Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden auf diesem die wenigen bewohnten Punkte Kahlert, Neustadt, Frauen¬
wald, Oberhof, Schmücke, das Haus des Jnselbergs und die hohe Sonne ge¬
troffen. Ursprünglich waren sie zum Schutz und zur Pflege der Straßenzüge
und des Waldes gegründet, bestanden deshalb in wirthschaftlichen Stationen,
Kapellen und Forsthäusern, und dies sind sie zu einem Theil noch gegenwärtig,
zum andern Theil haben sie sich unter günstigen Umständen zu Dörfern er¬
weitert. Zwar sind viele Orte nach dem Kamm zu hoch hinaufgerückt, sie
liegen indeß immer noch in Seitenthälern und gehören zu der einen oder
andern Abdachung des Gebirgs; ebenso fallen die Wartburg und der Alten¬
stein, obschon sie auf Terrassen desselben thronen, doch nur in die Sphäre des
Gebirgsfußes, der als eigenthümliche Entwicklung seine besondere Darstellung
Verdient.

Gleich dem südöstlichen Waldgebiet ist auch das nordwestliche auf seinen
Höhen und Gehängen mit Tannen, Fichten und Buchen in schönen Be¬
ständen geschmückt. Da indeß hier die Buchenwaldungen ungleich ausgedehnter
und lebenskräftiger auftreten, so muß dadurch hier die vom Holz abhängige
Thätigkeit nach Art und Menge alterirt werden, wie denn die Zahl der
Schneidemühlen und Pechhütten ungleich geringer ist, als auf dem südöstlichen
Bergland, aber auch die Holzfabrieation hat daselbst weder den Reichthum an
Wald, noch das dafür geschaffene industriöse Bergvolk. Was allda aus
stchtenem Holze fabricirt wird, fällt in das Bereich des Büttnerhandwerks und
deckt blos die Bedürfnisse der umliegenden Orte. Dagegen sind in diesem
Gebiet durch die Buchenwaldungen die Fabrikationen mehrfacher anderer Holz¬
artikel, unter anderen die der Mulden, Felgen, Leusen, hölzerner Schuhe,
Schusterspäne und früher auch der sogenannten Absätze hervorgerufen worden;
am eigenthümlichsten und bedeutsamsten muß jedoch der Schwammhandel der
Neustädter erscheinen. Ehe noch die Streichzündhölzer die Welt durchfluteten,
hatte Neustadt am Rennstieg seine große blühende Erwerbsperiode, die kleinsten-
theils durch eine Glashütte, größtenteils durch den Schwamm getragen
wurde. Die umherliegenden Buchenwaldungen mit ihrem Rohschwamm hatten
Zwar zu dieser Industrie geführt, deckten aber sehr bald bei weitem nicht den
Begehr der Waaren, weshalb der Rohschwamm bis aus den Karpathen und
aus Skandinavien herangezogen wurde; jetzt besteht "auf der Neustadt" kaum
der fünfte Theil des früheren Geschäfts. Den Ausfall sucht man jetzt durch
Fabrication von Streichzündhölzern zu ersetzen. Neustadt ist der einzige
Höhenorl der nordwestlichen Kette, der auf einem sterilen Plateau, wo keine
Rosen gedeihen und die Leichen zur Winterzeit oft 8 -- 1//- Tage nicht unter
die Erde zu bringen sind, ein eigenthümliches Leben gewonnen hat. Außer
ihrer Betriebsamkeit zeichnet die hochlebenden Neustädter ein tiefes Organ,
langsames Sprechen und Gehen, Schönheit der Jugendgestalten, Necklust


Grenzboten. III. <8öL. 28

werden auf diesem die wenigen bewohnten Punkte Kahlert, Neustadt, Frauen¬
wald, Oberhof, Schmücke, das Haus des Jnselbergs und die hohe Sonne ge¬
troffen. Ursprünglich waren sie zum Schutz und zur Pflege der Straßenzüge
und des Waldes gegründet, bestanden deshalb in wirthschaftlichen Stationen,
Kapellen und Forsthäusern, und dies sind sie zu einem Theil noch gegenwärtig,
zum andern Theil haben sie sich unter günstigen Umständen zu Dörfern er¬
weitert. Zwar sind viele Orte nach dem Kamm zu hoch hinaufgerückt, sie
liegen indeß immer noch in Seitenthälern und gehören zu der einen oder
andern Abdachung des Gebirgs; ebenso fallen die Wartburg und der Alten¬
stein, obschon sie auf Terrassen desselben thronen, doch nur in die Sphäre des
Gebirgsfußes, der als eigenthümliche Entwicklung seine besondere Darstellung
Verdient.

Gleich dem südöstlichen Waldgebiet ist auch das nordwestliche auf seinen
Höhen und Gehängen mit Tannen, Fichten und Buchen in schönen Be¬
ständen geschmückt. Da indeß hier die Buchenwaldungen ungleich ausgedehnter
und lebenskräftiger auftreten, so muß dadurch hier die vom Holz abhängige
Thätigkeit nach Art und Menge alterirt werden, wie denn die Zahl der
Schneidemühlen und Pechhütten ungleich geringer ist, als auf dem südöstlichen
Bergland, aber auch die Holzfabrieation hat daselbst weder den Reichthum an
Wald, noch das dafür geschaffene industriöse Bergvolk. Was allda aus
stchtenem Holze fabricirt wird, fällt in das Bereich des Büttnerhandwerks und
deckt blos die Bedürfnisse der umliegenden Orte. Dagegen sind in diesem
Gebiet durch die Buchenwaldungen die Fabrikationen mehrfacher anderer Holz¬
artikel, unter anderen die der Mulden, Felgen, Leusen, hölzerner Schuhe,
Schusterspäne und früher auch der sogenannten Absätze hervorgerufen worden;
am eigenthümlichsten und bedeutsamsten muß jedoch der Schwammhandel der
Neustädter erscheinen. Ehe noch die Streichzündhölzer die Welt durchfluteten,
hatte Neustadt am Rennstieg seine große blühende Erwerbsperiode, die kleinsten-
theils durch eine Glashütte, größtenteils durch den Schwamm getragen
wurde. Die umherliegenden Buchenwaldungen mit ihrem Rohschwamm hatten
Zwar zu dieser Industrie geführt, deckten aber sehr bald bei weitem nicht den
Begehr der Waaren, weshalb der Rohschwamm bis aus den Karpathen und
aus Skandinavien herangezogen wurde; jetzt besteht „auf der Neustadt" kaum
der fünfte Theil des früheren Geschäfts. Den Ausfall sucht man jetzt durch
Fabrication von Streichzündhölzern zu ersetzen. Neustadt ist der einzige
Höhenorl der nordwestlichen Kette, der auf einem sterilen Plateau, wo keine
Rosen gedeihen und die Leichen zur Winterzeit oft 8 — 1//- Tage nicht unter
die Erde zu bringen sind, ein eigenthümliches Leben gewonnen hat. Außer
ihrer Betriebsamkeit zeichnet die hochlebenden Neustädter ein tiefes Organ,
langsames Sprechen und Gehen, Schönheit der Jugendgestalten, Necklust


Grenzboten. III. <8öL. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281376"/>
            <p xml:id="ID_709" prev="#ID_708"> werden auf diesem die wenigen bewohnten Punkte Kahlert, Neustadt, Frauen¬<lb/>
wald, Oberhof, Schmücke, das Haus des Jnselbergs und die hohe Sonne ge¬<lb/>
troffen. Ursprünglich waren sie zum Schutz und zur Pflege der Straßenzüge<lb/>
und des Waldes gegründet, bestanden deshalb in wirthschaftlichen Stationen,<lb/>
Kapellen und Forsthäusern, und dies sind sie zu einem Theil noch gegenwärtig,<lb/>
zum andern Theil haben sie sich unter günstigen Umständen zu Dörfern er¬<lb/>
weitert. Zwar sind viele Orte nach dem Kamm zu hoch hinaufgerückt, sie<lb/>
liegen indeß immer noch in Seitenthälern und gehören zu der einen oder<lb/>
andern Abdachung des Gebirgs; ebenso fallen die Wartburg und der Alten¬<lb/>
stein, obschon sie auf Terrassen desselben thronen, doch nur in die Sphäre des<lb/>
Gebirgsfußes, der als eigenthümliche Entwicklung seine besondere Darstellung<lb/>
Verdient.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_710" next="#ID_711"> Gleich dem südöstlichen Waldgebiet ist auch das nordwestliche auf seinen<lb/>
Höhen und Gehängen mit Tannen, Fichten und Buchen in schönen Be¬<lb/>
ständen geschmückt. Da indeß hier die Buchenwaldungen ungleich ausgedehnter<lb/>
und lebenskräftiger auftreten, so muß dadurch hier die vom Holz abhängige<lb/>
Thätigkeit nach Art und Menge alterirt werden, wie denn die Zahl der<lb/>
Schneidemühlen und Pechhütten ungleich geringer ist, als auf dem südöstlichen<lb/>
Bergland, aber auch die Holzfabrieation hat daselbst weder den Reichthum an<lb/>
Wald, noch das dafür geschaffene industriöse Bergvolk. Was allda aus<lb/>
stchtenem Holze fabricirt wird, fällt in das Bereich des Büttnerhandwerks und<lb/>
deckt blos die Bedürfnisse der umliegenden Orte. Dagegen sind in diesem<lb/>
Gebiet durch die Buchenwaldungen die Fabrikationen mehrfacher anderer Holz¬<lb/>
artikel, unter anderen die der Mulden, Felgen, Leusen, hölzerner Schuhe,<lb/>
Schusterspäne und früher auch der sogenannten Absätze hervorgerufen worden;<lb/>
am eigenthümlichsten und bedeutsamsten muß jedoch der Schwammhandel der<lb/>
Neustädter erscheinen. Ehe noch die Streichzündhölzer die Welt durchfluteten,<lb/>
hatte Neustadt am Rennstieg seine große blühende Erwerbsperiode, die kleinsten-<lb/>
theils durch eine Glashütte, größtenteils durch den Schwamm getragen<lb/>
wurde. Die umherliegenden Buchenwaldungen mit ihrem Rohschwamm hatten<lb/>
Zwar zu dieser Industrie geführt, deckten aber sehr bald bei weitem nicht den<lb/>
Begehr der Waaren, weshalb der Rohschwamm bis aus den Karpathen und<lb/>
aus Skandinavien herangezogen wurde; jetzt besteht &#x201E;auf der Neustadt" kaum<lb/>
der fünfte Theil des früheren Geschäfts. Den Ausfall sucht man jetzt durch<lb/>
Fabrication von Streichzündhölzern zu ersetzen. Neustadt ist der einzige<lb/>
Höhenorl der nordwestlichen Kette, der auf einem sterilen Plateau, wo keine<lb/>
Rosen gedeihen und die Leichen zur Winterzeit oft 8 &#x2014; 1//- Tage nicht unter<lb/>
die Erde zu bringen sind, ein eigenthümliches Leben gewonnen hat. Außer<lb/>
ihrer Betriebsamkeit zeichnet die hochlebenden Neustädter ein tiefes Organ,<lb/>
langsames Sprechen und Gehen, Schönheit der Jugendgestalten, Necklust</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. &lt;8öL. 28</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0225] werden auf diesem die wenigen bewohnten Punkte Kahlert, Neustadt, Frauen¬ wald, Oberhof, Schmücke, das Haus des Jnselbergs und die hohe Sonne ge¬ troffen. Ursprünglich waren sie zum Schutz und zur Pflege der Straßenzüge und des Waldes gegründet, bestanden deshalb in wirthschaftlichen Stationen, Kapellen und Forsthäusern, und dies sind sie zu einem Theil noch gegenwärtig, zum andern Theil haben sie sich unter günstigen Umständen zu Dörfern er¬ weitert. Zwar sind viele Orte nach dem Kamm zu hoch hinaufgerückt, sie liegen indeß immer noch in Seitenthälern und gehören zu der einen oder andern Abdachung des Gebirgs; ebenso fallen die Wartburg und der Alten¬ stein, obschon sie auf Terrassen desselben thronen, doch nur in die Sphäre des Gebirgsfußes, der als eigenthümliche Entwicklung seine besondere Darstellung Verdient. Gleich dem südöstlichen Waldgebiet ist auch das nordwestliche auf seinen Höhen und Gehängen mit Tannen, Fichten und Buchen in schönen Be¬ ständen geschmückt. Da indeß hier die Buchenwaldungen ungleich ausgedehnter und lebenskräftiger auftreten, so muß dadurch hier die vom Holz abhängige Thätigkeit nach Art und Menge alterirt werden, wie denn die Zahl der Schneidemühlen und Pechhütten ungleich geringer ist, als auf dem südöstlichen Bergland, aber auch die Holzfabrieation hat daselbst weder den Reichthum an Wald, noch das dafür geschaffene industriöse Bergvolk. Was allda aus stchtenem Holze fabricirt wird, fällt in das Bereich des Büttnerhandwerks und deckt blos die Bedürfnisse der umliegenden Orte. Dagegen sind in diesem Gebiet durch die Buchenwaldungen die Fabrikationen mehrfacher anderer Holz¬ artikel, unter anderen die der Mulden, Felgen, Leusen, hölzerner Schuhe, Schusterspäne und früher auch der sogenannten Absätze hervorgerufen worden; am eigenthümlichsten und bedeutsamsten muß jedoch der Schwammhandel der Neustädter erscheinen. Ehe noch die Streichzündhölzer die Welt durchfluteten, hatte Neustadt am Rennstieg seine große blühende Erwerbsperiode, die kleinsten- theils durch eine Glashütte, größtenteils durch den Schwamm getragen wurde. Die umherliegenden Buchenwaldungen mit ihrem Rohschwamm hatten Zwar zu dieser Industrie geführt, deckten aber sehr bald bei weitem nicht den Begehr der Waaren, weshalb der Rohschwamm bis aus den Karpathen und aus Skandinavien herangezogen wurde; jetzt besteht „auf der Neustadt" kaum der fünfte Theil des früheren Geschäfts. Den Ausfall sucht man jetzt durch Fabrication von Streichzündhölzern zu ersetzen. Neustadt ist der einzige Höhenorl der nordwestlichen Kette, der auf einem sterilen Plateau, wo keine Rosen gedeihen und die Leichen zur Winterzeit oft 8 — 1//- Tage nicht unter die Erde zu bringen sind, ein eigenthümliches Leben gewonnen hat. Außer ihrer Betriebsamkeit zeichnet die hochlebenden Neustädter ein tiefes Organ, langsames Sprechen und Gehen, Schönheit der Jugendgestalten, Necklust Grenzboten. III. <8öL. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/225
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/225>, abgerufen am 02.09.2024.