellen Ganzen, zu dem man


gebunden. Er folgte dem Hofe nach Königsberg, wo er namentlich von dem
Minister Schroeter sehr warm aufgenommen wurde und wo er mit Scheffner,
Fouqui, Schenkenvorf, also einer neuen Phase der Romantik, in intime Ver¬
hältnisse trat. In die „Vesta" des letzteren schrieb er 1807, seinen Aussatz
über Macchiavelli, Er suchte die räthselhaften Widersprüche in den Reden
und in dein Leben dieses Staatsmannes dadurch zu erklären, daß er in seiner
Seele ein leitendes Princip fand, die Idee der Befreiung Italiens von den
Barbaren, welche auch durch die entsetzlichsten Mittel, durch den raffinirtesten
Despotismus einheimischer Fürsten angestrebt werden müsse. Es liegt aus
der Hand, daß Fichte mit diesem Aufsatz nicht grade eine historische Kritik
beabsichtigte, daß er vielmehr eine politische Parallele aufstellen wollte. Der
Aufsatz erinnert an die „Hermannsschlacht" Heinrichs von Kleist.

Nach Abschluß des Friedens kehrte er über Kopenhagen nach Berlin zu¬
rück, wo man die Idee einer neu zu errichtenden Universität wieder lebhaft
aufnahm. Hier finden wir ihn zuerst, wenn auch nur kurze Zeit, in einem
genauen Verkehr mit Johannes von Müller, den er dem preußischen Staate
Zu erhalten sich vergebens bemühte. Die Charakterschwäche und Haltlosigkeit dieses
geistvollen Mannes, die ein ruhmvolles Leben zu einem so traurigen Ende
führte, scheint er nicht durchschaut zu haben. Er hielt ihn für einen wahren
Patrioten, wie denn überhaupt der Patriotismus jetzt das herrschende Moment
seiner Gesinnung wurde. Das glänzendste, wenn auch seltsame Product dieses
Patriotismus, das in der gesammten Literatur der Freiheitskriege nicht seines
Gleichen hat, waren seine Reden an die deutsche Nation, die er im
Winter 1807—8 vor einem zahlreichen und auserlesenen Publicum hielt, in einer
Zeit, wo die französischen Behörden alle Versuche, dem öffentlichen Geiste eine
Neue Anregung zu geben, auf das ängstlichste überwachten.

Die Reden knüpfen unmittelbar an die „Grundzüge" an, und es macht
e>nen halb komischen, halb rührenden Eindruck, daß Fichte den wahren Sinn
derselben vergessen hat. Er erklärt, daß die Zeit mit Riesenschritten weiter¬
gehe. In den wenig Jahren, die seitdem verflossen, sei die Menschheit aus
dem dritten in das vierte Zeitalter getreten. Man habe die Uuseligkeit und
^nsittlichkeit des egoistischen Princips eingesehen und sich überzeugt, daß man
Nach Ideen leben müsse. Soweit würde alles übereinstimmen. Aber alö die
»lächtuiste Idee für die Erhebung des Menschengeschlechts stellt er diesmal das
Gegentheil von dem dar, was er in den Grundzügen gepredigt hatte, nämlich
die Vaterlandsliebe. Dies ist der Inhalt der achten Rede, unzweifelhaft eines
der größten Meisterstücke der deutschen Beredsamkeit. Als den wesentlichen
Trieb des Menschen stellt er dar, den Himmel auf Erden zu finden, das Un¬
vergängliche im Zeitlichen zu pflanzen und zu erziehen. Dieser Trieb setzt aber
den Glauben an das wirkliche Leben des individuellen Ganzen, zu dem man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281462"/>
            <p xml:id="ID_934" prev="#ID_933"> gebunden. Er folgte dem Hofe nach Königsberg, wo er namentlich von dem<lb/>
Minister Schroeter sehr warm aufgenommen wurde und wo er mit Scheffner,<lb/>
Fouqui, Schenkenvorf, also einer neuen Phase der Romantik, in intime Ver¬<lb/>
hältnisse trat. In die &#x201E;Vesta" des letzteren schrieb er 1807, seinen Aussatz<lb/>
über Macchiavelli, Er suchte die räthselhaften Widersprüche in den Reden<lb/>
und in dein Leben dieses Staatsmannes dadurch zu erklären, daß er in seiner<lb/>
Seele ein leitendes Princip fand, die Idee der Befreiung Italiens von den<lb/>
Barbaren, welche auch durch die entsetzlichsten Mittel, durch den raffinirtesten<lb/>
Despotismus einheimischer Fürsten angestrebt werden müsse. Es liegt aus<lb/>
der Hand, daß Fichte mit diesem Aufsatz nicht grade eine historische Kritik<lb/>
beabsichtigte, daß er vielmehr eine politische Parallele aufstellen wollte. Der<lb/>
Aufsatz erinnert an die &#x201E;Hermannsschlacht" Heinrichs von Kleist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_935"> Nach Abschluß des Friedens kehrte er über Kopenhagen nach Berlin zu¬<lb/>
rück, wo man die Idee einer neu zu errichtenden Universität wieder lebhaft<lb/>
aufnahm. Hier finden wir ihn zuerst, wenn auch nur kurze Zeit, in einem<lb/>
genauen Verkehr mit Johannes von Müller, den er dem preußischen Staate<lb/>
Zu erhalten sich vergebens bemühte. Die Charakterschwäche und Haltlosigkeit dieses<lb/>
geistvollen Mannes, die ein ruhmvolles Leben zu einem so traurigen Ende<lb/>
führte, scheint er nicht durchschaut zu haben. Er hielt ihn für einen wahren<lb/>
Patrioten, wie denn überhaupt der Patriotismus jetzt das herrschende Moment<lb/>
seiner Gesinnung wurde. Das glänzendste, wenn auch seltsame Product dieses<lb/>
Patriotismus, das in der gesammten Literatur der Freiheitskriege nicht seines<lb/>
Gleichen hat, waren seine Reden an die deutsche Nation, die er im<lb/>
Winter 1807&#x2014;8 vor einem zahlreichen und auserlesenen Publicum hielt, in einer<lb/>
Zeit, wo die französischen Behörden alle Versuche, dem öffentlichen Geiste eine<lb/>
Neue Anregung zu geben, auf das ängstlichste überwachten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Die Reden knüpfen unmittelbar an die &#x201E;Grundzüge" an, und es macht<lb/>
e&gt;nen halb komischen, halb rührenden Eindruck, daß Fichte den wahren Sinn<lb/>
derselben vergessen hat. Er erklärt, daß die Zeit mit Riesenschritten weiter¬<lb/>
gehe. In den wenig Jahren, die seitdem verflossen, sei die Menschheit aus<lb/>
dem dritten in das vierte Zeitalter getreten. Man habe die Uuseligkeit und<lb/>
^nsittlichkeit des egoistischen Princips eingesehen und sich überzeugt, daß man<lb/>
Nach Ideen leben müsse. Soweit würde alles übereinstimmen. Aber alö die<lb/>
»lächtuiste Idee für die Erhebung des Menschengeschlechts stellt er diesmal das<lb/>
Gegentheil von dem dar, was er in den Grundzügen gepredigt hatte, nämlich<lb/>
die Vaterlandsliebe. Dies ist der Inhalt der achten Rede, unzweifelhaft eines<lb/>
der größten Meisterstücke der deutschen Beredsamkeit. Als den wesentlichen<lb/>
Trieb des Menschen stellt er dar, den Himmel auf Erden zu finden, das Un¬<lb/>
vergängliche im Zeitlichen zu pflanzen und zu erziehen. Dieser Trieb setzt aber<lb/>
den Glauben an das wirkliche Leben des individuellen Ganzen, zu dem man</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] gebunden. Er folgte dem Hofe nach Königsberg, wo er namentlich von dem Minister Schroeter sehr warm aufgenommen wurde und wo er mit Scheffner, Fouqui, Schenkenvorf, also einer neuen Phase der Romantik, in intime Ver¬ hältnisse trat. In die „Vesta" des letzteren schrieb er 1807, seinen Aussatz über Macchiavelli, Er suchte die räthselhaften Widersprüche in den Reden und in dein Leben dieses Staatsmannes dadurch zu erklären, daß er in seiner Seele ein leitendes Princip fand, die Idee der Befreiung Italiens von den Barbaren, welche auch durch die entsetzlichsten Mittel, durch den raffinirtesten Despotismus einheimischer Fürsten angestrebt werden müsse. Es liegt aus der Hand, daß Fichte mit diesem Aufsatz nicht grade eine historische Kritik beabsichtigte, daß er vielmehr eine politische Parallele aufstellen wollte. Der Aufsatz erinnert an die „Hermannsschlacht" Heinrichs von Kleist. Nach Abschluß des Friedens kehrte er über Kopenhagen nach Berlin zu¬ rück, wo man die Idee einer neu zu errichtenden Universität wieder lebhaft aufnahm. Hier finden wir ihn zuerst, wenn auch nur kurze Zeit, in einem genauen Verkehr mit Johannes von Müller, den er dem preußischen Staate Zu erhalten sich vergebens bemühte. Die Charakterschwäche und Haltlosigkeit dieses geistvollen Mannes, die ein ruhmvolles Leben zu einem so traurigen Ende führte, scheint er nicht durchschaut zu haben. Er hielt ihn für einen wahren Patrioten, wie denn überhaupt der Patriotismus jetzt das herrschende Moment seiner Gesinnung wurde. Das glänzendste, wenn auch seltsame Product dieses Patriotismus, das in der gesammten Literatur der Freiheitskriege nicht seines Gleichen hat, waren seine Reden an die deutsche Nation, die er im Winter 1807—8 vor einem zahlreichen und auserlesenen Publicum hielt, in einer Zeit, wo die französischen Behörden alle Versuche, dem öffentlichen Geiste eine Neue Anregung zu geben, auf das ängstlichste überwachten. Die Reden knüpfen unmittelbar an die „Grundzüge" an, und es macht e>nen halb komischen, halb rührenden Eindruck, daß Fichte den wahren Sinn derselben vergessen hat. Er erklärt, daß die Zeit mit Riesenschritten weiter¬ gehe. In den wenig Jahren, die seitdem verflossen, sei die Menschheit aus dem dritten in das vierte Zeitalter getreten. Man habe die Uuseligkeit und ^nsittlichkeit des egoistischen Princips eingesehen und sich überzeugt, daß man Nach Ideen leben müsse. Soweit würde alles übereinstimmen. Aber alö die »lächtuiste Idee für die Erhebung des Menschengeschlechts stellt er diesmal das Gegentheil von dem dar, was er in den Grundzügen gepredigt hatte, nämlich die Vaterlandsliebe. Dies ist der Inhalt der achten Rede, unzweifelhaft eines der größten Meisterstücke der deutschen Beredsamkeit. Als den wesentlichen Trieb des Menschen stellt er dar, den Himmel auf Erden zu finden, das Un¬ vergängliche im Zeitlichen zu pflanzen und zu erziehen. Dieser Trieb setzt aber den Glauben an das wirkliche Leben des individuellen Ganzen, zu dem man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/311>, abgerufen am 01.09.2024.