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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gierung mag thun was sie will, dieselbe zu vermeiden. Ich habe seither spa¬
nische Staatsmänner gesprochen, ich habe ihnen die Ansicht des Poeten
mitgetheilt, sie zuckten vornehm die Achsel und meinten, ein Poet habe das
Recht, zu sehen was er wolle. Nun ist es eingetroffen. Die Regierung der
Königin Jsabella wollte dem drohenden Ungewitter zuvorkommen und pflanzte
den Blitzableiter eines Staatsstreiches auf. Alles schien sich zu fügen, alles
schien gelungen zu sein -- man war schon versucht anzunehmen, die gelungenen
Coup d'etats liegen in der Luft, der Himmel hänge voller zehnter December,
man dürfe nur die Hand darnach ausstrecken. Plötzlich zeigte sich ein Wölk¬
chen am Horizonte -- ein paar tausend Menschen machten den Anfang, ein
tollkühner General gab das Signal -- der Hof lachte und freute sich der
Gelegenheit, am Staatsstreiche nachbessern zu können, was anfänglich versäumt
worden war. Aber bald sollte es Ernst werden, schon in wenigen Tagen stand
das ganze Land nnter Waffen. Man ruft nicht ü, das les anslvLraws, man
schreit nicht vivs I-r Uberte, I'eZAlitv, 1u tratsruitv. Man macht eine Revolution
unter dem Rufe: vive la moralltsl Die Franzosen unter Ludwig XV. hätten
es nicht besser machen können! Und wie schnell die Bewegung um sich greift.
Nicht so schnell wie in Frankreich, wo sich alle Provinzen vor dem Geslerhute
in Paris beugen, dieser mag nun ein kaiserliches Barret, eine orleanistische
Hauskappe oder eine Jakobinermütze sein. Die Spanier schlagen sich von
Provinz zu Provinz -- es ist ein blutiger Bürgerkrieg, wie eS sein muß,
wenn so hohe Interessen, so gründliche Ueberzeugungen auf dem Spiele stehe".
Die Königin versucht den Widerstand solange sie kann, sie gibt später nach
und ernennt volksthümlichere Namen, aber zwei Ministerien sterben ihr unter
der Hand und in dem Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, ist ihr Feldherr ge¬
fangen, die Jnsurrection in allen Provinzen siegreich, selbst der gefürchtete
Narvaez übereilt und die letzte Hoffnung , der Dynastie beruht auf Espartero,
der sich zum Chef der Jnsurrection ausgeworfen.

Den Charakter der Bewegung zu bezeichnen und hieraus aus den noth¬
wendigen Ausgang zu schließen, ist unmöglich. Das Vorhandene war uner¬
träglich -- die Wirthschaft des Hofes wie der Regierung widerstrebte den
honetten Instincten des Landes, und grade die reichsten Plätze wie Barcelona,
die im industriellen Wohlstande leben, haben sich zuerst dem Aufstande ent¬
schieden angeschlossen. Es gibt der Führer viele wie der Parteien, auch sie
sind alle einig im Widerstande gegen das Vorhandene, aber sie sind alle dem
geschickten Manoeuver eines Einzigen ausgesetzt oder der Einfluß der Ausländer
kann eine Entscheidung hervorrufen, die weit von den Absichten und Wünschen
der Aufständischen aller Farben abliegt.

Sollen wir aus dem Verhalten der beiden ausländischen Regierungen, die
am meisten Einfluß auf die Geschicke dieser Halbinsel üben, einen Schluß ziehen,


gierung mag thun was sie will, dieselbe zu vermeiden. Ich habe seither spa¬
nische Staatsmänner gesprochen, ich habe ihnen die Ansicht des Poeten
mitgetheilt, sie zuckten vornehm die Achsel und meinten, ein Poet habe das
Recht, zu sehen was er wolle. Nun ist es eingetroffen. Die Regierung der
Königin Jsabella wollte dem drohenden Ungewitter zuvorkommen und pflanzte
den Blitzableiter eines Staatsstreiches auf. Alles schien sich zu fügen, alles
schien gelungen zu sein — man war schon versucht anzunehmen, die gelungenen
Coup d'etats liegen in der Luft, der Himmel hänge voller zehnter December,
man dürfe nur die Hand darnach ausstrecken. Plötzlich zeigte sich ein Wölk¬
chen am Horizonte — ein paar tausend Menschen machten den Anfang, ein
tollkühner General gab das Signal — der Hof lachte und freute sich der
Gelegenheit, am Staatsstreiche nachbessern zu können, was anfänglich versäumt
worden war. Aber bald sollte es Ernst werden, schon in wenigen Tagen stand
das ganze Land nnter Waffen. Man ruft nicht ü, das les anslvLraws, man
schreit nicht vivs I-r Uberte, I'eZAlitv, 1u tratsruitv. Man macht eine Revolution
unter dem Rufe: vive la moralltsl Die Franzosen unter Ludwig XV. hätten
es nicht besser machen können! Und wie schnell die Bewegung um sich greift.
Nicht so schnell wie in Frankreich, wo sich alle Provinzen vor dem Geslerhute
in Paris beugen, dieser mag nun ein kaiserliches Barret, eine orleanistische
Hauskappe oder eine Jakobinermütze sein. Die Spanier schlagen sich von
Provinz zu Provinz — es ist ein blutiger Bürgerkrieg, wie eS sein muß,
wenn so hohe Interessen, so gründliche Ueberzeugungen auf dem Spiele stehe».
Die Königin versucht den Widerstand solange sie kann, sie gibt später nach
und ernennt volksthümlichere Namen, aber zwei Ministerien sterben ihr unter
der Hand und in dem Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, ist ihr Feldherr ge¬
fangen, die Jnsurrection in allen Provinzen siegreich, selbst der gefürchtete
Narvaez übereilt und die letzte Hoffnung , der Dynastie beruht auf Espartero,
der sich zum Chef der Jnsurrection ausgeworfen.

Den Charakter der Bewegung zu bezeichnen und hieraus aus den noth¬
wendigen Ausgang zu schließen, ist unmöglich. Das Vorhandene war uner¬
träglich — die Wirthschaft des Hofes wie der Regierung widerstrebte den
honetten Instincten des Landes, und grade die reichsten Plätze wie Barcelona,
die im industriellen Wohlstande leben, haben sich zuerst dem Aufstande ent¬
schieden angeschlossen. Es gibt der Führer viele wie der Parteien, auch sie
sind alle einig im Widerstande gegen das Vorhandene, aber sie sind alle dem
geschickten Manoeuver eines Einzigen ausgesetzt oder der Einfluß der Ausländer
kann eine Entscheidung hervorrufen, die weit von den Absichten und Wünschen
der Aufständischen aller Farben abliegt.

Sollen wir aus dem Verhalten der beiden ausländischen Regierungen, die
am meisten Einfluß auf die Geschicke dieser Halbinsel üben, einen Schluß ziehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/231>, abgerufen am 09.01.2025.