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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ristische Methode viel näher stand, als Fichte, im allgemeinen doch mehr zu
Fichte hielten. Schellina. ging ihnen zu sehr ins Stoffliche und störte jene
Freiheit der Ironie, deren Berechtigung sie freilich durch einen nicht ganz cor-
recten Proceß aus Fichtes Idealismus hergeleitet hatten.

Wenn man von dieser Polemik absieht, so macht Fichtes Wirken in dieser
neuen Periode einen wohlthuenden Eindruck. Es war wie bei seinem ersten
Auftreten in Jena. Die bedeutendsten Männer kamen ihm befreundet entgegen,
seine Autorität in der guten Gesellschaft war sichergestellt, selbst den Frauen
erschien sein stolzes und strenges Denken nicht mehr abstoßend, wie wir bereits
an dem Beispiel Nabels gezeigt haben, wie es aber auch die Schriften der
Frau von Stavl bezeichnen, die sich -1804 von August Wilhelm Schlegel in
Berlin orientiren ließ, nachdem sie vorher Weimar und Jena, die ersten Pflanz¬
schulen der deutschen Literatur, heimgesucht hatte. Am engsten schloß sich
Bernhard!, der geistvolle Philolog, der durch seine Bambocciaden sich der
Romantik zugesellt hatte, an ihn an. Mit Schlegel, Tieck, Jean Paul, Wolt-
mann, Reichardt und anderen blieb er in fortwährender Beziehung. Die Vor¬
lesungen über das Wesen des Gelehrten, die er während eines Sommer¬
aufenthalts in Erlangen 1803 hielt, wirken, abgesehen von dem tiefen und
bedeutenden Inhalt, wohlthuend durch die warme Begeisterung für die
Wissenschaft, aus der auch die wahre Heiligung des Lebens hervorgehen sollte,
Und die Vorlesungen über die "Anweisung zum seligen Leben", die er
1806 in Berlin hielt, leiden zwar an einer gewissen rhetorischen Breite und
einer stoffloser Erbaulichkeit, aber sie erheben wenigstens den Begriff der starren
Gesetzlichkeit, den er bisher ausschließlich gepredigt hatte, zu der Idee deS le¬
bendigen Glaubens, der, indem er das Individuum vollständig für die Zwecke
der Menschheit gefangennahm, ihm zugleich eine Sphäre seliger Befriedigung
eröffnete. Die Religion soll zwar, und darin stimmt er mit Schleiermacher
überein, den Pflichten keinen neuen Inhalt hinzufügen, aber sie soll den Men¬
schen in sich selbst vollenden, ihn über die Zeit erheben und ihm ewiges Leben
verleihen. Leben, Seligkeit und Ewigkeit sind ihm identische Begriffe. -- Man
hat in diesen Darstellungen eine Abweichung von, seinen früheren Ansichten
sinden wollen, und er selbst hat geglaubt, sich gegen die Anklage des Mysti¬
cismus rechtfertigen zu müssen. Allein diese Abweichung liegt doch nur im
Ausdruck. Was er Leben, Ewigkeit und Seligkeit nennt, ist nur jene Ver¬
tiefung der unheiligen individuellen Existenz in den Ocean der Gattung, den
°r in allen seinen Schriften predigte. Interessant ist nur, daß er diese Ideen
historischen Christenthum wiederfindet und seine Auffassung des Johanneischen
Christus verdient noch immer die Beachtung der Neligionsfreunde.


Er ist nicht in'n irgend einer speculative" Frage ausgegangen, denn er erklärt durch sein
^ligimiSpnncip schlechthin nichts in der Welt, sondern trägt ganz allen, und ganz rein nur

ristische Methode viel näher stand, als Fichte, im allgemeinen doch mehr zu
Fichte hielten. Schellina. ging ihnen zu sehr ins Stoffliche und störte jene
Freiheit der Ironie, deren Berechtigung sie freilich durch einen nicht ganz cor-
recten Proceß aus Fichtes Idealismus hergeleitet hatten.

Wenn man von dieser Polemik absieht, so macht Fichtes Wirken in dieser
neuen Periode einen wohlthuenden Eindruck. Es war wie bei seinem ersten
Auftreten in Jena. Die bedeutendsten Männer kamen ihm befreundet entgegen,
seine Autorität in der guten Gesellschaft war sichergestellt, selbst den Frauen
erschien sein stolzes und strenges Denken nicht mehr abstoßend, wie wir bereits
an dem Beispiel Nabels gezeigt haben, wie es aber auch die Schriften der
Frau von Stavl bezeichnen, die sich -1804 von August Wilhelm Schlegel in
Berlin orientiren ließ, nachdem sie vorher Weimar und Jena, die ersten Pflanz¬
schulen der deutschen Literatur, heimgesucht hatte. Am engsten schloß sich
Bernhard!, der geistvolle Philolog, der durch seine Bambocciaden sich der
Romantik zugesellt hatte, an ihn an. Mit Schlegel, Tieck, Jean Paul, Wolt-
mann, Reichardt und anderen blieb er in fortwährender Beziehung. Die Vor¬
lesungen über das Wesen des Gelehrten, die er während eines Sommer¬
aufenthalts in Erlangen 1803 hielt, wirken, abgesehen von dem tiefen und
bedeutenden Inhalt, wohlthuend durch die warme Begeisterung für die
Wissenschaft, aus der auch die wahre Heiligung des Lebens hervorgehen sollte,
Und die Vorlesungen über die „Anweisung zum seligen Leben", die er
1806 in Berlin hielt, leiden zwar an einer gewissen rhetorischen Breite und
einer stoffloser Erbaulichkeit, aber sie erheben wenigstens den Begriff der starren
Gesetzlichkeit, den er bisher ausschließlich gepredigt hatte, zu der Idee deS le¬
bendigen Glaubens, der, indem er das Individuum vollständig für die Zwecke
der Menschheit gefangennahm, ihm zugleich eine Sphäre seliger Befriedigung
eröffnete. Die Religion soll zwar, und darin stimmt er mit Schleiermacher
überein, den Pflichten keinen neuen Inhalt hinzufügen, aber sie soll den Men¬
schen in sich selbst vollenden, ihn über die Zeit erheben und ihm ewiges Leben
verleihen. Leben, Seligkeit und Ewigkeit sind ihm identische Begriffe. — Man
hat in diesen Darstellungen eine Abweichung von, seinen früheren Ansichten
sinden wollen, und er selbst hat geglaubt, sich gegen die Anklage des Mysti¬
cismus rechtfertigen zu müssen. Allein diese Abweichung liegt doch nur im
Ausdruck. Was er Leben, Ewigkeit und Seligkeit nennt, ist nur jene Ver¬
tiefung der unheiligen individuellen Existenz in den Ocean der Gattung, den
°r in allen seinen Schriften predigte. Interessant ist nur, daß er diese Ideen
historischen Christenthum wiederfindet und seine Auffassung des Johanneischen
Christus verdient noch immer die Beachtung der Neligionsfreunde.


Er ist nicht in'n irgend einer speculative» Frage ausgegangen, denn er erklärt durch sein
^ligimiSpnncip schlechthin nichts in der Welt, sondern trägt ganz allen, und ganz rein nur

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[0309] ristische Methode viel näher stand, als Fichte, im allgemeinen doch mehr zu Fichte hielten. Schellina. ging ihnen zu sehr ins Stoffliche und störte jene Freiheit der Ironie, deren Berechtigung sie freilich durch einen nicht ganz cor- recten Proceß aus Fichtes Idealismus hergeleitet hatten. Wenn man von dieser Polemik absieht, so macht Fichtes Wirken in dieser neuen Periode einen wohlthuenden Eindruck. Es war wie bei seinem ersten Auftreten in Jena. Die bedeutendsten Männer kamen ihm befreundet entgegen, seine Autorität in der guten Gesellschaft war sichergestellt, selbst den Frauen erschien sein stolzes und strenges Denken nicht mehr abstoßend, wie wir bereits an dem Beispiel Nabels gezeigt haben, wie es aber auch die Schriften der Frau von Stavl bezeichnen, die sich -1804 von August Wilhelm Schlegel in Berlin orientiren ließ, nachdem sie vorher Weimar und Jena, die ersten Pflanz¬ schulen der deutschen Literatur, heimgesucht hatte. Am engsten schloß sich Bernhard!, der geistvolle Philolog, der durch seine Bambocciaden sich der Romantik zugesellt hatte, an ihn an. Mit Schlegel, Tieck, Jean Paul, Wolt- mann, Reichardt und anderen blieb er in fortwährender Beziehung. Die Vor¬ lesungen über das Wesen des Gelehrten, die er während eines Sommer¬ aufenthalts in Erlangen 1803 hielt, wirken, abgesehen von dem tiefen und bedeutenden Inhalt, wohlthuend durch die warme Begeisterung für die Wissenschaft, aus der auch die wahre Heiligung des Lebens hervorgehen sollte, Und die Vorlesungen über die „Anweisung zum seligen Leben", die er 1806 in Berlin hielt, leiden zwar an einer gewissen rhetorischen Breite und einer stoffloser Erbaulichkeit, aber sie erheben wenigstens den Begriff der starren Gesetzlichkeit, den er bisher ausschließlich gepredigt hatte, zu der Idee deS le¬ bendigen Glaubens, der, indem er das Individuum vollständig für die Zwecke der Menschheit gefangennahm, ihm zugleich eine Sphäre seliger Befriedigung eröffnete. Die Religion soll zwar, und darin stimmt er mit Schleiermacher überein, den Pflichten keinen neuen Inhalt hinzufügen, aber sie soll den Men¬ schen in sich selbst vollenden, ihn über die Zeit erheben und ihm ewiges Leben verleihen. Leben, Seligkeit und Ewigkeit sind ihm identische Begriffe. — Man hat in diesen Darstellungen eine Abweichung von, seinen früheren Ansichten sinden wollen, und er selbst hat geglaubt, sich gegen die Anklage des Mysti¬ cismus rechtfertigen zu müssen. Allein diese Abweichung liegt doch nur im Ausdruck. Was er Leben, Ewigkeit und Seligkeit nennt, ist nur jene Ver¬ tiefung der unheiligen individuellen Existenz in den Ocean der Gattung, den °r in allen seinen Schriften predigte. Interessant ist nur, daß er diese Ideen historischen Christenthum wiederfindet und seine Auffassung des Johanneischen Christus verdient noch immer die Beachtung der Neligionsfreunde. Er ist nicht in'n irgend einer speculative» Frage ausgegangen, denn er erklärt durch sein ^ligimiSpnncip schlechthin nichts in der Welt, sondern trägt ganz allen, und ganz rein nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/309>, abgerufen am 01.09.2024.