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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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kommen könne, das Göttliche als die moralische Weltordnung zu begreifen,
obgleich sie auf das Göttliche als die unbekannte Ursache der Naturkräfte durch
ihre Denkformen sehr leicht geführt werde. Was es aber, mit dieser Offen¬
barung eigentlich für eine Bewandtnis; habe, inwiefern sie physisch möglich
sei oder nicht, darauf läßt er sich vorsichtigerweise nicht ein und ist darin
viel verständiger als Fichte, der mit seiner Deduction der Allmacht des mora¬
lischen Weltordners doch sehr auf der Oberfläche stehen bleibt.

Im übrigen findet in den Principien eine große Uebereinstimmung statt,
und wenn Fichte selbst in spätern Jahren auf sein erstes Buch mit einer ge¬
wissen Geringschätzung herabsah, so hat er dasselbe in den folgenden Bear¬
beitungen eigentlich doch nur in einem Punkte überholt, indem er die Seligkeit
des Glaubens als ein höheres Princip über die starre Unterwerfung unter
das Gebot der Pflicht stellte. Und in dieser Beziehung hatte Schlegel recht,
wenn er in seiner übrigens sehr leichtsinnigen Schrift über Lessing Fichte den
Vollender des Protestantismus nannte -- womit er beiläufig den Gegensatz
seiner eignen Schule gegen Fichte aussprach. Dieser Ausdruck ist nachher
vielfältig angefochten worden, und da im Begriff Protestantismus sehr ver¬
schiedene Momente liegen, so läßt sich auch wol hin und her darüber streiten.
Sucht man aber im Protestantismus als Gegensatz des Katholicismus das
einheitliche und entscheidende Princip heraus, so kann es doch nur das Be¬
streben sein, den geistigen Inhalt des Christenthums vollständig in die Natur
zu vertiefen, Gott im Menschen lebendig zu machen. Diese Aufgabe hat
Luther nicht vollständig erfüllt, da in dieser erhabenen Seele zwei Prin¬
cipien miteinander stritten, die durch seine gigantische Kraft nicht mit¬
einander vereinigt werden konnten. Kant hat einen sehr großen Schritt
weiter gethan, indem er, freilich etwas despotisch, die moralische Natur des
Menschen als das allein Wesentliche und Interessante an ihm, an Gott und
der Welt auffaßte, und Fichte hat durch die Veredlung des Pflichtgebots in
die Glückseligkeit des Glaubens diesem Gedankengang den Abschluß gegeben.
Was zwischen Luther und Kant liegt, ist nicht der Rede werth, und die gleich-,
zeitigen Versuche Herders, Schleiermachers u. s. w. sind wenigstens nicht specifisch
Protestantisch. Mit Schleiermachers Reden über die Religion z. B. könnte sich
ein "aufgeklärter" Katholik ebenso befreunden, als ein Protestant. Die Fichte¬
schen Schriften'dagen muß jeder nicht ganz gedankenlose Katholik verdammen.

Kurze Zeit darauf kehrte Fichte nach Zürich zurück, verheirathete sich am
22. October 1793 und gewann ein Auditorium unter den bedeutendsten Män¬
nern dieser Stadt, welchen er seine neu gewonnene Philosophie vortrug. Einer
seiner Zuhörer war Lavater, dessen weichem, schwärmerischen Gemüthe diese
Auflösung aller Realität in Formen des Denkens sehr schrecklich vorkommen
mußte, der aber doch eine große Verehrung vor dem Geiste des Philosophen


kommen könne, das Göttliche als die moralische Weltordnung zu begreifen,
obgleich sie auf das Göttliche als die unbekannte Ursache der Naturkräfte durch
ihre Denkformen sehr leicht geführt werde. Was es aber, mit dieser Offen¬
barung eigentlich für eine Bewandtnis; habe, inwiefern sie physisch möglich
sei oder nicht, darauf läßt er sich vorsichtigerweise nicht ein und ist darin
viel verständiger als Fichte, der mit seiner Deduction der Allmacht des mora¬
lischen Weltordners doch sehr auf der Oberfläche stehen bleibt.

Im übrigen findet in den Principien eine große Uebereinstimmung statt,
und wenn Fichte selbst in spätern Jahren auf sein erstes Buch mit einer ge¬
wissen Geringschätzung herabsah, so hat er dasselbe in den folgenden Bear¬
beitungen eigentlich doch nur in einem Punkte überholt, indem er die Seligkeit
des Glaubens als ein höheres Princip über die starre Unterwerfung unter
das Gebot der Pflicht stellte. Und in dieser Beziehung hatte Schlegel recht,
wenn er in seiner übrigens sehr leichtsinnigen Schrift über Lessing Fichte den
Vollender des Protestantismus nannte — womit er beiläufig den Gegensatz
seiner eignen Schule gegen Fichte aussprach. Dieser Ausdruck ist nachher
vielfältig angefochten worden, und da im Begriff Protestantismus sehr ver¬
schiedene Momente liegen, so läßt sich auch wol hin und her darüber streiten.
Sucht man aber im Protestantismus als Gegensatz des Katholicismus das
einheitliche und entscheidende Princip heraus, so kann es doch nur das Be¬
streben sein, den geistigen Inhalt des Christenthums vollständig in die Natur
zu vertiefen, Gott im Menschen lebendig zu machen. Diese Aufgabe hat
Luther nicht vollständig erfüllt, da in dieser erhabenen Seele zwei Prin¬
cipien miteinander stritten, die durch seine gigantische Kraft nicht mit¬
einander vereinigt werden konnten. Kant hat einen sehr großen Schritt
weiter gethan, indem er, freilich etwas despotisch, die moralische Natur des
Menschen als das allein Wesentliche und Interessante an ihm, an Gott und
der Welt auffaßte, und Fichte hat durch die Veredlung des Pflichtgebots in
die Glückseligkeit des Glaubens diesem Gedankengang den Abschluß gegeben.
Was zwischen Luther und Kant liegt, ist nicht der Rede werth, und die gleich-,
zeitigen Versuche Herders, Schleiermachers u. s. w. sind wenigstens nicht specifisch
Protestantisch. Mit Schleiermachers Reden über die Religion z. B. könnte sich
ein „aufgeklärter" Katholik ebenso befreunden, als ein Protestant. Die Fichte¬
schen Schriften'dagen muß jeder nicht ganz gedankenlose Katholik verdammen.

Kurze Zeit darauf kehrte Fichte nach Zürich zurück, verheirathete sich am
22. October 1793 und gewann ein Auditorium unter den bedeutendsten Män¬
nern dieser Stadt, welchen er seine neu gewonnene Philosophie vortrug. Einer
seiner Zuhörer war Lavater, dessen weichem, schwärmerischen Gemüthe diese
Auflösung aller Realität in Formen des Denkens sehr schrecklich vorkommen
mußte, der aber doch eine große Verehrung vor dem Geiste des Philosophen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/253>, abgerufen am 01.09.2024.