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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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flecken Oberweißbach und auf einige Orte der Umgebung beschränkt ist. Noch
vor dreißig Jahren, als diese Fabrikation in Blüte stand, sah man die soge¬
nannten Balsamträger, meist stämmige Männer, ein einfaches Holzreff aus dem
Rücken, darauf vier bis fünf große Schachteln mit Hunderten von Gläsern,
Büchschen und Pulvern vom Walde herabsteigen und hausirend die deutschen
Länder durchziehen. Was sie boten, war gegen alle Uebel gut und bestand
in Balsamen, in Schnupftabak, der sogar den verlorenen Verstand wieder¬
brachte, in gerechtem Hirn- und Hauptpulver, in Pflastern und Pillen. Auch
heute wandern sie noch hausirend, aber weitweg, in die Ebenen von Polen,
nach Siebenbürgen und in die Schweiz, haben indeß auch da und dort in
Deutschland ihre heimlichen Absatzstationen. An die Stelle der amtlich be¬
schränkten Bereitung von Kräuteressenzen ist der Handel mit Preißelbeeren ge¬
treten, die den thüringer Wald zu ihrem Lieblingsboden gewählt haben und
auf verschiedenen Districten verschiedene Namen/ so Hölperle, Moosgucken und
Mehlbeeren führen, überall aber im Ruf heilsamer Kräfte stehen. Sie werden
zu großen Quantitäten theils in Tragkörben nach den Städten des Vorlandes,
theils durch Fuhrleute des Gebirges "ach den Hauptorten von Norddeutschland
geschafft.

Da dies Waldgebiet seit dem frühen Mittelalter von einer großen Heer-
und Handelsstraße durchschnitten wurde, welche von Nürnberg über Jubenbach
und Gräfenthal nach Thüringen und Sachsen führte, so nöthigte hier der Ge-
birgsboden zur Vorspann und diese führte zum deutschen Frachtfuhrwesen; die
meisten Gebirgsorte längs dieser Straße wurden zu Fuhrmannsdörfern. So
kamen in dies Bergland Zugpferde, die Bauern wurden als Fuhrleute in
stämmige Gestalten und trotzige, knorrige Charakter verwandelt; auch die fremd¬
ländische Genußsucht drang in diese Dörfer, die Fuhrleute brachten ihren Wei¬
bern und Kindern von draußen "gute Bissen" mit, aßen selbst besser "draußen"
als daheim. In der neueren Zeit, wo das Fuhrwesen in Ladungen und im
Frachtpreis beschränkt wurde, überdauerte die Gewohnheit süßen Genusses den
sauern. Verdienst und viele dieser Familien wurden "ruinirt". Deshalb hat
sich jetzt die Zahl der Fuhrleute zum Besten der Bauernwirthschaften bedeutend
verringert, doch das alte scharfausgeprägte Wesen ist noch in Haus, Tracht,
Sitte und Charakter' aller ehemaligen Fuhrmannsdörfer erkenntlich.

Zur Waldindustrie gehören noch verschiedene Hammerwerke, Mahl- und
Schneidemühlen, Alaun-, Pech-, Kienrußhütten und Theeröfen, diese einfachsten
Fabriken aller Holzlandschaften.

Dies sind auf dem Grauwackengebiet die Haupterzeugnisse und vorzüglich¬
sten industriellen Thätigkeiten; aber Natur und Geschäft, Boden und Erwerb
wirken vereint als unbiegsame Gewalten auf den Menschen in all seinem
Sinnen und Gebahren.


Greiijbolen. III. 18tu. 27

flecken Oberweißbach und auf einige Orte der Umgebung beschränkt ist. Noch
vor dreißig Jahren, als diese Fabrikation in Blüte stand, sah man die soge¬
nannten Balsamträger, meist stämmige Männer, ein einfaches Holzreff aus dem
Rücken, darauf vier bis fünf große Schachteln mit Hunderten von Gläsern,
Büchschen und Pulvern vom Walde herabsteigen und hausirend die deutschen
Länder durchziehen. Was sie boten, war gegen alle Uebel gut und bestand
in Balsamen, in Schnupftabak, der sogar den verlorenen Verstand wieder¬
brachte, in gerechtem Hirn- und Hauptpulver, in Pflastern und Pillen. Auch
heute wandern sie noch hausirend, aber weitweg, in die Ebenen von Polen,
nach Siebenbürgen und in die Schweiz, haben indeß auch da und dort in
Deutschland ihre heimlichen Absatzstationen. An die Stelle der amtlich be¬
schränkten Bereitung von Kräuteressenzen ist der Handel mit Preißelbeeren ge¬
treten, die den thüringer Wald zu ihrem Lieblingsboden gewählt haben und
auf verschiedenen Districten verschiedene Namen/ so Hölperle, Moosgucken und
Mehlbeeren führen, überall aber im Ruf heilsamer Kräfte stehen. Sie werden
zu großen Quantitäten theils in Tragkörben nach den Städten des Vorlandes,
theils durch Fuhrleute des Gebirges „ach den Hauptorten von Norddeutschland
geschafft.

Da dies Waldgebiet seit dem frühen Mittelalter von einer großen Heer-
und Handelsstraße durchschnitten wurde, welche von Nürnberg über Jubenbach
und Gräfenthal nach Thüringen und Sachsen führte, so nöthigte hier der Ge-
birgsboden zur Vorspann und diese führte zum deutschen Frachtfuhrwesen; die
meisten Gebirgsorte längs dieser Straße wurden zu Fuhrmannsdörfern. So
kamen in dies Bergland Zugpferde, die Bauern wurden als Fuhrleute in
stämmige Gestalten und trotzige, knorrige Charakter verwandelt; auch die fremd¬
ländische Genußsucht drang in diese Dörfer, die Fuhrleute brachten ihren Wei¬
bern und Kindern von draußen „gute Bissen" mit, aßen selbst besser „draußen"
als daheim. In der neueren Zeit, wo das Fuhrwesen in Ladungen und im
Frachtpreis beschränkt wurde, überdauerte die Gewohnheit süßen Genusses den
sauern. Verdienst und viele dieser Familien wurden „ruinirt". Deshalb hat
sich jetzt die Zahl der Fuhrleute zum Besten der Bauernwirthschaften bedeutend
verringert, doch das alte scharfausgeprägte Wesen ist noch in Haus, Tracht,
Sitte und Charakter' aller ehemaligen Fuhrmannsdörfer erkenntlich.

Zur Waldindustrie gehören noch verschiedene Hammerwerke, Mahl- und
Schneidemühlen, Alaun-, Pech-, Kienrußhütten und Theeröfen, diese einfachsten
Fabriken aller Holzlandschaften.

Dies sind auf dem Grauwackengebiet die Haupterzeugnisse und vorzüglich¬
sten industriellen Thätigkeiten; aber Natur und Geschäft, Boden und Erwerb
wirken vereint als unbiegsame Gewalten auf den Menschen in all seinem
Sinnen und Gebahren.


Greiijbolen. III. 18tu. 27
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[0217] flecken Oberweißbach und auf einige Orte der Umgebung beschränkt ist. Noch vor dreißig Jahren, als diese Fabrikation in Blüte stand, sah man die soge¬ nannten Balsamträger, meist stämmige Männer, ein einfaches Holzreff aus dem Rücken, darauf vier bis fünf große Schachteln mit Hunderten von Gläsern, Büchschen und Pulvern vom Walde herabsteigen und hausirend die deutschen Länder durchziehen. Was sie boten, war gegen alle Uebel gut und bestand in Balsamen, in Schnupftabak, der sogar den verlorenen Verstand wieder¬ brachte, in gerechtem Hirn- und Hauptpulver, in Pflastern und Pillen. Auch heute wandern sie noch hausirend, aber weitweg, in die Ebenen von Polen, nach Siebenbürgen und in die Schweiz, haben indeß auch da und dort in Deutschland ihre heimlichen Absatzstationen. An die Stelle der amtlich be¬ schränkten Bereitung von Kräuteressenzen ist der Handel mit Preißelbeeren ge¬ treten, die den thüringer Wald zu ihrem Lieblingsboden gewählt haben und auf verschiedenen Districten verschiedene Namen/ so Hölperle, Moosgucken und Mehlbeeren führen, überall aber im Ruf heilsamer Kräfte stehen. Sie werden zu großen Quantitäten theils in Tragkörben nach den Städten des Vorlandes, theils durch Fuhrleute des Gebirges „ach den Hauptorten von Norddeutschland geschafft. Da dies Waldgebiet seit dem frühen Mittelalter von einer großen Heer- und Handelsstraße durchschnitten wurde, welche von Nürnberg über Jubenbach und Gräfenthal nach Thüringen und Sachsen führte, so nöthigte hier der Ge- birgsboden zur Vorspann und diese führte zum deutschen Frachtfuhrwesen; die meisten Gebirgsorte längs dieser Straße wurden zu Fuhrmannsdörfern. So kamen in dies Bergland Zugpferde, die Bauern wurden als Fuhrleute in stämmige Gestalten und trotzige, knorrige Charakter verwandelt; auch die fremd¬ ländische Genußsucht drang in diese Dörfer, die Fuhrleute brachten ihren Wei¬ bern und Kindern von draußen „gute Bissen" mit, aßen selbst besser „draußen" als daheim. In der neueren Zeit, wo das Fuhrwesen in Ladungen und im Frachtpreis beschränkt wurde, überdauerte die Gewohnheit süßen Genusses den sauern. Verdienst und viele dieser Familien wurden „ruinirt". Deshalb hat sich jetzt die Zahl der Fuhrleute zum Besten der Bauernwirthschaften bedeutend verringert, doch das alte scharfausgeprägte Wesen ist noch in Haus, Tracht, Sitte und Charakter' aller ehemaligen Fuhrmannsdörfer erkenntlich. Zur Waldindustrie gehören noch verschiedene Hammerwerke, Mahl- und Schneidemühlen, Alaun-, Pech-, Kienrußhütten und Theeröfen, diese einfachsten Fabriken aller Holzlandschaften. Dies sind auf dem Grauwackengebiet die Haupterzeugnisse und vorzüglich¬ sten industriellen Thätigkeiten; aber Natur und Geschäft, Boden und Erwerb wirken vereint als unbiegsame Gewalten auf den Menschen in all seinem Sinnen und Gebahren. Greiijbolen. III. 18tu. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/217>, abgerufen am 01.09.2024.