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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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künder der neuen Zeit zu absoluten Herrschern der Staaten machen möchte.
Indem er nun die individuellen Staaten ins Auge faßt, behauptet er von je¬
dem einzelnen, und behauptet es als sein Recht, er gehe darauf aus, sich zur
Weltmonarchie zu erweitern, und da die Einheit deS Menschengeschlechts in der
That der Zweck des Weltplans sein müsse, so arbeite dieser Eroberungstrieb für
die Zwecke der Gattung. Man muß gestehen, daß er in der weiteren Aus¬
führung dieses Princips keine Consequenzen scheut. Er stellte sich die Frage,
was der Philosoph thun müsse, wenn sein Vaterland die Beute eines fremden
Eroberers würde. "Der Erdgeborene," sagt er, "mag dann an der Scholle
haften, der sonnenverwandte Geist dagegen wird dahin streben, wo Licht ist" u. s. w.
Da aber nach seiner eignen Erklärung die Ueberwindung des einen Staats
durch den andern ein sicheres Zeichen ist für die höhere Berechtigung deS letz¬
teren, so ist das Resultat ein sehr handgreifliches, und Fichte hatte wol wenig
Ahnung davon, daß im kurzen Lauf von zwei Jahren sein Princip Gelegenheit
finden würde, in die Wagschale geworfen und zu leicht gefunden zu werden. --

Man kann die "Grundzüge" als ein Ungewitter ansehen, durch welches die
trübe Atmosphäre in dem Denken und in der Gesinnung des transscendentalen
Idealismus aufgeklärt wurde. Wir können diese Wendung zum Positiven fast
Schritt für Schritt verfolgen. Zwar geht die Polemik noch immer daneben-
Schon in dem bekannten Brief an Schelk ing aus dem Ende des Jahres -1800
Seite 41S ff. wurde den guten Freunden aus der Romantik manche bittere
Wahrheit gesagt. Der Kampf gegen Fries, der 1803 in einer Schrift gegen
Reinhold, Fichte und Schelling die ursprüngliche Kantische Philosophie von
den fremdartigen Neuerungen säubern wollte, zog sehr bald auch den Kampf
gegen die Naturphilosophie'"ach sich. In den Lehrbüchern der Geschichte der Phi¬
losophie, namentlich in denen aus der Hegelschen Schule, wird das Verhältniß
zwischen beiden Männern einseitig dargestellt. Schelling hat in der That einige
Apercus aufgestellt, durch welche das Wesen des Geistes und das Verhältniß
der Ideenwelt zur wirklichen tiefer aufgefaßt wurde, als von Fichte geschehen
war, und diese Auffassung ist nicht ohne Einfluß auf Fichtes spätere Philo¬
sophie geblieben. Allein abgesehen von dem Unsystematischen in der Schelling-
schen Philosophie, auf das wir kein so großes Gewicht legen möchten, halte
Fichte vollkommen recht, die Art und Weise, wie Schelling und seine Nach¬
folger philosophirten, als einen Gegensatz gegen sein eignes Denken und als
einen Rückschritt aufzufassen. Denn Schelling leitete zum willkürlichen Com-
biniren, zu jener Mystik der Phantasie, die das Unmögliche ebensogern an¬
erkennt wie das Nothwendige, wenn es ihr bequem ist, und seine Gesinnung
arbeitete grade durch ihre etwas unbestimmte Liberalität dem strengen, sittlichen
Ernste des bisherigen Idealismus entgegen. Es ist sonderbar, daß die Ro¬
mantiker, denen Schelling in Beziehung auf seine Stoffe wie auf seine apho-


künder der neuen Zeit zu absoluten Herrschern der Staaten machen möchte.
Indem er nun die individuellen Staaten ins Auge faßt, behauptet er von je¬
dem einzelnen, und behauptet es als sein Recht, er gehe darauf aus, sich zur
Weltmonarchie zu erweitern, und da die Einheit deS Menschengeschlechts in der
That der Zweck des Weltplans sein müsse, so arbeite dieser Eroberungstrieb für
die Zwecke der Gattung. Man muß gestehen, daß er in der weiteren Aus¬
führung dieses Princips keine Consequenzen scheut. Er stellte sich die Frage,
was der Philosoph thun müsse, wenn sein Vaterland die Beute eines fremden
Eroberers würde. „Der Erdgeborene," sagt er, „mag dann an der Scholle
haften, der sonnenverwandte Geist dagegen wird dahin streben, wo Licht ist" u. s. w.
Da aber nach seiner eignen Erklärung die Ueberwindung des einen Staats
durch den andern ein sicheres Zeichen ist für die höhere Berechtigung deS letz¬
teren, so ist das Resultat ein sehr handgreifliches, und Fichte hatte wol wenig
Ahnung davon, daß im kurzen Lauf von zwei Jahren sein Princip Gelegenheit
finden würde, in die Wagschale geworfen und zu leicht gefunden zu werden. —

Man kann die „Grundzüge" als ein Ungewitter ansehen, durch welches die
trübe Atmosphäre in dem Denken und in der Gesinnung des transscendentalen
Idealismus aufgeklärt wurde. Wir können diese Wendung zum Positiven fast
Schritt für Schritt verfolgen. Zwar geht die Polemik noch immer daneben-
Schon in dem bekannten Brief an Schelk ing aus dem Ende des Jahres -1800
Seite 41S ff. wurde den guten Freunden aus der Romantik manche bittere
Wahrheit gesagt. Der Kampf gegen Fries, der 1803 in einer Schrift gegen
Reinhold, Fichte und Schelling die ursprüngliche Kantische Philosophie von
den fremdartigen Neuerungen säubern wollte, zog sehr bald auch den Kampf
gegen die Naturphilosophie'»ach sich. In den Lehrbüchern der Geschichte der Phi¬
losophie, namentlich in denen aus der Hegelschen Schule, wird das Verhältniß
zwischen beiden Männern einseitig dargestellt. Schelling hat in der That einige
Apercus aufgestellt, durch welche das Wesen des Geistes und das Verhältniß
der Ideenwelt zur wirklichen tiefer aufgefaßt wurde, als von Fichte geschehen
war, und diese Auffassung ist nicht ohne Einfluß auf Fichtes spätere Philo¬
sophie geblieben. Allein abgesehen von dem Unsystematischen in der Schelling-
schen Philosophie, auf das wir kein so großes Gewicht legen möchten, halte
Fichte vollkommen recht, die Art und Weise, wie Schelling und seine Nach¬
folger philosophirten, als einen Gegensatz gegen sein eignes Denken und als
einen Rückschritt aufzufassen. Denn Schelling leitete zum willkürlichen Com-
biniren, zu jener Mystik der Phantasie, die das Unmögliche ebensogern an¬
erkennt wie das Nothwendige, wenn es ihr bequem ist, und seine Gesinnung
arbeitete grade durch ihre etwas unbestimmte Liberalität dem strengen, sittlichen
Ernste des bisherigen Idealismus entgegen. Es ist sonderbar, daß die Ro¬
mantiker, denen Schelling in Beziehung auf seine Stoffe wie auf seine apho-


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[0308] künder der neuen Zeit zu absoluten Herrschern der Staaten machen möchte. Indem er nun die individuellen Staaten ins Auge faßt, behauptet er von je¬ dem einzelnen, und behauptet es als sein Recht, er gehe darauf aus, sich zur Weltmonarchie zu erweitern, und da die Einheit deS Menschengeschlechts in der That der Zweck des Weltplans sein müsse, so arbeite dieser Eroberungstrieb für die Zwecke der Gattung. Man muß gestehen, daß er in der weiteren Aus¬ führung dieses Princips keine Consequenzen scheut. Er stellte sich die Frage, was der Philosoph thun müsse, wenn sein Vaterland die Beute eines fremden Eroberers würde. „Der Erdgeborene," sagt er, „mag dann an der Scholle haften, der sonnenverwandte Geist dagegen wird dahin streben, wo Licht ist" u. s. w. Da aber nach seiner eignen Erklärung die Ueberwindung des einen Staats durch den andern ein sicheres Zeichen ist für die höhere Berechtigung deS letz¬ teren, so ist das Resultat ein sehr handgreifliches, und Fichte hatte wol wenig Ahnung davon, daß im kurzen Lauf von zwei Jahren sein Princip Gelegenheit finden würde, in die Wagschale geworfen und zu leicht gefunden zu werden. — Man kann die „Grundzüge" als ein Ungewitter ansehen, durch welches die trübe Atmosphäre in dem Denken und in der Gesinnung des transscendentalen Idealismus aufgeklärt wurde. Wir können diese Wendung zum Positiven fast Schritt für Schritt verfolgen. Zwar geht die Polemik noch immer daneben- Schon in dem bekannten Brief an Schelk ing aus dem Ende des Jahres -1800 Seite 41S ff. wurde den guten Freunden aus der Romantik manche bittere Wahrheit gesagt. Der Kampf gegen Fries, der 1803 in einer Schrift gegen Reinhold, Fichte und Schelling die ursprüngliche Kantische Philosophie von den fremdartigen Neuerungen säubern wollte, zog sehr bald auch den Kampf gegen die Naturphilosophie'»ach sich. In den Lehrbüchern der Geschichte der Phi¬ losophie, namentlich in denen aus der Hegelschen Schule, wird das Verhältniß zwischen beiden Männern einseitig dargestellt. Schelling hat in der That einige Apercus aufgestellt, durch welche das Wesen des Geistes und das Verhältniß der Ideenwelt zur wirklichen tiefer aufgefaßt wurde, als von Fichte geschehen war, und diese Auffassung ist nicht ohne Einfluß auf Fichtes spätere Philo¬ sophie geblieben. Allein abgesehen von dem Unsystematischen in der Schelling- schen Philosophie, auf das wir kein so großes Gewicht legen möchten, halte Fichte vollkommen recht, die Art und Weise, wie Schelling und seine Nach¬ folger philosophirten, als einen Gegensatz gegen sein eignes Denken und als einen Rückschritt aufzufassen. Denn Schelling leitete zum willkürlichen Com- biniren, zu jener Mystik der Phantasie, die das Unmögliche ebensogern an¬ erkennt wie das Nothwendige, wenn es ihr bequem ist, und seine Gesinnung arbeitete grade durch ihre etwas unbestimmte Liberalität dem strengen, sittlichen Ernste des bisherigen Idealismus entgegen. Es ist sonderbar, daß die Ro¬ mantiker, denen Schelling in Beziehung auf seine Stoffe wie auf seine apho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/308>, abgerufen am 01.09.2024.