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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Viele dieser Züge greisen gemeinsam über das ganze Grauwackengebiet,
ja über den ganzen thüringer Wald, Man sollte nun innerhalb des Grau¬
wackengebiets einen gleichen Einklang in allen andern Beziehungen des äu¬
ßern und innern Lebens erwarten, dies ist jedoch keineswegs der Fall. Daß
der nordöstliche District des Hochplateaus Jahrhunderte früher, der südwestliche
Jahrhunderte später, je beide von verschiedenen Seiten her und von verschie¬
denen Völkern colonisirt wurden; daß dort der Communalboden, hier das
Staatswaldareal überwiegt, dort Privatwald besteht, hier derselbe durchaus
fehlt; daß dort Feldwirthschcist, hier Fabriken die menschlichen Thätigkeiten in
Bewegung setzen und dort die Richtung des Bodens nach Thüringen, hier
nach Franken leitet: dies hat nothwendig die'Waldbevölkerung in zwei", wie
nach Grundbesitz und Arbeit, so nach Communalgliederung und Beweglichkeit
der Gedanken und des Gemüths verschiedene Massen, in Bauern und Fa¬
brikanten geschieden, an die sich bezüglich die übrigen Beschäftigungen anlehnen.
Die mit Schiefer umgehende Bevölkerung nähert sich in Sinn und Sitte mehr
dem Bauer, der Producent feinerer Holzwaaren mehr dem Fabrikanten. Bei
jenem ist der Stoff der täglichen Arbeit das Erdreich und schwere Gestein,
aber zumeist in der freien Natur; bei diesen handbarc Massen und leichte
Formen, aber zumeist in engen, heißen Stuben; dort Urproduction, hier Kunst-
production: daher sind jene Arbeiter bodenstetig, ernst, wenig erschütterlich,
aber einmal zur Gallhitze gebracht leidenschaftlich heftig und nachtragend; die
Fabrikanten dagegen beweglich, ungemein biegsam, in alle Schwingungen der
Zeit fügbar, neckend, reizlustig und leicht gereizt, doch wieder zur Versöhnung
gern bereit; jene wie am Boden, so an alter Sitte und Tracht hängend, von
kirchlichem Sinn, dabei in tausendfache Tagquälerei zu Haus und zu Feld,
bei Tag und Nacht eingekeilt, diese mit mehr modischer Sitte und Kleidung,
freigeisterisch, neuerungssüchtig und im höchsten Grade genußluftig, oft auf
sybaritische Weise, besonders früher in manch rasch wohlhäbig gewordenen
Fabrikherrnfamilien.

In den Agriculturorten gliedern sich die Bewohner, wie bereits bemerkt
wurde, in Güterbesitzer, Kleinhäusler und Hintersassen und danach sind Ge¬
rechtigkeiten und Lasten vertheilt. Mehre Hinterstedler machen einen ganzen
Bauer aus; die Kleinhäusler haben wenig oder keinen Grundbesitz, sind meist
Tagelöhner, Gewerbtreibende, Köhler, Holzmacher. Dadurch ist allerdings
hier eine feste Abstufung zwischen Reich und Arm gegeben, aber in keinem
grellen Gegensatz, weil das Vermögen an die Mehrzahl der Dörfler vertheilt
ist. Anders steht es hingegen in den Fabrikorten. Hier herrscht ein schroffer,
unversöhnlicher Gegensatz zwischen Arm und Reich, indem der Fabrikherr der
allein Arbeit und Lohn Gebende, die Uebrigen die Arbeit und Lohn Nehmen¬
den, jener der allein Vermögende, diese an den knapp gemessenen Lohn gehult-


Viele dieser Züge greisen gemeinsam über das ganze Grauwackengebiet,
ja über den ganzen thüringer Wald, Man sollte nun innerhalb des Grau¬
wackengebiets einen gleichen Einklang in allen andern Beziehungen des äu¬
ßern und innern Lebens erwarten, dies ist jedoch keineswegs der Fall. Daß
der nordöstliche District des Hochplateaus Jahrhunderte früher, der südwestliche
Jahrhunderte später, je beide von verschiedenen Seiten her und von verschie¬
denen Völkern colonisirt wurden; daß dort der Communalboden, hier das
Staatswaldareal überwiegt, dort Privatwald besteht, hier derselbe durchaus
fehlt; daß dort Feldwirthschcist, hier Fabriken die menschlichen Thätigkeiten in
Bewegung setzen und dort die Richtung des Bodens nach Thüringen, hier
nach Franken leitet: dies hat nothwendig die'Waldbevölkerung in zwei", wie
nach Grundbesitz und Arbeit, so nach Communalgliederung und Beweglichkeit
der Gedanken und des Gemüths verschiedene Massen, in Bauern und Fa¬
brikanten geschieden, an die sich bezüglich die übrigen Beschäftigungen anlehnen.
Die mit Schiefer umgehende Bevölkerung nähert sich in Sinn und Sitte mehr
dem Bauer, der Producent feinerer Holzwaaren mehr dem Fabrikanten. Bei
jenem ist der Stoff der täglichen Arbeit das Erdreich und schwere Gestein,
aber zumeist in der freien Natur; bei diesen handbarc Massen und leichte
Formen, aber zumeist in engen, heißen Stuben; dort Urproduction, hier Kunst-
production: daher sind jene Arbeiter bodenstetig, ernst, wenig erschütterlich,
aber einmal zur Gallhitze gebracht leidenschaftlich heftig und nachtragend; die
Fabrikanten dagegen beweglich, ungemein biegsam, in alle Schwingungen der
Zeit fügbar, neckend, reizlustig und leicht gereizt, doch wieder zur Versöhnung
gern bereit; jene wie am Boden, so an alter Sitte und Tracht hängend, von
kirchlichem Sinn, dabei in tausendfache Tagquälerei zu Haus und zu Feld,
bei Tag und Nacht eingekeilt, diese mit mehr modischer Sitte und Kleidung,
freigeisterisch, neuerungssüchtig und im höchsten Grade genußluftig, oft auf
sybaritische Weise, besonders früher in manch rasch wohlhäbig gewordenen
Fabrikherrnfamilien.

In den Agriculturorten gliedern sich die Bewohner, wie bereits bemerkt
wurde, in Güterbesitzer, Kleinhäusler und Hintersassen und danach sind Ge¬
rechtigkeiten und Lasten vertheilt. Mehre Hinterstedler machen einen ganzen
Bauer aus; die Kleinhäusler haben wenig oder keinen Grundbesitz, sind meist
Tagelöhner, Gewerbtreibende, Köhler, Holzmacher. Dadurch ist allerdings
hier eine feste Abstufung zwischen Reich und Arm gegeben, aber in keinem
grellen Gegensatz, weil das Vermögen an die Mehrzahl der Dörfler vertheilt
ist. Anders steht es hingegen in den Fabrikorten. Hier herrscht ein schroffer,
unversöhnlicher Gegensatz zwischen Arm und Reich, indem der Fabrikherr der
allein Arbeit und Lohn Gebende, die Uebrigen die Arbeit und Lohn Nehmen¬
den, jener der allein Vermögende, diese an den knapp gemessenen Lohn gehult-


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[0223] Viele dieser Züge greisen gemeinsam über das ganze Grauwackengebiet, ja über den ganzen thüringer Wald, Man sollte nun innerhalb des Grau¬ wackengebiets einen gleichen Einklang in allen andern Beziehungen des äu¬ ßern und innern Lebens erwarten, dies ist jedoch keineswegs der Fall. Daß der nordöstliche District des Hochplateaus Jahrhunderte früher, der südwestliche Jahrhunderte später, je beide von verschiedenen Seiten her und von verschie¬ denen Völkern colonisirt wurden; daß dort der Communalboden, hier das Staatswaldareal überwiegt, dort Privatwald besteht, hier derselbe durchaus fehlt; daß dort Feldwirthschcist, hier Fabriken die menschlichen Thätigkeiten in Bewegung setzen und dort die Richtung des Bodens nach Thüringen, hier nach Franken leitet: dies hat nothwendig die'Waldbevölkerung in zwei", wie nach Grundbesitz und Arbeit, so nach Communalgliederung und Beweglichkeit der Gedanken und des Gemüths verschiedene Massen, in Bauern und Fa¬ brikanten geschieden, an die sich bezüglich die übrigen Beschäftigungen anlehnen. Die mit Schiefer umgehende Bevölkerung nähert sich in Sinn und Sitte mehr dem Bauer, der Producent feinerer Holzwaaren mehr dem Fabrikanten. Bei jenem ist der Stoff der täglichen Arbeit das Erdreich und schwere Gestein, aber zumeist in der freien Natur; bei diesen handbarc Massen und leichte Formen, aber zumeist in engen, heißen Stuben; dort Urproduction, hier Kunst- production: daher sind jene Arbeiter bodenstetig, ernst, wenig erschütterlich, aber einmal zur Gallhitze gebracht leidenschaftlich heftig und nachtragend; die Fabrikanten dagegen beweglich, ungemein biegsam, in alle Schwingungen der Zeit fügbar, neckend, reizlustig und leicht gereizt, doch wieder zur Versöhnung gern bereit; jene wie am Boden, so an alter Sitte und Tracht hängend, von kirchlichem Sinn, dabei in tausendfache Tagquälerei zu Haus und zu Feld, bei Tag und Nacht eingekeilt, diese mit mehr modischer Sitte und Kleidung, freigeisterisch, neuerungssüchtig und im höchsten Grade genußluftig, oft auf sybaritische Weise, besonders früher in manch rasch wohlhäbig gewordenen Fabrikherrnfamilien. In den Agriculturorten gliedern sich die Bewohner, wie bereits bemerkt wurde, in Güterbesitzer, Kleinhäusler und Hintersassen und danach sind Ge¬ rechtigkeiten und Lasten vertheilt. Mehre Hinterstedler machen einen ganzen Bauer aus; die Kleinhäusler haben wenig oder keinen Grundbesitz, sind meist Tagelöhner, Gewerbtreibende, Köhler, Holzmacher. Dadurch ist allerdings hier eine feste Abstufung zwischen Reich und Arm gegeben, aber in keinem grellen Gegensatz, weil das Vermögen an die Mehrzahl der Dörfler vertheilt ist. Anders steht es hingegen in den Fabrikorten. Hier herrscht ein schroffer, unversöhnlicher Gegensatz zwischen Arm und Reich, indem der Fabrikherr der allein Arbeit und Lohn Gebende, die Uebrigen die Arbeit und Lohn Nehmen¬ den, jener der allein Vermögende, diese an den knapp gemessenen Lohn gehult-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/223>, abgerufen am 02.09.2024.